Law and Order and Robots: Wie Geschworene den Tatort virtuell besichtigen können

Geschworene dürfen nur selten Tatorte besichtigen. Es gibt Ausnahmen, meist in schwierigen, namhaften Fällen wie die O.J. Simpson-Verhandlung im Jahr 1995 in den USA und der Fall Jill Dando im Jahr 2001 in Großbritannien. Doch Geschworene zu bitten, zu Ermittlern zu werden, birgt eine Vielzahl an Problemen – von möglicher Voreingenommenheit bis hin zu logistischen und sicherheitstechnischen Herausforderungen des Transports an den Tatort. Eine Ortsbesichtigung der Geschworenen im Fall Dando erforderte einen Konvoi von fünf Fahrzeugen, um die Geschworenen, die Anwälte, den Richter und die dazugehörige Polizeieskorte vorbei an Polizeibarrikaden und Nachbarn, Journalisten sowie anderen Schaulustigen an den Tatort zu transportieren. Es wurde ein regelrechtes Medienspektakel daraus. Doch die sich rapide weiterentwickelnde Technologie in den Bereichen Bildgebung, Robotik und künstlicher Intelligenz kann diese Problematik möglicherweise vermeiden, indem sie die Richter und Geschworenen virtuell an den Tatort teleportiert, ohne dass sie den Gerichtssaal dafür verlassen müssen. Diese Besichtigungen können den Geschworenen dabei helfen, die Strafverfolgung und die Verteidigung zu beurteilen. Im Mordprozess des Musikproduzenten Phil Spector im Jahr 2007 argumentierte die Verteidigung beispielsweise, dass ein großer Springbrunnen am Ort des Geschehens die Ursache dafür sei, dass ein Zeuge, der gehört haben wollte, wie Spector sich des Verbrechens bekannte, sich ebensogut verhört haben könne. Indem sie den Ort besuchten, konnten die Geschworenen beurteilen, wie wahrscheinlich dies war, und außerdem ein besseres Verständnis dafür gewinnen, wie die Abfolge der Ereignisse gewesen sein muss. Doch wenn die Geschworenen einen Tatort besuchen, dann kann es sein, dass dieser nicht in demselben Zustand ist wie am Tag des Verbrechens. Im Simpson-Prozess gab es zum Beispiel schwerwiegende Beschwerden, dass die Szenerie inszeniert und Gegenstände neu arrangiert worden seien. Und je länger ein Verbrechen her ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Gegebenheiten am Tatort sich verändert haben. Die Gerichte haben sich traditionell auf kriminaltechnische Abteilungen verlassen, um visuelle Beweise im Gericht zu erbringen. Eine Alternative wäre, die Tatorte selbst zu besuchen. Ermittler der Spurensicherung sammeln und benutzen Beweise, um die präzise Abfolge der Ereignisse, die sich während eines Verbrechens abspielten, nachzubilden. Teile dieses Rekonstruktionsprozesses sind Fotografien und Skizzen, letztere hauptsächlich handgefertigt. Fotos vermitteln ein eingeschränktes Bild des Tatorts und bewegen sich innerhalb des Sichtfelds des Fotografen und unterliegen seiner Interpretation des Schauplatzes und der Wichtigkeit, die er verschiedenen Beweismitteln zuschreibt. Videos können mehr Details des Schauplatzes wiedergeben, sie liefern aber ebenso ein eingeschränktes Sichtfeld für den Betrachter. Zeichnungen und Lagepläne legen die Szenerie in einer Art und Weise dar, wie es weder Fotos noch Videos vermögen. Sie bieten einen generellen Überblick des Schauplatzes sowie der präzisen Lage der Beweisstücke. Doch auch sie vermitteln naturgemäß ein weniger realistisches Bild des Tatorts, da sie sogar noch stärker der Interpretation des Zeichners unterliegen. Gleichzeitig können Fotos und Videos in 3D-Computer-Animationen verwandelt werden, aber dennoch bleiben sie subjektiv und können – je nachdem, durch welche Seite sie präsentiert werden – sogar für den spezifischen Fall angepasst worden sein.

Immersive Beweise

Wie dem auch sei, es gibt aufkeimende neue Technologien, die es Tatortermittlern ermöglichen können, ein deutlich umfassenderes und repräsentativeres Bild des Tatorts einzufangen und zu übermitteln, indem sie 3D-Bildverarbeitung, Panorama-Videos, Robotik und virtuelle Realität einsetzen. Beispielsweise nutzen Forscher der Universität Staffordshire unter der Leitung von Caroline Sturdy Colls Greenscreens, Videospiel-Software und die neuesten Virtual-Reality (VR)-Headsets (unter anderem Oculus Rift und HTC Vive), um digital virtuelle Tatorte abzubilden. Die Geschworenen könnten durch die 3D-Welten spazieren und unverzichtbare Details der Szenerie untersuchen. Anders als ein bearbeitetes Video, das produziert wird, um die Geschworenen zu überzeugen, ist diese Form des Beweises eine einfache Dokumentation des Schauplatzes. Natürlich erfordert dies, dass diejenigen, die die Daten sammeln, objektiv das Geschehen dokumentieren und es weder inszenieren noch verfälschen. Eine Problematik der 3D-Abbildungen und computergenerierten Simulationen auf Basis virtueller Realität ist, dass sie teure Headsets und hochspezifische Computer benötigen. Die VR-Systeme der ersten Generation wie HTC Vive (759 britische Pfund), PlayStation VR (350 britische Pfund) und Oculus Rift (549 britische Pfund) haben einen sehr hohen Anschaffungspreis gemein – und keines von ihnen funktioniert ohne einen entsprechenden VR-fähigen Computer oder eine Konsole. Um dieses Problem zu lösen, entwickeln meine Kollegen und ich an der Universität Durham ein Robotersystem, das vom Mars Rover der NASA inspiriert ist, und das umfassendes Videomaterial von Tatorten sammeln kann. Dieser MABMAT nimmt 360 Grad-Videos und -Fotos auf, die auf jedem Computer oder Smartphone mit einer passenden App abgespielt werden können. Mit einem einfachen Adapter-Headset wie dem Google Cardboard für 10 britische britische Pfund kann eine ähnliche VR-Erfahrung kreiert werden wie es die oben genannten Technologien können – jedoch zu einem Bruchteil der Kosten. Es ist kein Rendern der 3D Grafiken nötig, auch keine leistungsstarken Computer, und dennoch fängt es die akkuratesten Bilder des Tatorts aus jeder Perspektive ein. Die Benutzer können ihren Kopf drehen, nach oben und unten schauen, sowie hinein- und herauszoomen. Nicht nur, dass diese Systeme den Geschworenen im Gerichtssaal behilflich sein können, sie können darüber hinaus den Ermittlern ermöglichen, den Tatort jederzeit wieder in dem Zustand zu besuchen, in dem er zum Zeitpunkt der ersten forensischen Untersuchung war. Die Informationen können auf drei verschiedene Arten gesammelt werden: Ein Tatortermittler könnte einen vordefinierten Pfad für den Roboter vorgeben, der von dort aus HD-Bilder und-Videos aus einer 360 Grad-Perspektive aufnimmt. Er könnte auch durch eine Fernbedienung, ein Smartphone oder ein Tablet via Bluetooth gesteuert werden. Der Roboter könnte ebenso mithilfe von Ultraschall, Bewegungs- und Infrarot-Sensoren ganz alleine innerhalb des Tatorts navigieren und Bilder sowie Videos aufnehmen. Das komplette Setup kommt auf einen Gesamtpreis von nur 299 britische Pfund – und die Kosten dürften künftig sogar noch sinken, wenn erschwingliche Open Source Roboter-Kits rund um günstige Computersysteme wie Raspberry Pi und Arduino gebaut werden. Eine andere Entwicklung könnte der Einsatz von Googles Tango-Projekt sein, das 3D-Bilder von Schauplätzen und Umgebungen in Echtzeit rendern kann, und somit Tatort-Skizzen ersetzen könnte. Auf diese Weise könnte eine umfassende Erfahrung mit Bewegungsverfolgung kreiert werden, die die präzise Distanz zwischen Objekten und Positionen der Beweismittel am Tatort hervorhebt. Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation“ unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image „polizei“ by bykst (CC0)


ist Pädagoge an der Universität von Durham, Forscher in der Gerichtsmedizin und den strafrechtlichen Untersuchungen sowie Rechtsanwalt. In seinem PhD für Gerichtsmedizin und strafrechtlichen Untersuchungen liegt der Fokus auf Tatortuntersuchung.


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