Die Stadtpolitik des Parkour: Wie Traceure durch Sport die Stadt wiederentdecken

Parkour, wie wir es heute kennen, wurde von neun jungen Männern in Paris erfunden. Die als Yamakasi-Gruppe bekannten Personen trainierten zusammen eine Sportart, die sie „l’art du placement“ nannten: eine spektakuläre und kontrollierte Art der Bewegung. Doch das war zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Mittlerweile ist Parkour ein globales Phänomen und die Traceure – das sind diejenigen, die Parkour betreiben – suchen sich  laufend, springend, kletternd und rollend ihren Weg durch Städte überall auf der Welt, selbst im Gaza-Streifen.

 Auftritte in Hollywood-Filmen und TV-Dokumentationen haben das Ansehen von Parkour gesteigert, Millionen von Zuschauern sind von seinem Anmut und seiner Dynamik begeistert und ermöglichten den Aufstieg einer globalen Bewegung Gleichgesinnter, die alle lernen wollten, sich auf diese unglaubliche Art zu bewegen.

Heute ist Parkour ein angesehener Sport. Viele Einrichtungen bieten Trainingslager und regelmäßige Kurse an – einige haben sogar speziell konzipierte Parkour-„Parks“ errichtet. In lediglich einem Jahrzehnt wuchs Parkour von einer Nischenaktivität, die viele Stadtbeamte als asozial ansahen, zu einer international anerkannten (und nebenbei bemerkt sehr lukrativen) Sportart heran.

Spielerische Politik

Natürlich beinhaltete Parkour immer schon ein politisches Element. Wie auch andere „asoziale“ städtische Aktivitäten, die weltweit übernommen wurden, wie beispielsweise Skateboard fahren und Graffiti, kann auch Parkour den Läufern ein Gefühl der Rebellion gegen das „Establishment“ bieten. Tatsächlich versuchen einige Vertreter von Städten immer noch, Traceure strafrechtlich zu verfolgen, während actionreiche Blockbuster die subversive Seite des Parkour hochspielen.

In der Tat jedoch engagieren sich die Parkour-Läufer auf verspielte Weise in der städtischen Politik. Dieser Sport regt die Menschen aktiv dazu an, die Stadt als einen Spielplatz anzusehen. Traceure behaupten, das „Parkour-Auge“ zu haben, welches ihnen erlaubt, die Stadt wie ein Kind zu sehen: als Spielplatz, den es zu erkunden gilt, statt als System der Einengung.

Über Poller springen, Wände emporklettern oder über Betondächer rollen: diese spektakulären Bewegungen zeigen, wozu der menschliche Körper in der Lage ist – doch sie zeigen auch auf, wie man sich in der Stadt auf völlig unterschiedliche Arten fortbewegen kann. In frühen Filmen und Videos werden die spektakulären sportlichen Aktionen der Traceure bewusst mit Teilen der Stadt in Kontrast gesetzt, die statisch und abgegrenzt sind.

Die Freiheit der Bewegung, die Parkour ermöglicht, war, und ist immer noch ein fundamentaler Teil dessen Philosophie. Dies macht Parkour auch von Anfang an politisch. Sich durch die Stadt zu bewegen, auf Arten, für die sie nicht konzipiert wurde, ist eine befreiende Erfahrung. Parkour ist ebenso eine Reaktion auf die fortschreitende Einschränkung der Bewegungsfreiheit in modernen Städten: es erlaubt den Traceuren, ihre Städte auf völlig andere Arten wieder zu entdecken und gleichzeitig architektonische Einschränkungen wie Mauern, Zäune und Treppenhäuser zu überwinden.

Die Politik des Parkour ist vielleicht „weicher“ als die anderer Subkulturen, wie Skateboarding oder Graffiti, die eine subversivere Vergangenheit haben. In der Tat kann man viele Parallelen ziehen zwischen Parkour und den Philosophien der Kampfkünste, vor allem, wenn es um das Engagement des Praktizierenden, Körper und Geist zu trainieren, geht.Dennoch ist Parkour nicht weniger politisch aussagekräftig: es bietet einen Weg, das Kontrollsystem einer Stadt durch kreative Bewegung in einer städtischen Umgebung aufzuzeigen.

Ein soziales Netzwerk

Darüber hinaus ist Parkour von Beginn an eine soziale Aktivität. Während die meisten Videos und Bilder von Parkour sich auf Einzelpersonen  konzentrieren, trainieren Traceure tatsächlich zusammen in Gruppen. Dieser soziale Aspekt ist ein wichtiges Kontrollinstrument gegen die Verführung der Selbstdarstellung. Sie sammeln sich vielleicht in erlaubten Parks (die oftmals eine Eintrittsgebühr verlangen), öfter jedoch in „Hot Spots“: städtische Räume, die ungewollt bereits die perfekte Architektur bieten.

Einer dieser Plätze war Vauxhall Walls in London, ein Zementgarten für den nächstgelegenen Wohnblock. Obwohl die Einwohner die Traceure immer wieder darum baten, den Platz zu verlassen, wurde dieser zu einem der beliebtesten Londoner Parkour-Locations. Im Jahr 2016 jedoch wurde der Platz mit Landschaftsgärten und Wasserarrangements „verschönert“, und ist nun nicht mehr zum Trainieren von Parkour geeignet. Dieser Prozess trägt zu anderen städtischen Problemen wie Gentrifizierung bei – ebenso ein Problem, mit dem Londons Skateboarder aus der Southbank zu kämpfen hatten.

Der soziale Aspekt des Parkour geht auch weiter über das Training hinaus. Neben der Suche nach neuen Plätzen und dem Entwickeln neuer Bewegungen filmen sich Traceure oft gegenseitig. Die Filme werden dann ins Netz gestellt. Die virtuelle Community des Parkour ist immens wichtig. Es ermöglicht dem Sport, sich in neue Gebiete zu verbreiten, indem es Menschen ermöglicht, Videos von Traceuren vom anderen Ende der Welt zu sehen, mit ihnen in Verbindung zu treten oder ihre Bewegungen zu adaptieren.

Freiheit vor Unterdrückung

Parkour gibt Menschen eine Chance, ihre Bewegungsfreiheit auszudrücken, die der Infrastruktur einer Stadt wenig Achtung schenkt. Es ist eine hochgradig soziale Aktivität, welche gleichgesinnte Traceure zusammenbringt und ihnen die Chance gibt, sowohl physisch als auch politisch in ihrer Stadt aktiv zu sein. Möglicherweise ist gerade dies der Grund, warum Parkour gerade in den Teilen der Welt aufblüht, die unter extremen sozialen oder politischem Druck stehen. Beispielsweise gibt es eine wachsende Parkour-Gemeinschaft innerhalb der entrechteten Jugend in Gaza. Auch im Iran, wo die Rechte der Frau oft unterdrückt werden, gewinnt Parkour immer größere Beliebtheit unter den weiblichen Teilnehmern.

Parkour bietet einen Weg, sich aktiv in der Stadt zu engagieren, physisch, emotional und sozial. Es erfordert nicht mehr als zwei Hände, einen fitten Körper (was es natürlich für einige unzugänglich macht) und den Willen, die Stadt zu erkunden, über die Grenzen hinaus. Parkour ist also eine in sich politische Tätigkeit.

Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation“ unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image ”backflip” by rory3822 (CC0 Public Domain)


ist Dozent für Kulturgeographie an der Royal Holloway Universität in London. Sein Forschungsgebiet umfasst die Themenfelder der Kultur- und Sozialwissenschaften sowie Städtepolitik und die sozialen Verhältnisse in der Gesellschaft.


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , , , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert