Vorsicht vor digitalen Unternehmern, die ihre eigenen Schulen eröffnen

Für die Kinder, die Computerspiele lieben, könnte ein Traum wahr werden. Anfang Februar hat die britische Bildungsministerin Nicky Morgan verkündet, man plane die Eröffnung von zwei neuen, freien Schulen im Jahr 2017. Die Schulen in London und Bournemouth würden sich auf Programmierkenntnisse spezialisieren, da sie von Ian Livingstone, einem Unternehmer für Videospiele, der auch wichtiger Akteur bei der kürzlichen Einführung von Informatik als Fach im Lehrplan war, gegründet werden. Livingstones Mitwirkung an Schulen zeigt wieder einmal, wie Bildungspolitik von hochkarätigen Geschäftsleuten beeinflusst wird. Dabei verändern sie die Rolle der Schulen und machen daraus eher ein Geschäft als eine demokratisch geführte öffentliche Einrichtung. Laut der umstrittenen Veröffentlichung des Bildungsministeriums, welche alle Schulen ermutigt, sich großen Konzernen anzuschließen und Elternsprecher durch Profis zu ersetzen, sind die zwei neuen Schulen – genannt Livingstone-Akademien – typisch für die zukünftige Richtung, in die die Schulen sich entwickeln: es gibt mehr privaten Einfluss und weniger demokratisches Bürgerengagement.

Lobbyismus in der Bildung

Livingstone ist bekannt für seine Rolle als Unternehmer für Videospiele. Als er Vorstandsvorsitzender von Eidos war, brachte er die erfolgreiche Spieleserie Tomb Raider auf den Markt. Das Wired Magazine benannte ihn als einen der einflussreichsten Personen in der digitalen Wirtschaft im Vereinigten Königreich. 2011 hat Livingstone einen Bericht namens „Next Gen“ (deutsch: Nächste Generation) mit Forschern der Nesta-Stiftung verfasst, der das Wachstum des digitalen Sektors unterstützt. Ihr Bericht forderte mehr “konsequenten Informatikunterricht in den Schulen” und empfahl, Informatik auf den nationalen Lehrplan für englische Schulen zu setzen. Beauftragt von Ed Vaizey, dem Minister für Kultur, Kommunikation und Kreativbranchen, sollte der Artikel einen Überblick über die notwendigen Fähigkeiten in der Videospiele- und Spezialeffekteindustrie geben, welche schon lange als ökonomisch wertvoller Sektor der Wirtschaft des Vereinigten Königreichs gesehen wird. Die anschließende Bildung einer Lobbyismusvereinigung, die sich des Themas der Studie annahm, bestehend aus Nesta, Google und Microsoft, überzeugte das Bildungsministerium letztendlich im Jahr 2013, die Entwicklung eines neuen Informatiklehrplans zu unterstützen. Livingstone selbst bleibt Vorsitzender der Gruppe und arbeitet mit Nesta zusammen daran, Kooperationen zwischen Industrie, Politik und Lehrkräften herzustellen. Livingstones Lehrstätten erweitern seinen Einfluss vom Politiklobbyismus auf der Nachfrageseite auf die direkte Angebotssteuerung von Bildungseinrichtungen.

Schulgründungen

Während ihre Eröffnung in Kooperation mit dem Aspirations Academies-Konzern, einem erfolgreichen multiakademischen Konzern und Partner des Quagila Institute, geplant ist, konzentrieren sich die Livingstone-Akademien auf die “kreative Anwendung von digitalen Technologien”. Ihr Ziel ist es, Schüler mit “den erforderlichen Fähigkeiten und Qualifikationen, die es für das Spielen einer aktiven und erfolgreichen Rolle in der heutigen wissensbasierten, unabhängigen, hart umkämpften, sich schnell verändernden digitalen Welt bedarf”, auszustatten. Auf der Website der Schulen steht, dass sie in einer “Kooperation mit der digitalen Industrie” geführt werden “damit sichergestellt ist, dass die Schüler die Fähigkeiten und das Wissen, das besonders wichtig für ein erfolgreiches Leben als ein digitaler Bürger im modernen Europa ist”, erwerben. In der Praxis zeichnen sich die Schulen durch fachspezifische Einrichtungen wie wissenschaftliche Labore, Designstudios und sogar vor Ort als “Wirtschaftsstandorte für das Start-up und High-Tech-Geschäft” aus. Der Schwerpunkt, junge Leute auf die Arbeit und ihr Bürgertum in der digitalen Wirtschaft vorzubereiten, untermauert viele der wesentlichen Forderungen, die Livingstone selbst erstellt hat, während er den Bericht überwacht hat. Aus politischer Sicht handelt es sich eindeutig um eine erfolgreiche Kampagne. In der Pressemitteilung der Regierung, die die neuen Schulen ankündigt, sagt Morgan:

Das Programm der freien Schulen erweist sich als ein wichtiger Schmelztiegel für die kreativsten und innovativsten Köpfe unserer Gesellschaft, sodass ihre hervorragenden Leistungen an zukünftige Generationen weitergegeben werden können.

Livingstone sagte, er hofft, dass sein Spielzug “andere digitale Unternehmer ermutigt, die Gelegenheit, die sich durch das Programm der freien Schulen anbietet, zu ergreifen, um Kindern zu helfen, eine passende Ausbildung für die Arbeitsplätze und Möglichkeiten in der digitalen Welt erhalten.

Politische Unternehmer

Die Errichtung der Livingstone-Akademien ist Teil einer umfassenderen Reformbewegung, die sowohl in den USA als auch im Vereinigten Königreich stattfindet. Unternehmen und Unternehmer springen momentan auf eine neue Schulpolitik auf, um ihre eigenen Interessen in der Bildung voranzutreiben. Dies findet oft durch gemeinnützige Stiftungen und Konzerne oder auch durch Lobbyorganisationen statt. Da ihnen die Geschwindigkeit, mit der sich Bildung verändert, zu langsam ist, haben US-Unternehmer, beipsielsweise Computerfirmen wie Google und IBM sogar stattdessen begonnen, eigene alternative Schulen zu gründen. Die Livingstone-Akademien zeigen, wie freie Schulpolitik und Unternehmensvorschläge unternehmerischen Einfluss in englischen Schulen immer mehr möglich machen. In diesem politischen Kontext werden gemeinnützige Geschäftsleute wie Livingstone wichtige politische Unternehmer. Sie können die nationale Politik durch Lobbyarbeit beeinflussen und gleichzeitig Schulen ganz nach ihren Privatinteressen betreiben. Wie der Informatiklehrplan werden Livingstone-Akademien generell so aufgebaut, dass sich staatliche Programme nach der Digitalwirtschaft richten. Diese Programme werden von Unternehmern wie Livingstone gesteuert und dadurch verwirklicht, dass Schulen eher als Unternehmen geführt werden, die die Schüler zu kleinen digitalen Unternehmern der Zukunft erziehen. Gegenwärtige Richtlinien macht es zunehmend möglich und erstrebenswert für Unternehmer, Bildungsreformen sowohl zu nachzufragen als auch zur Verfügung zu stellen. Die Privatwirtschaft hält so über gemeinnützige Konzerne und Stiftungen Einzug, um die demokratische Debatte und Zusammenarbeit in der Schulbildung zu verdrängen. Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image (adapted) „classroom-laptops-computers-boy“ by r.nial bradshaw (CC BY 2.0)


ist Dozent an der University of Stirling in Schottland. Zuvor arbeitete er an der University of Exeter and Futurelab. Seine Forschungen beziehen sich vorwiegend auf Bildungspolitik und Bildungstechnologien, ausgehend von einer kritischen und soziologischen Perspektive.


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