Die Zukunft der Arbeit könnte weiblich sein

„Frauen können die Gewinnerinnen des digitalen Wandels werden, wenn wir es klug anstellen“, sagte Andrea Nahles 2015 auf der Konferenz zur Geschlechtergerechtigkeit der Internationalen Association for Feminist Economics (IAFFE) in Berlin – damals noch als Arbeitsministerin. Hat sie damit Recht? Ist die Zukunft der Arbeit weiblich?

Neue Jobmodelle, neue Möglichkeiten für Frauen

Nach Ansicht von Nahles liegen die Chancen für Frauen in der Arbeit 4.0 vor allem in der Digitalisierung. Diese verändert zum Einen die Art und Weise wie wir arbeiten. Das Internet und Cloud-Technologien führen zum Beispiel dazu, dass wir nicht mehr immer und jederzeit physisch am Arbeitsplatz sein müssen. Vieles wird heutzutage, statt im Büro, im Homeoffice erledigt. Resultate seien wichtiger als Anwesenheit, sagte Nahles.

Das gilt natürlich nicht nur für Frauen, jedoch könnte gerade dieser Wandel vor allem Frauen den Zugang zur Arbeitswelt erleichtern. Während sie bisher vielleicht zwischen Kind und Karriere wählen mussten, können sie nun beides ohne große Kompromisse haben.

Darüber hinaus verändern sich durch die Digitalisierung ebenfalls die Berufsbilder für Frauen. Während zum Beispiel Krankenschwester ein typischer Frauenberuf war, wird diese Arbeit wahrscheinlich bald komplett von Robotern erledigt. Das gäbe Frauen aber auch „ganz neue berufliche Perspektiven auf gut bezahlte, gut abgesicherte Industriearbeitsplätze“, sagt Nahles.

Ganz ähnlich sieht dies auch die prämierte US-Unternehmensberaterin und Digitalisierungsxpertin Cheryl Cran. Sie sieht ebenfalls in neuen Jobmodellen eine große Chance für Frauen. Denn Frauen können ihrer Meinung nach durch Freelancing, Homeoffice oder Telearbeit nun problemlos Familie und Job miteinander vereinen. Tatsächlich ist ein steigender Anteil der Freiberufler in den USA weiblich. Nach Zahlen der National Association of Women Business Owners wagen ebenfalls viele Frauen den Schritt in die Selbstständigkeit und gründen eigene Unternehmen. So wurden 9,1 Millionen US-Firmen von Frauen gegründet, die zusammen beinahe 8 Millionen Menschen beschäftigen.

Auch Männer seien nicht mehr bereit, 14-Stunden-Tage zu schieben und suchen einen bessere Work-Life-Balance. Jobsharing-Modelle, in denen sich Männer und Frauen eine Managerposition teilen, seien gar nicht mehr so selten. Auch renommierte Tech-Unternehmen wie Facebook oder Tesla suchen laut Cran händeringend qualifizierte Frauen für Spitzenpositionen.

Roboter geben Frauen mehr Muskelkraft

In einem Kommentar für die irische Onlinepublikation Siliconrepublic.com geht Cheryl Cran sogar noch einen Schritt weiter. Sie behauptet: Gerade die sogenannten Soft Skills – Kommunikationsfähigkeit, Empathie, Emotionale Intelligenz – die Frauen ihrer Meinung nach von Natur aus mitbringen – werden in Zukunft viel mehr gefragt als „männliche“ Arbeitsweltattribute wie Wille, Entschlossenheit, Egoismus und Aggressivität. Cran glaubt zwar, dass in Zukunft eine Kombination aus männlichen und weiblichen Attributen gefragt sein wird, doch dabei haben Frauen ihrer Meinung nach einen Vorteil: „Frauen werden erfolgreich sein in einer Zukunft, in der Jobs, die früher physische Stärke erforderten – Bau, Produktion, Landwirtschaft -, durch Roboter verbessert werden.

Sprich: Frauen haben nicht nur Vorteile aufgrund ihrer natürlichen Eigenschaften, sie können nun auch Jobs ausüben, die ihnen bisher aus rein physischen Gründen verwehrt waren. Cran nennt das Beispiel einer Roboter-Rüstung, die in Japan in der Pflege genutzt wird. Diese kann man sich als Mensch überziehen und damit die eigene Muskelkraft verstärken.

Auch die Soziologin Christiane Funken sagt in ihrem Buch „Sheconomy“: Die Arbeitswelt der Zukunft ist weiblich. Allerdings zögert die Wissenschaftlerin, dies wie Cran auf angeborene Eigenschaften zurückzuführen. Vielmehr stellt sie klar: „Frauen werden traditionellerweise auf Fähigkeiten hin erzogen, die der Arbeitsmarkt dringend braucht.“ Da Frauen also in vielen Kulturen eher dazu erzogen werden, diplomatisch, zurückhaltend, zuvorkommend, freundlich und schon gar nicht aggressiv zu sein, könnte ihnen dies in einer Arbeitswelt, die genau diese Eigenschaften verstärkt, sucht und fördert, zugute kommen.

Neue Chancen gibt es nur dann, wenn Frauen sie nutzen

Doch ganz so rosig, wie die Expertinnen die Zukunft sehen, ist sie nicht. Nur weil Frauen neue Chancen haben, bedeutet dies nicht, dass sie diese auch nutzen werden. Frauen haben zum Beispiel mehr Angst vor der Digitalisierung als Männer. Nach einer Umfrage des Markt- und Sozialforschungsinstitut Ipsos misstrauen Frauen dem digitalen Wandel mehr als Männer.

Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) glaubt sogar, dass Frauen die großen Verlierer der Digitalisierung sein werden. Seiner Ansicht nach werden Tätigkeiten wie Verkauf, Terminpflege und Organisation oder Dienstleistungen in der Gastronomie in Zukunft zu 80 Prozent von Robotern ausgeführt. Das sind aber genau die Jobs, die aktuell mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden.

Während Expertinnen wie Cran oder Funke hier eine neue Möglichkeit sehen, warnt Grabka vor dem besonders hohen Risiko auf Jobverlust für Frauen. Tatsächlich ist der Arbeitsalltag derzeit für Frauen nicht gerade rosig – trotz Digitalisierung. Die DGB-Studie „frau geht vor“ hat beispielsweise ermittelt, dass Frauen schwierigere Arbeitsbedingungen als Männer beklagen. 52 Prozent der Frauen, aber nur 43 Prozent der Männer klagen über höhere Arbeitsbelastung, mehr Kontrolle, Überwachung und Stress. Das zeigt auch, dass die Macho-Kultur in Unternehmen immer noch verbreitet ist, auch in Start-ups.

Auch wird der Kampf um begehrte Arbeitsplätze härter, und es ist nicht anzunehmen, dass Männer sich in Zukunft weniger um gute Jobs bemühen werden.

Nicht alle Männer sind machtgierige Egoisten

Bei der ganzen Debatte ist es aber auch nicht unbedingt förderlich, grundsätzlich alle Männer als machtbesessene Egoisten darzustellen und alle Frauen als hilflose Opfer. Denn es ist nicht notwendigerweise die Schuld der männlichen Kollegen, wenn der Arbeitsplatz keine Flexibilität bietet, um das Kind morgens in die Kita zu bringen oder am Nachmittag abzuholen – was übrigens auch Väter tun. Klar ist: Wenn sich mit dem digitalen Wandel Unternehmensstrukturen nicht verändern und sich besser an aktuelle Lebensweisen von Männern UND Frauen anpassen, verlieren am Ende alle.

Deswegen betont Sheconomy-Autorin Christiane Funken auch, dass es ihr nicht darum geht, Frauen gegen Männer aufzuspielen. Vielmehr sei es so, dass Geschlechterrollen sich ohnehin immer mehr verschieben und verändern. Männer wollen genau so mehr Freizeit haben oder Zeit mit der Familie verbringen wie Frauen.

Das bestätigen auch Zahlen des Zukunftsinstituts in einer Untersuchung zum „Female Shift“ in der Arbeitswelt. Demnach glauben 65 Prozent der Männer, dass beide Elternteile gleichberechtigt für die Kindererziehung verantwortlich sind. Oft gehen Wunsch und Realität noch auseinander, doch immerhin nimmt bereits jeder vierte Mann in Deutschland Elternzeit in Anspruch. Frauen wiederum nehmen Machtpositionen selbstbewusster an als noch vor 20 Jahren. So birgt die Arbeitswelt der Zukunft idealerweise nicht mehr Chancen für Männer oder für Frauen, sondern für alle.


djile/stock.adobe.com


begann ihren journalistischen Werdegang bei kleinen Lokalzeitungen und arbeitete dann während ihres Studiums als Reporterin für den Universitätsradiosender. Ihr Volontariat machte sie bei Radio Jade in Wilhelmshaven. Seit 2010 hat sie ihren Rucksack gepackt und bereist seitdem rastlos die Welt – und berichtet als freie Journalistin darüber. Über alle „inoffiziellen“ Geschichten schreibt sie in ihrem eigenen Blog fest. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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