Das Ende des Börsenkapitalismus: Thomas Sattelberger über das Design von Ökologien

Wer über Transformation redet, müsse sich auch selber ein Stück transformieren, so das Credo von Thomas Sattelberger in einer Paneldiskussion mit Heinrich Arnold, Chef der Telekom-Unternehmensberatung Detecon auf der Kölner Konferenz #NectAct2020.

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Das gilt auch für die neue Phase des politisch Spätberufenen ehemaligen DAX-Vorstand, der mit Ende 60 in den Deutschen Bundestag eingezogen ist. Erste Erfahrung: „Das Politiksystem ist noch ein Stück hinterhältiger als das Konzernsystem“, so Sattelberger. Letztlich haben wohl alle großen Organisationen ihre Tücken – das gilt für Parteien, Fraktionen und auch Firmen.

Shenzhen in Deutschland

Das wichtigste Ziel von Sattelberger in den nächsten Jahren: Die Schaffung digitaler Sonderwirtschaftszonen. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Shenzhen in Deutschland brauchen. Der Fokus auf einzelne Startup-Unternehmen greift zu kurz.“

Das Gleiche gilt wohl auch für Hubs, Labs und sonstige kleinteilige Maßnahmen, um die Gründertätigkeit im digitalen Kontext in Schwung zu bringen. Nach den Zahlen der Kfw bewegen wir uns bei neuen Unternehmen von einem Negativrekord zum anderen. Und das liegt nicht nur an der guten Konjunktur.

„Wir brauchen kreative Ökologien, wo tradierte Firmen mit frischen und jungen Gründerinnen und Gründern zusammenkommen, wo Regelwerke im Arbeitsrecht, Baurecht und Verwaltungsrecht wegfallen, so dass man mit anderen Qualitäten auf der Grünen Wiese wieder Innovationen machen kann“, fordert Sattelberger.

Thermomix wiederholen?

Sollte man dabei dem amerikanischen Weg folgen, der global und zerstörerisch ausgerichtet sei, fragte Arnold in der Kölner Gesprächsrunde. Solle man dem chinesischen Modell folgen, der über Schutzmechanismen läuft? Oder gibt es einen europäischen Weg bei der digitalen Erweiterung des Existierenden? Könne man den Thermomix wiederholen, der eine Metamorphose hinlegte vom popligen Rührmixer zum cyber-physischen Alleskönner? Zur Zeit sieht es nicht danach aus.

„Das weltweit renommierteste Ranking, das des IMD in Lausanne, legt schonungslos offen: Bei Innovation fällt unser Land immer weiter zurück. Horst Seehofer würde sagen: Die Heimat bröckelt. 2014 lag die Innovationskraft dieser Heimat noch auf Platz 6 – heute auf Platz 13. Bei Digitalisierung gar auf Platz 17. Systematischer Sinkflug“, kritisiert Sattelberger. Deutschland laufe Gefahr, „bei Technologien wie Cloud Computing und Künstlicher Intelligenz massiv zurückzufallen“. Zudem hätten die USA und Japan bei den überlebenswichtigen transnationalen Patenten für Industrie 4.0 Deutschland abgehängt. „Im Exportanteil von Spitzentechnologie liegen Schweiz, USA, selbst Frankreich vorne. Deutschland hinkt inzwischen hinterher.“

Erfolgreiche Industrien aus der Kaiserzeit

Wir würden uns auf Industrien ausruhen, deren Ursprung in der Kaiserzeit liegt. Auch die Innovatorenquote im hochgelobten Mittelstand habe sich den vergangenen zehn Jahren fast halbiert. Dies gelte zwar nicht für die 1.600 Hidden Champions hierzulande. „Aber hunderttausende Mittelständler, oft Zulieferer im ländlichen Raum, leiden unter Fachkräftemangel, Digitalisierungsdefiziten, Investitionsschwäche“.

Immerhin bekenne sich die Große Koalition im Koalitionsvertrag zur Förderung von Sprunginnovation. Dies sei überfällig. Denn Deutschland laufe Gefahr, zur Werkbank des Silicon Valley zu verkümmern. 

Agentur für radikale Innovation

Sattelberger fordert eine Agentur für radikale Innovation, wie in der Schweiz, USA und China seit Jahrzehnten etabliert und innovative Freiheitszonen wie Sophia Antipolis in Südfrankreich: „Ich glaube an das Design von Ökologien. Es gibt wunderbare Untersuchungen, warum die Regionalförderung im Silicon Valley funktionierte und beim Projekt Route 128 scheiterte. Letzteres war vertikal und zentralistisch durchorganisiert. Es gab keine Kooperationen und keine Netzwerkstrukturen. Im Silicon Valley ist sind die Sprungkräfte über Netzwerk-Ökologien ausgelöst worden“, erläutert Sattelberger. Alles nachzulesen im Opus von Annalee Saxenian „Regional Advantage – Culture and Competition in Silicon Valley an Route 128“. [PDF]

Company Rebuilding vonnöten

Das von Detecon auf die Tagesordnung gebrachte Thema Company Rebuilding sei nicht nur für große Organisationen relevant. Das gelte auch für die mittelständisch geprägte Optikindustrie in Oldenburg, für die Feinmechanik im Schwarzwald oder für die Medizintechnik in Tuttlingen. Wenn diese Regionen sich nicht in kreative Ökologien weiterentwickeln, werden diese Unternehmen nicht überleben, meint der FDP-Politiker. Gefragt sei ein Talentmagnetismus, menschliche Begegnungsmöglichkeiten und nicht die einseitige Fixierung auf einzelne Unternehmen. Fragwürdig seien auch die Ausgründungen, die von Siemens und Bayer betrieben werden.

„Man bringt sie an die Börse und steuert sie nach der Quartalslogik des Finanzmarktes. Damit nimmt man diesen Firmen die Chance, exponentiell zu wachsen“, warnt Sattelberger. Persönlich ist er davon überzeugt, dass das Ende des Börsenkapitalismus eingeleitet sei. Wer ein junges Unternehmen an die Börse bringe, versündigt sich an der Gestaltungskraft dieses Unternehmens.

Das Notiz-Amt wartet gespannt auf die Sonderwirtschaftszonen und auf das Ende des Börsenkapitalismus :-)

ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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