“Future of Data”: Daten-Debatten jenseits von Vorurteilen

Statt Debatten über die “Datensammelwut” von Unternehmen zu führen, sollte das Sammeln und die Verwendung von Daten ganzheitlicher gesehen werden. Das Szenario Building ist zu einem beliebten Werkzeug geworden und ersetzt das bekannte Bonmot “Wenn du mal nicht weiter weißt, dann gründe einen Arbeitskreis”. So ist auf Ebene der politischen und wirtschaftlichen Entscheider als entsprechend geschulter Berater leichtes Geld damit zu verdienen, wenn der Unsicherheit dieser Entscheider in einem globalisierten Weltgeschehen, die Scheinsicherheit eines Szenarios entgegen gehalten werden kann. Dass diese Szenarien allzu häufig in der Banalität zwischen “Kalter Marktwirtschaft” und “Sozialer Marktwirtschaft” oder auch gern “Vernetzte Welt” versus “Mensch steht trotz Technologie im Zentrum” enden, scheint nicht zu stören, fehlt doch allzu oft die Erfahrung, mehrfach einem solchen Prozess beigewohnt zu haben.

Daten sammeln: Wo stehen wir im Jahre 2025?

Der globale not-for-profit Future Agenda Foresight Prozess hat bewusst einen anderen Weg gewählt, konzentriert sich auf einzelne Schwerpunktthemen und verzichtet auch darauf, alle Meinungen in irgendwelche Matrizen einspeisen zu wollen, um am Ende ein Ergebnis zu bekommen, dass der PC scheinbar “genau” errechnet hat. In inzwischen über 100 Workshops, in über 50 Ländern, werden in einem strukturierten Diskurs bis zu 30 Themen (je Workshop aber nur ein Schwerpunktthema) besprochen und qualitativ zusammengefasst. Im Zuge der Workshop-Reihe hatte vor einiger Zeit in Köln ein “Future of Data”- Treffen stattgefunden.

Aufgrund eines ersten Brainstormings, wurden vor Ort die folgenden Entwicklungstendenzen bis zum Jahre 2025 identifiziert:

  • Datenapathie angesichts der nicht zu bewältigenden und zu interpretierenden Datenmenge

  • Gefahr simplifizierender Analysen aufgrund mangelnder Fähigkeit zur Operationalisierung der Möglichkeit zum Datensammeln

  • Daten werden verhaltensbestimmende Variablen

  • Big Data führt zu mehr Transparenz; Auswirkung auf bestehende Geschäftsmodelle unklar

  • #dataforgood wird immer relevanter

  • menschliches Miteinander, das immer mehr datenbestimmt ablaufen wird, muss neu definiert werden

  • steigende menschliche Abhängigkeit von datenbasierter Interpretation der (Um) Welt

  • Aufkommen von datengetriebenen Lebensstilen

  • Bindung der Lebenszyklen von Produkten an deren Datensammelfähigkeit

  • Dateninterpretation als neue Form der “Weisheit”

  • Sicherheit von Mobilität wird essenziell

  • Daten als Grundlage der Vermittlung von Bildung

  • Ethik der Daten

  • datengetriebene Anpassungen von Unternehmen statt durch Vorstandsentscheidungen

  • Suche nach der Grenze der Anwendung von Daten

  • potenzieller Backlash gegen die Nutzung von Daten

In einem nächsten Schritt wurden nun diese Aspekte aggregiert und mit Blick auf die mögliche Relevanz im Jahre 2025 priorisiert. Auffällig daran war, dass auch im Kreis der dem Thema gegenüber eigentlich eher aufgeschlossenen Teilnehmern, die spannungsgeladenen Fragen der Datensicherheit, der Privatsphäre und der durch Daten eventuell intendierten Ungleichheit dominierten.

Tabelle: Abstimmungsverhalten der Teilnehmer bezüglich der Frage nach der Relevanz der vorab genannten Unterthemen bis zum Jahre 2025

 

Zwang zur Konformität und Daten-Darwinismus?

Dieses Ergebnis war insofern spannend, als dass Daten(schutz) nicht, wie so häufig üblich, als Selbstzweck betrachtet wurde, sondern das Ziel eine politische, wie auch gesellschaftspolitische Einordnung der Datenthemen darstellte, was sich in der abschließenden qualitativen Debatte über die Priorisierung auch zeigte:

1. Intelligentes Sammeln von Daten statt blinder Datensammelwut: Das Internet der Dinge wird zu einem weiteren Anstieg der gesammelten Daten führen. Mehr denn je muss sich aber rechtzeitig Gedanken darüber gemacht werden, welche Daten denn überhaupt sinnvoll ausgewertet werden können. Während man im Einführungskurs zur “Empirischen Sozialforschung” an der Uni bereits zu hören bekommt, dass die Forschungsfrage vor dem Sammeln von Daten bekannt sein muss, gehen manche Datenanalysten anscheinend allzu oft den Weg, im Datenkonvolut nach interpretierbaren Mustern zu suchen, um das Datensammeln gegenüber den Investoren und den Usern im Nachhinein zu rechtfertigen.

2. Juristische Rules of the Game: Es bedarf – unabhängig von der Art der Daten und der sammelnden Institution – dringend weltweit gültiger Spielregeln zum Umgang mit diesen Daten. Nur datenbezogene Grundrechte, wie der jederzeitige Zugang zu den eigenen Daten bei Unternehmen oder staatlichen Verwaltungen, werden auf Dauer die Akzeptanz der Datensammlungen erhalten. Das Spannungsfeld zwischen nationalen politischen Regelungssystemen und kulturellen Unterschieden im Umgang mit personenbezogenen Daten, lässt diese Aufgabe aber auch utopisch erscheinen. Wie wäre es daher, eine Art Global Governance in diesem Bereich aufzubauen und zu legitimieren?

3. Digital Literacy: Der Umgang mit und der Zugang zu den eigenen Daten, muss Bestandteil der schulischen Bildung werden. Nur damit kann Datensouveränität im Sinne des Verständnisses der Relevanz der eigenen Daten in einem ökonomischen und politischen Kontext erreicht werden.

4. Moralische Dimension datenbasierter Entscheidungen: Wie sind datenbasierte Entscheidungen, wie das schon häufig vorgebrachte Unfall-Vermeidungsszenario selbstfahrender Autos und das mit einhergehende Entscheidungsdilemma moralisch zu bewerten? Wer entscheidet vor welchem kulturellen Hintergrund, welche Entscheidung die moralisch “richtige” ist? Wie kann Transparenz über die moralischen Eckpunkte von Algorithmen, die solchen Entscheidungen zugrunde liegen, hergestellt werden, ohne das jeweilige Geschäftsmodell zu gefährden?

5. Daten-Darwinismus: Der Umgang mit Daten, sei es auf unternehmerischer, politischer oder individueller Ebene, wird schon bald über die Überlebensfähigkeit, insbesondere von Unternehmen und die Lebensqualität, des Einzelnen entscheiden. Datenungleichheit kann damit zu Ungleichheit in den unterschiedlichsten Lebensbereichen führen. Wie gehen wir mit diesem Daten-Darwinismus um, die aus der gekonnten Anwendung von Human-Data-Teaming Einzelner entsteht? Die aktuelle Debatte um die finanzielle Beteiligung von Krankenkassen am Kauf von Wearables und Health Apps, deuten den sich abzeichnenden Kontext von digitaler Affinität und daraus resultierender persönlicher Livelihood an.

6. Dateninduzierter Druck zur Konformität: Wenn wir Big Data nutzen, um Generalisierungen, Muster in großen Datenmengen oder aber Gruppen von Menschen zu kategorisieren, steigt die Gefahr, dass das Individuum mit abweichenden Verhalten, Meinungen, Leistungsindikatoren oder Gesundheitsdaten negativ auffällt. Die Kosten der Abweichung können beim “Abweichler” oder auch in der Gesellschaft anfallen. Wie geht eine Gesellschaft damit um? Wie können wir trotz allem Individualität in ein Zeitalter von Big Data hinüber retten? “Habe ich ein individuelles Recht auf eine ungesunde Lebensführung?”. Könnte dieser Blickwinkel überspitzt beschrieben werden? Wie weit wird unsere Toleranz dem Individualisten gegenüber im Zeitalter des Datensammelns gehen?

Die Ergebnisse aller globalen Workshops zum Thema Future of Data können hier nachgelesen werden.

“Datenkrake” als politischer Kampfbegriff?

Sowohl beim Blick auf die Ergebnisse des Treffens in Deutschland als auch der weiteren globalen Workshops wird deutlich, dass wir die in den deutschen Traditionsmedien stets nur unter dem Hinweis die “Datenkraken” Facebook und Google vollkommen verengt geführte Debatte, dringend ausweiten müssen. Netzpolitik.org hat erst gerade wieder auf das Lobbying der US-Regierung hingewiesen, mit dem versucht wird, der Welt einseitig die amerikanischen Vorstellungen zum Umgang mit personenbezogenen Daten aufzudrücken.

Im Rahmen der vor kurzem stattgefundenen Telemedicus Sommer Konferenz, wurde eine Übersicht über die verschiedenen Daten(schutz)-Aspekte in den sozialen Medien herumgereicht, die ebenfalls sehr schön die Komplexität des Themas darstellt, die natürlich sehr weit über die dumpfe Datenkranken-Sematik hinausreicht. Wir sollten versuchen, die Daten-Debatte im Interesse einer sehr viel weiter reichenden Verwendung als der Analyse persönlichen Like-Verhaltens auf Facebook zu führen. Die oben genannten Aspekte, die keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben, deuten dabei an, dass “Daten” immer in einem inhaltlichen Kontext gesehen werden sollten. Überlassen wir dieses wichtige Thema nicht den Traditionsmedien.

Der Beitrag basiert auf den seit August 2015 vollständig vorliegenden Ergebnissen eines Treffens von Experten im Zuge des Foresight-Prozesses “Future Agenda” zu dem übergeordneten Thema “Zukunft der Arbeit/Datennutzung” im April diesen Jahres.


 


 

arbeitet seit 2002 bei der Bertelsmann Stiftung. Zuvor war er an den Universitäten Kiel und Göteborg und bei der Gewerkschaft ver.di tätig. Er baute in den letzten Jahren die internationale Bloggerplattform Futurechallenges.org auf, bloggt privat auf Globaler-Wandel.eu, ist Co-Founder der Menschenrechtsplattform Irrepressiblevoices.org (http://irrepressiblevoices.org/) und engagiert sich im virtuellen Think Tank Collaboratory. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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