NSA-Untersuchungsausschuss: Urteil zu Selektoren-Liste enttäuschend

Das Bundesverfassungsgericht hat es abgelehnt, die Bundesregierung zu verpflichten, dem NSA-Untersuchungsausschuss die von der NSA angefertigten Selektoren-Listen herauszugeben. Das ist enttäuschend, denn so ist eine gründliche Aufklärung geheimdienstlicher Kompetenzüberschreitungen schwer bis gar nicht möglich. Noch größer wird diese Enttäuschung angesichts der Tatsache, dass viele Aktivisten im Bundesverfassungsgericht den letzten Garanten von Bürgerrechten in Deutschland sehen.

Verfassungsrichter entscheiden gegen NSA-Untersuchungsausschuss

In einem Beschluss vom 13. Oktober erklärt das höchste deutsche Gericht, dass die Bundesregierung nicht verpflichtet ist, dem NSA-Untersuchungsausschuss, wie von diesem gefordert, die von der NSA erstellten Selektoren-Listen herauszugeben. Als „Selektoren“ bezeichnen die Geheimdienste Kriterien, anhand derer Telekommunikation zum Überwachen ausgewählt wird, etwa bestimmte Stichworte, Kommunikationspartner oder IP-Adress-Räume. Die NSA stellte für den Bundesnachrichtendienst (BND) Listen mit Selektoren zusammen, die dieser am deutschen Netzknotenpunkt De-Cix überwachen sollte. Diese sind seit Jahren Gegenstand der Diskussionen im Umfeld des NSA-Untersuchungsausschusses, der Kompetenzüberschreitungen bei den beteiligten Geheimdiensten aufdecken soll.

Zur Begründung des Beschlusses erklärt das Bundesverfassungsgericht in einer Pressemitteilung: „Zwar umfasst das Beweiserhebungsrecht des Untersuchungsausschusses dem Grunde nach auch die NSA-Selektorenlisten. Die Selektorenlisten berühren aber zugleich Geheimhaltungsinteressen der Vereinigten Staaten von Amerika und unterliegen deshalb nicht der ausschließlichen Verfügungsbefugnis der Bundesregierung.

„Eine Herausgabe unter Missachtung einer zugesagten Vertraulichkeit und ohne Einverständnis der Vereinigten Staaten von Amerika würde die Funktions- und Kooperationsfähigkeit der deutschen Nachrichtendienste und damit auch die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung nach verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Einschätzung der Regierung erheblich beeinträchtigen. Das Geheimhaltungsinteresse der Regierung überwiegt insoweit das parlamentarische Informationsinteresse, zumal die Bundesregierung dem Vorlageersuchen in Abstimmung mit dem NSA-Untersuchungsausschuss so präzise, wie es ohne eine Offenlegung von Geheimnissen möglich war, Rechnung getragen hat.“

Aufklärung gegen Widerstände

Es ist bedauerlich, dass sich die Bundesregierung, die dem NSA-Untersuchungsausschuss von Anfang an die Arbeit schwer macht, in diesem Fall mit ihrer Einschätzung durchgesetzt hat. Wieder einmal werden angebliche Bündnisverpflichtungen und die in den letzten Jahren zunehmend unverhältnismäßig in den Vordergrund der Innenpolitik gerückte innere Sicherheit vor das Interesse der Bevölkerung am Schutz vor unverhältnismäßigen Eingriffen in ihre Bürgerrechte, hier in Form einer Aufklärung geheimdienstlicher Kompetenzüberschreitungen, gestellt. Wieder einmal wird das Schreckgespenst einer angeblichen Einstellung der Geheimdienst-Kooperation durch die USA an die Wand gemalt, um allzu gründliche Aufklärungs-Bemühungen des Ausschusses zu unterbinden.

Dabei ist mehr als fraglich, ob die betreffende Selektoren-Liste tatsächlich für irgendwelche Sicherheits-Belange bedeutsam ist. Wie die mit der Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses hervorragend vertraute Berliner Journalistin Anne Roth auf Twitter anmerkt, handelt es sich dabei nämlich keineswegs um Selektoren, auf die hin tatsächlich eine Telekommunikations-Überwachung durchgeführt wurde. Vielmehr geht es um die Selektoren, die von den deutschen Behörden aufgrund von Verstößen gegen deutsches Recht oder deutsche Interessen abgelehnt wurden.

Karlsruhe:  Nicht immer die letzte Hoffnung

Das Urteil ist umso bedauerlicher (aber auch lehrreich?), da es von einer Instanz kommt, in die manche Bürgerrechts-Aktivistinnen und -Aktivisten nahezu unbegrenztes Vertrauen zu hegen scheinen. Immer wieder berufen sich manche Menschen in der Bürgerrechts-Bewegung auf Karlsruhe als rettende Instanz, die die Überwachungs-Gesetze der Bundesregierung rückgängig machen oder zumindest einschränken soll.

Das aktuelle Urteil zeigt, dass das nicht immer klappt. Damit soll das Bundesverfassungsgericht keineswegs pauschal verurteilt oder sein Beitrag zur Eindämmung exzessiver Überwachung in Deutschland, gerade in den letzten Jahren, bestritten werden. Das Urteil ruft aber wieder einmal ins Gedächtnis, dass auch die Verfassungsrichter nicht immer im Sinne der Bürgerrechte und ihrer Verteidigerinnen und Verteidiger entscheiden. Das sollten diese engagierten Menschen im Hinterkopf behalten und sich stets fragen, ob es womöglich auch einen alternativen (politischen) Weg gibt statt des juristischen.

Verpasste Chance

Die Geheimdienste, das ist leider ein offenes Geheimnis, neigen zu Kompetenzüberschreitungen, Machtmissbrauch und skrupellosen Mauscheleien hinter verschlossenen Türen. Umso wichtiger ist eine unabhängige Aufsicht und Kontrolle. Diese wird leider oft erschwert und behindert von den oben genannten Bündnis- und Sicherheitserwägungen.

Für den NSA-Untersuchungsausschuss wären die abgelehnten Selektoren interessant gewesen, um Einblick in die Denk- und Arbeitsweise der NSA, aber auch das Verhältnis des BND zu dieser zu bekommen. Die verpasste Chance ist daher sehr schade. Ob durch den Beschluss tatsächlich „nicht die Gefahr des Entstehens eines kontrollfreien Raumes und damit eines weitgehenden Ausschlusses des Parlaments von relevanter Information“ besteht, darf leider bezweifelt werden.


Image “writing” by Unsplash (CC0 Public Domain)


schreibt regelmäßig über Netzpolitik und Netzaktivismus. Sie interessiert sich nicht nur für die Technik als solche, sondern vor allem dafür, wie diese genutzt wird und wie sie sich auf die Gesellschaft auswirkt.


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