Irgendwann in Cyborgland: Ghost in the Shell weicht den philosophischen Zukunftsfragen aus

Wie eng werden wir mit unserer Technologie in Zukunft zusammenleben? Inwiefern wird sie uns verändern? Und wie nah ist “nah”? Ghost in the Shell stellt sich eine futuristische, hochtechnologische, jedoch auch schmutzige und ghettoartige Metropole vor, die von Menschen, Robotern und technologisch erweiterten menschenartigen Cyborgs bewohnt wird.

Hinter Fähigkeiten wie übermenschlicher Stärke, Ausdauer und einem Röntgenblick, die alle durch körperliche Erweiterungen ermöglicht werden, liegt einer der transformativsten Aspekte dieser Welt, nämlich die Tatsache, dass wir als Cyborgs zwei Hirne statt nur einem besitzen können. Unser biologisches Gehirn – der “Geist” in der “Schale” – würde sich via neuralen Implantaten mit leistungsfähigen Computern verbinden, die uns blitzschnelle Reaktionen sowie erhöhte Kräfte im Bereich Schlussfolgerung, Lernen und Gedächtnis ermöglichen.

Im Jahr 1989, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, sah der japanische Künstler Masamune Shirow, der Verfasser der Mangaversion von Ghost in the Shell, voraus, dass diese Schnittstelle zwischen Hirn und Computer die fundamentale Einschränkung des Menschlichen überwindet: Dass unsere Gedanken in unseren Köpfen gefangen sind. In Shirows transhumaner Zukunft wären unsere Geister befähigt, herumzuwandern und Gedanken und Eindrücke an andere verbundene Hirne weiterzugeben, via Cloud in entfernte Geräte und Sensoren einzudringen und sogar in das Hirn eines anderen “hineinzutauchen”, um dessen Erfahrungen zu verstehen.

Shirows Geschichten mahnten ebenso einige der Gefahren dieses gigantischen technologischen Sprungs nach vorn an. In einer Welt, in der Wissen mit Macht gleichzusetzen ist, würden diese Schnittstellen der Hirnrechner neue Wege für Überwachung und Kontrolle der Regierung und neue Arten von Verbrechen wie beispielsweise den “Geistraub” – ferngesteuerte Kontrolle von Gedanken und Handlungen anderer, erschaffen. Trotzdem gibt es zu Shirows Erzählung auch eine spirituelle Seite: Dort könnte der Cyborgzustand der nächste Schritt in unserer Evolution darstellen und die Erweiterung der Perspektive und die Verbindung von Individualität mit einer Verbindung von Geistern ein möglicher Weg zur Erleuchtung sein.

Lost in translation

Stark anlehnend an die Neuerzählung der Version von Regisseur Mamoru Oshii aus dem Jahr 1995 präsentiert die aktuelle Hollywood-Interpretation mit Scarlett Johansson als Major einen Cyborg für Sektion 9, einer von der Regierung betriebenen geheimen Sicherheitsorganisation, die beauftragt ist, Korruption und Terrorismus zu bekämpfen. Der neue Film unter der Regie von Rupert Sanders ist visuell atemberaubend und die Geschichte stellt einige der besten Szenen des Animes liebevoll nach.

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Schade ist jedoch, dass Sanders’ Film sich betreffend der Kernfrage, wie diese Technologie den menschlichen Zustand verändern könnte, deutlich zurückhält. Wenn die Besetzung mit westlichen Schauspielern für die meisten Rollen schon nicht genug ist, übt er eine Form von kultureller Aneignung durch die Überlagerung des Mythos eines actiongeladenen amerikanischen Helden aus. Wer man ist, wird von den einen Handlungen in einer Art definiert, dass beinahe das genaue Gegenteil dieser Idee verkörpert wird.

Major kämpft die Schlachten ihrer Herren mit einer zunehmenden Zurückhaltung und hinterfragt die von ihr verlangten Taten, immer steht eine mögliche Flucht und ein Reflektieren im Raum. Sie ist keine Actionheldin, sondern jemand, der versucht, Fragmente von Bedeutung innerhalb der Existenz als Cyborg zusammenzufügen,  mit man sich ein lebenswertes Leben zusammensetzen kann.

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Eine Szene in der Mitte des Films zeigt noch schonungsloser die zentrale Rolle, die die Gedanken rund um die eigene Erschaffung spielen. Wir sehen den kompletten Zusammenbruch eines Mannes, der, seines ‚Geistes‘ beraubt, mit der Feststellung zu kämpfen hat, dass seine Identität mit falschen Gedanken eines Lebens, das nie gelebt wurde, und einer Familie, die niemals existierte, zusammengesetzt ist. Der Anime aus dem Jahr 1995 besteht darauf, dass wir lediglich aufgrund unserer Erinnerungen zu Individuen geworden sind. Während der neue Film den größten Teil des Geschichtsverlaufes beibehält, verweigert er sich den Schlussfolgerungen der Vorlage. Statt uns über unsere Erinnerungen zu definieren, sagt uns Majors Stimme, dass „wir an Erinnerungen hängen, als ob diese uns definieren, wir jedoch von unseren Handlungen definiert werden“. Vielleicht soll es beruhigend gemeint sein, für mich ist es jedoch verwirrend und entspricht nicht der Idee des ursprünglichen Films.

Der neue Film weicht ebenso von einer anderen Schlüsselidee aus Shirows Werk ab, dass der menschliche Geist, eigentlich sogar die gesamte menschliche Rasse, im Grunde aus Informationen besteht. Wenn der Anime aus dem Jahr 1995 die Möglichkeit behandelt, den Körper verlassen zu können, die das Bewusstsein in  höheren Ebenen befördert und man so „an allen Dingen teilhaben kann“, gibt die Neuverfilmung lediglich verschleierte Hinweise darauf, dass der Zusammenschluss von Geistern oder die Formung eines menschlichen Geistes mit dem Internet entweder positiv oder auch nur transformativ sein kann.

Offene Leben

In der  echten Welt sehen wir uns bereits jetzt mit dem Gedanken von verbundenen Geistern konfrontiert. Touch-Bildschirme, Tastaturen, Kameras, Handys oder gar die Cloud: Wir sind immer mehr direkt und unmittelbar mit einem erweiternden Kreis von Menschen verbunden, während wir unser privates Leben der  Überwachung und einer potenziellen Manipulation von Regierungen, Werbetreibende oder schlimmerem offenhalten.

Die Schnittstellen zwischen Hirn und Computern sind ebenso im Kommen. Es existieren bereits Hirnimplantate, die einige der Symptome von Hirnerkrankungen wie Parkinson und Depression lindern können. Andere werden entwickelt, um Beeinträchtigungen wie beispielsweise Blindheit oder gelähmte Gliedmaßen zu kontrollieren. Auf der anderen Seite wurde die ferngesteuerte Verhaltenskontrolle mit implantierten Gehirnstimulatoren mit verschiedenen Tierarten demonstriert – eine erschreckende Technologie, die – zumindest theporetisch – auch an Menschen angewendet werden könnte.

Die Möglichkeit, unseren Geist freiwillig zu verbinden, ist ebenso vorhanden. Geräte wie Emotiv sind einfache, tragbare, auf Elektroenzophalografie (EEG) basierte Geräte, die einige der von unserem Hirn ausgestoßenen charakteristischen Signale erkennen und intelligent genug sind, um diese Signale zu interpretieren und in nützlichen Output zu verwandeln. Beispielsweise kann ein mit einem Computer verbundenes Emotiv ein Videospiel mit den bloßen Gedanken des Trägers kontrolliert werden.

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Zu den Aspekten der künstlichen Intelligenz untersuche ich in meinem Labor bei Sheffield Robotics die Möglichkeit, Nachbildungen mit Robotern für Veranstaltungen zu bauen. Diese Verschmelzung solcher Systeme mit dem menschlichen Gehirn ist mit der heutigen Technologie bisher nicht möglich – es ist jedoch in den nächsten Jahrzehnten vorstellbar. Wer wäre nicht interessiert, wenn ein Implantat entwickelt werden würde, das unser Gedächtnis und unsere Intelligenz verbessern könnte? Solche Technologien zeichnen sich bereits am Horizont ab – und solche SciFi-Ideen wie bei Ghost in the Shell machen deutlich, dass wir gut daran täten, die Macht der fundamentalen Veränderung der condition humana nicht zu unterschätzen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation“ unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image (adapted) „Ghost in the Shell“ by Christian Frank (CC BY 2.0)


The Conversation

ist Professor für Kognitive Neurowissenschaft an der Sheffield Universität und Direktor von Sheffield Robotics, eines interdisziplinären gemeinschaftlichen Unternehmens der Sheffield


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