Social Media in Zeiten von Katastrophen

In Zeiten von Katastrophen spielt Social Media oft eine lebensrettende Rolle, wie es in den 1920er Jahren das Radio vormachte.

Jetzt, da so viele Menschen die sozialen Medien nutzen – Facebook verfügt über mehr als 1,5 Milliarden Nutzer – werden sie zu einer herausragenden, schnellen, alternativen Art der Kommunikation. Dies erweist sich als nützlich in Zeiten von Terrorangriffen wie denen in Paris, während Ereignissen wie dem Arabischen Frühling, bei Wahlen in Ländern mit staatlich zensierten Nachrichten oder bei Naturkatastrophen.

Facebook führte beispielsweise, angeregt von Erdbeben und dem Tsunami in Japan im Jahr 2011, die “Safety Check”-Funktion ein. Japanische Ingenieure entwickelten einen Prototyp, der es Nutzern ermöglichte schnell ihre Freunde darüber zu informieren, dass sie in Sicherheit waren. Der Service beobachtet Posts, um den Aufenthaltsort des Nutzers zu bestimmen und falls dieser sich in der Nähe einer stattfindenden Naturkatastrophe aufhält, wird er dazu aufgefordert, anzugeben, ob er oder sie sich in Sicherheit befindet. Zunächst ausschließlich bei Naturkatastrophen angewandt, aktivierte Facebook den Safety Check während der Angriffe auf Paris.

Google stellte nach dem Erdbeben von Haiti im Jahr 2010 mit dem “Person Finder” einen ähnlichen Service zur Verfügung und das US-amerikanische Rote Kreuz führte im Jahr 2013 “Safe and Well” ein. Facebooks Safety Check ist jedoch einfacher zu nutzen und erreicht aufgrund der enormen Beliebtheit Facebooks weit mehr Menschen.

Frühe Internetpioniere, wie Howard Rheingold in seinem Buch “Virtual Community” von 1993, vertraten den Ansatz, dass dieses neue Medium als Mittel zur gegenseitigen emotionalen Unterstützung, als Hilfe bei politischer Organisation oder politischem Aktivismus dienen könnte. Ähnliche Thesen kamen in den 1920er Jahren mit der Einführung des Radios auf. Zu diesem Zeitpunkt sahen sich Radioamateure den staatlichen Aufsichtsbehörden gegenübergestellt, deren Absicht es war die Möglichkeiten der zivilen Bevölkerung zur Zwei-Wege-Kommunikation über das Radio einzuschränken. Ein Argument das die Radioamateure mit Nachdruck einbrachten war die Fähigkeit des neuen Mediums die Katastrophenhilfe zu unterstützen, was insbesondere in den USA mit ihrer dezentralen Infrastruktur geschätzt wurde.

Kritiker haben behauptet, dass die Nutzung neuer Medien in der Katastrophennothilfe lediglich ein Ablenkungsmanöver zur Tarnung ihrer eigentlich oberflächlichen Natur darstellt und dass Firmen wie Facebook sich in der Absicht mehr Gelder einzunehmen reinwaschen wollen. Letzten Endes beanspruchen diese Anbieter die Rechte an allem, was jemand hochlädt. Andere haben sich darüber beschwert, dass eine Funktion, die Flaggen über das Profilbild legt, um Solidarität nach Ereignissen, wie derer in Paris zu zeigen, nicht für andere nennenswerte und wohl schlimmere Ereignisse an anderen Orten der Welt zu Verfügung steht.

Es gibt weitere Bedenken hinsichtlich der Tatsache, dass der Safety Check Facebooks beispielsweise von Nutzern missbraucht wurde, die sich zum Zeitpunkt des Erdbebens in Nepal gar nicht dort befanden.

Zahlreiche Anbieter sozialer Medien verfügen über ortungsbasierte Funktionen, die, wenn die sozialen und geografischen Daten zusammengenommen werden, Bedenken über Sicherheit und Privatsphäre aufkommen lassen. Solche Informationen wurden in der Vergangenheit dazu verwendet, Stars wie beispielsweise Rebecca Adlington auszurauben. Facebook verspricht als scheinbare Vorbeugung gegen die böswillige Nutzung dieser Informationen, dass lediglich die Freunde eines Nutzers die Aktualisierung des Safety Checks einsehen können.

Es besteht allerdings ein beachtlicher Mehrwert in dem, was als “freiwillig erhobene geografische Information” (Engl.: volunteered geographic information, kurz: VGI) bezeichnet wird. Wohltätigkeits- und Hilfsorganisationen sowie NGOs haben VGI eingesetzt, um Unterstützernetzwerke, wie das “Mapping Kibera”-Projekt in einem benachteiligten Stadtteil Nairobis in Kenia, für ihre Arbeit aufzubauen. Im Grunde ist Kibera ein weißer Fleck auf kommerziell verfügbaren Stadtkarten, einschließlich Google Maps. Das bedeutet, dass es sich als äußerst schwierig für Hilfsorganisationen gestaltet hat, wirksame Hilfe anzubieten, da nur wenige Informationen zur Verfügung standen.

Lokale Aktivisten starteten im Jahr 2009 das Mapping Kibera-Projekt mit Freiwilligen, die das Viertel kartierten und eine Volkszählung durchführten. In Kooperation mit OpenStreetMaps schafften sie es eine detaillierte Karte zu zeichnen, die nun die NGOs dabei unterstützt gezieltere Hilfe zu leisten.

Die selben Techniken und Technologien sind bereits an anderer Stelle in den Bereichen Bürgerjournalismus und Katastrophenhilfe eingesetzt worden. In Afrika haben Aktivisten die Ushahidi-Plattform gegründet, die den einfachen Einsatz unabhängiger VGI-basierter Nachrichtendienste ermöglicht. Ursprünglich im Jahr 2008 entwickelt, um den Bürgern zu ermöglichen Gewalttaten nach den Nationalwahlen in Kenia zu melden, wurde sie fortan in vielen Orten ohne unabhängige Nachrichtenmedien als Alternative zur Berichterstattung gegenwärtiger Vorkommnisse genutzt. Einer der Vorteile hieraus ist, dass freiwillige Informationen auch über SMS übertragen werden können. Dies ist ein wichtiger Kanal in Entwicklungsländern in denen ein Internetzugang, im Gegensatz zu günstigen, einfachen Handys, nicht immer gewährleistet ist.

Die Skepsis dem gegenüber, was soziale Medienplattformen im Stande sind zu erreichen, ist berechtigt. Im Vergleich zu anderen verfügen sie jedoch über den Vorteil, dass sie skalierbar sind. Ob es sich um ein Multimilliarden-Dollar-Unternehmen wie Facebook oder ein kleines Projekt wie Mapping Kibera handelt. Beide können zur Katastrophennothilfe und zum Bürgerjournalismus beitragen. Aktuelle, lokale Informationen zu erstellen bringt zusätzliche Vorteile. Die US-Behörden nutzten nach Hurrikan Sandy Berichte, Fotos oder Ortsangaben aus den sozialen Medien, um eine nachträgliche Analyse zu erstellen, die Planer darüber informieren sollte, wie die Gegend vor zukünftigen Katastrophen geschützt werden kann.

In dieser Hinsicht unterscheiden sich die sozialen Medien nicht allzu sehr von den Althergebrachten: Viel aufgewirbelter Staub und mit einzelnen Glanzmomenten.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image (adapted) “Facebook Connections” by Michael Coghlan (CC BY-SA 2.0)


 

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