Neue Provinz: Notizen vom Berlin Coworking Festival


Warum Neue Provinz? Die erste Ausgabe der neuen Kolumne erklärt die Titelwahl.


Berlin, Rosenthaler Platz. Wo Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ (Provisions Link) begann und das urbane Leben der Spreemetropole ein literarisches Denkmal bekam, drehte sich an einem Montagabend im September alles um Brandenburg. Genau genommen um Coworking Spaces in Brandenburg. Diesem eintönigen Stück von der Welt, welches sich wie eine Halsmanschette um Berlin legt und das Treiben der Großstadt festhält, vielleicht sogar auch Einhalt gebietet.

Brandenburg. Wald, Felder und die A9. Hier hat sich, im Windschatten von WeWork, Mindspace und dem betahaus, eine vitale Coworking-Szene entwickelt, die anlässlich des diesjährigen Berlin Coworking Festival nach Berlin-Mitte kam, um sich dem interessierten Publikum zu zeigen und zu erklären. Wieso in Brandenburg? Sind denn wirklich schon alle alten Fabrikgebäude unserer Hauptstadt umgenutzt, dass man wirklich aufs Land muss?

Coworking Spaces in Brandenburg

Die Gründe dafür sind verschieden. Während es für den Potsdamer Gründer Matthias Noack keine wirkliche Alternative gab, als in seiner Heimatstadt etwas wie das Coworking Space MietWerk aufzubauen, verschlug es Janosch Dietrich mit seiner Familie nach Klein Glien. Im dritten Anlauf hatten sie endlich einen Ort für ihre Idee von Urlaub und Arbeiten in der Natur gefunden. „Community and concentrated work in nature“ ist ihr Motto, kurz Coconat.

Als verrückte Pioniere könnte man beide abtun. Doch der Wahnsinn hat System, ist vielleicht sogar genial. Man kann heutzutage arbeiten wo man möchte, erklärt Janosch. Sein Coworking Space ist deshalb für die Menschen in Brandenburg und für die, die einmal dort hinwollen. Noacks zwei Coworking Spaces sind für Potsdamer*innen, die nicht isoliert von Zuhause arbeiten wollen. Stadtflucht und der Drang nach Gemeinschaft, zwei starke Motivationen.

Während vereinzelt Menschen wieder auf dem Land leben wollen, durch die Digitalisierung und der neuen Arbeitswelt ihre Berufe oft mitbringen, verlassen andere weiterhin den ländlichen Raum, wie Unternehmen und Banken. Zur letztgenannten Gruppe zählt die Sparda-Bank Berlin nicht, wie Antonia Polkehn erklärt. Ihr Arbeitgeber startet Anfang Oktober in Frankfurt (Oder) ein neues Filialkonzept – und das in einem Coworking Space.

In Berlin St. Oberholz diskutieren Janosch Dietrich, Matthias Noack, Antonia Polkehn und Torsten Kohn über Coworking in Brandenburg

Das BLOK O ist eine Kooperation der Sparda-Bank Berlin eG und des St. Oberholz. Der erste Coworking Space an der Oder und ein Zeichen, dass Unternehmen sich auch bewusst für strukturschwache Regionen entscheiden können, wenn sie etwas bewirken wollen. Torsten Kohn von der Wirtschaftsfördergesellschaft des Landkreises Märkisch-Oderland hofft auf Nachahmer, die dann in sein Coworking Space in die Alte Schule nach Letschin kommen.

Leben und arbeiten im ländlichen Raum

Wie wir arbeiten, sagt viel darüber aus, wie wir leben. Die Neue Provinz, sei es in Brandenburg, der Altmark oder in der Eifel, ist mehr als nur Coworking Spaces. Dies wurde bei der letzten Session des Berlin Coworking Festival, an einem Freitagnachmittag und wieder im St. Oberholz, von den geladenen Podiumsgästen sehr deutlich gemacht. Coworking ist ein Trend-Thema, der Kommunalpolitiker*innen wuschig macht, es braucht aber mehr (dafür).

Vor allem schnelles Internet, wie Ulrich Bähr aus der Praxis zu berichten weiß. Die letzten Monate tourte er mit dem aus zwei Containern auf Rädern bestehenden CoWorkLand durch Schleswig-Holstein (die Netzpiloten berichteten). Zugang zu schnellem Internet ist für die Menschen eine Grundlage, um zu arbeiten. Und um zu leben, verdeutlichte Silvia Hennig , die Gründerin von Neuland 21, ergänzend. Landleben braucht den (digitalen) Anschluss.

Anschluss auch an die Wissensquellen, die die Stadt mit ihren Institutionen und Communities immer noch darstellt. Fehlt dieser, sei es digital oder auch analog in Form einer Zuganbindung, wird es schwer, die Menschen vom Leben und Arbeiten auf dem Land zu überzeugen, schilderte Philipp Hentschel. Der Coworking-erfahrene Gründer und Blogger stellt Kreativorte in Brandenburg vor und kennt die Nöte von Initiativen auf dem Land selbst.

Netzpiloten-Kolumnist Tobias Kremkau moderiert die Diskussion zu Coworking im ländlichen Raum.

Schlechte Internetleitungen und Ärger mit dem Nahverkehr? Gemeint ist zwar Brandenburg, klingt aber auch verdächtig nach Berlin. Vielleicht gibt es in Wirklichkeit gar keine Lücke zwischen Stadt und Land, wie Mareike Meyn von der Andreas Hermes Akademie vermutet, sondern nur unterschiedliche Begriffe für die gleichen Probleme – egal wo in Deutschland. Und für die gleichen Lösungen, denn Coworking sagt man in der Stadt wie auf dem Land. ;-)


Images by Tobias Kremkau

ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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