Gefangen im Zeitparadoxon: Wieso Warten so lange dauert

Das kennen wir alle: Wir warten auf das Ende eines langweiligen Meetings oder darauf, dass der Bus endlich kommt, und die Zeit scheint sich viel schleppender hinzuziehen als gewöhnlich. Unsere schönsten Momente scheinen jedoch mit Blitzgeschwindigkeit vorbeizuzischen. Es erscheint offensichtlich, dass eher langweilige Ereignisse länger zu dauern scheinen als solche, die uns stimulieren. Doch es gibt noch einen anderen Grund, warum wir Zeit manchmal unterschiedlich erleben.

Wenn wir verstehen, was ein Ereignis auslöst oder wenn wir es selber auslösen, scheint die Zeit zwischen der Ursache und dem Effekt kürzer zu sein als bei einem Ereignis, das wir nicht kontrollieren können. Dieses Phänomen, das bekannt ist als „Temporal Binding“ (deutsch: „zeitliches Verbinden“), kann uns helfen, einige wichtige Wahrheiten über die Verbindung zwischen Ursache und Wirkung aufzudecken und zu klären, inwiefern wir für unterschiedliche Handlungen tatsächlich verantwortlich sind.

Temporal Binding funktioniert auf eine merkwürdige Art. Die Ursache eines Ereignisses scheint auf einen späteren Zeitpunkt geschoben zu werden, was sich auf die Wirkung bezieht, die wiederum auf einen früheren Zeitpunkt hin zur Ursache geschoben wird. Aus unserer Sicht werden die beiden Ereignisse aufeinander bezogen und zeitlich miteinander verbunden.

Patrick Haggard und seine Kollegen an der UCL waren die Ersten, die auf dieses Phänomen aufmerksam wurden. Sie baten Freiwillige, einen Knopf zu drücken, bei dem nach einer kurzen Pause ein Ton hervorgebracht wurde. Die Freiwilligen schätzten die Ursache, das Drücken des Knopfes, und die Wirkung, das Ertönen des Signals, als zeitlich enger zusammen ein als in den Fällen, wo sie für das Drücken des Knopfes nicht verantwortlich waren.

Absichtliches Verbinden

Derselbe Effekt trat nicht auf, wenn der Ton nach einem unfreiwilligen Muskelzucken (hervorgerufen durch eine Stimulation des Gehirns) erfolgte oder wenn nach derselben Verzögerung ein weiterer Ton ertönte. Die Wissenschaftler nannten dieses Phänomen „Intentional Binding“ (deutsch: „absichtliches Verbinden“), denn sie sind der Überzeugung, dass es die freiwillige Beteiligung (und die Absicht zu handeln) der Personen war, die Handlung und Wirkung zeitlich miteinander verband. Schnell wurde das Phänomen als eine neue Möglichkeit angesehen, um herauszufinden, wie sehr sich Personen in gewissen Situationen als der Lage Herr einschätzen, ohne sie tatsächlich darüber befragen zu müssen.

Kürzlich haben Forscher das Phänomen des „Temporal Binding“ auf das bekannte Elektroschock-Experiment von Milgram angewandt, um zu überprüfen, ob Menschen sich verantwortlich für Handlungen fühlen, zu denen sie genötigt werden. Milgrams ursprüngliches Experiment bestand darin, Teilnehmer zu instruieren, sich einander Elektro-Schocks zuzuführen, um zu überprüfen, ob Menschen einer Anweisung folgen, die anderen körperlichen Schaden zufügt.

Haggard benutzte einen ähnlichen Versuchsaufbau, bat aber die Teilnehmer anschließend einzuschätzen, wie lang die Zeit zwischen dem Drücken des Knopfes, der den elektrischen Schock auslöst, und dem Moment, in dem der Schock zugefügt wird, war. Die Forscher fanden heraus, dass die Teilnehmer die Zeit zwischen Handlung und Auswirkung länger einschätzten, wenn sie zum Verabreichen des elektrischen Schocks gezwungen wurden, als wenn sie aus freiem Willen handelten.

Auf dieser Grundlage schlussfolgerten die Forscher, dass, wenn man Personen nötigt eine Handlung auszuführen, sich diese weniger als Herr der Lage und weniger verantwortlich für ihre eigenen Taten fühlen, als wenn sie aus freiem Willen handeln. Dies hat faszinierende Auswirkungen für Situationen wie Kriegsverbrecherprozesse, in denen die Angeklagten oft aussagen, sie hätten lediglich Anweisungen Folge geleistet und seien daher nicht verantwortlich für ihre Taten.

Das Phänomen des „Temporal Binding“ wurde außerdem eingesetzt, um Krankheiten zu untersuchen und hat auch hier für einige interessante Resultate gesorgt. Wissenschaftler fanden heraus, dass Menschen mit Schizophrenie das zeitliche Verbinden stärker erleben als solche, die von dieser Erkrankung nicht betroffen sind. Dies deutet darauf hin, dass die Betroffenen ein übermäßiges Gefühl der Kontrolle über die Auswirkungen ihrer Handlungen haben, was wiederum erklären könnte, warum sie wahnhafterweise glauben, dass sie Kontrolle über Dinge besitzen, für die sie tatsächlich gar nicht verantwortlich sein können.

Grund statt Kontrolle

Obwohl das Phänomen des „Temporal Binding“ sich schnell als eine Möglichkeit etablierte, Kontroll- und Verantwortungsgefühl zu messen, hat Marc Buehner von der Universität Cardiff gezeigt, dass es bei diesem Effekt hauptsächlich um Kausalverbindungen geht. Buehner fand heraus, dass wir zeitliches Verbinden selbst dann erleben, wenn wir bloß zuschauen, wie eine Sache eine andere verursacht, also selbst dann, wenn wir gar nicht direkt verantwortlich sind – zum Beispiel, wenn ein mechanischer Hebel einen Knopf betätigt, der dann ein Signal auslöst.

Im Grunde wurde gezeigt, dass unsere Wahrnehmung von Zeit durch unsere Annahmen über Ursache und Wirkung beeinflusst und geformt werden kann. Das Binding ist stärker, wenn menschliches Handeln involviert ist, was daran liegen könnte, dass menschliches Handeln und dessen Konsequenz einfach eine spezielle Verbindung von Ursache und Wirkung ist.

Ein interessanter Ansatz ist, dass Binding für uns ein Weg zu sein scheint, die Welt zu verstehen. Vielleicht verpacken wir Ereignisse, die miteinander verbunden sind, um es uns leichter zu machen zu verstehen, wie die Welt funktioniert, wie Dinge miteinander verbunden sind und wie unsere Handlungen die Welt um uns herum beeinflussen. Um diese Theorie zu testen, untersuchen Wissenschaftler der Universitäten Belfast und Cardiff, wie Kinder Binding erleben. Vielleicht erfahren Kinder stärkeres Binding als eine Methode, effizient eine Welt verstehen zu lernen, von der sie weniger wissen als die Erwachsenen.

Auf der anderen Seite kann es ebenso sein, dass Kinder Binding zu einem weitaus geringeren Ausmaß erleben, da sie möglicherweise einfach nicht so sehr in der Lage sind, Informationen aus der Umwelt herauszufiltern und zu nutzen. Binding könnte jedoch auch im Laufe unseres Lebens gleichbleibend sein und eine integrierte, unveränderliche Art des Erlebens und Lernens über die Welt reflektieren. Was auch immer das Ergebnis sein wird, könnte uns diese Forschung Informationen unschätzbaren Werts darüber liefern, wie wir die Welt verstehen lernen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image „Backward Clock“ by Kith Evans (CC BY 2.0)


ist Doktorandin in Psychologie an der Queens Universität Belfast. In ihrer Dissertation untersucht sie Zeit und Kausalität in der kognitiven Entwicklung.


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