Videokolumne vom 1. Dezember 2013

In der Videokolumne heute unter anderem: Ein Berliner Start-Up erobert das Silicon Valley und Gedanken zum modernen Journalismus. Dazu szenisch dargestellte Youtube-Kommentare (ja, genau das). //von Hannes Richter

Lock (Bild: Matheepan Panchalingam [CC BY 2.0])

Es ist so eine Sache mit den Mediatheken und Videoplattformen: Für viele Digital Natives sind sie schon Fernsehersatz – vieles ist überall abrufbar, manches aber nur auf Zeit: Gerade die öffentlich-rechtlichen Programme in den Mediatheken der Sender sind oft nach einer Woche wieder offline. Verlängertes Fernsehen statt digitales Archiv. Bevor sie verschwinden, fischt Hannes Richter die besten Perlen des TV-Vielfalt aus den Online-Archiven und präsentiert sie in seiner wöchentlichen Kolumne.


BETRIEBSAUSFLUG: Inside Sillicon Valley

AUS DER MEDIATHEK – arte +++ laufende Reihe, nur online verfügbar: Wenn man sich bei einem Job trifft und gut versteht, dabei im Berliner Medienzirkus (es handelte sich um ein Promovideodreh für Volkswagen) so einiges gemeinsam durchsteht, dann freundet man sich schonmal bei Facebook an. Seitdem, es war im Sommer 2011, haben wir uns nicht mehr gesehen. Aber über Facebook konnte ich die Geschichte mit verfolgen: Wie Frederik und sein Team aus einer zündenden Idee (eine Echtzeitsuchmaschine für Twitter, so einfach und klar bedienbar und deswegen so überzeugend wie seinerzeit Google für das gesamte Netz) und nach einer durchschlagenden Crowdfunding-Kampagne inzwischen eines von Deutschlands spannendsten Start-Ups gemacht haben. Nun geht Frederik ins Silicon Valley. Bis Ende des Jahres will er sich um die Zukunft von tame.it kümmern (sprich: Investoren finden) und sich gleichzeitig ein bisschen umschauen. Für artes Online-Zukunftslabor „Future“ filmt er sich selbst „in Selfie-Perspektive“ (ja, das funktioniert wirklich!) und nimmt den Zuschauer mit auf einen Besuch in der Twitter-Zentrale, zum ersten Treffen mit dem Praktikanten vor Ort und an die Stanford University. Heraus kommt ein informativer Trip ins Mekka alles Digitalem und eine spannende Geschichte rund um Frederick selbst und tame.it. Die kurzen Clips sind auf arte future abrufbar und werden regelmäßig aktualisiert.


SCHWIERIGES INTERVIEW: Glen Greenwald lässt sich BBC-Fragen nicht gefallen

Ein Interview bestimmt den News Cycle: Das scharfzüngige Duell von Marietta Slomka und Sigmar Gabriel hat noch nie da gewesene Reaktionen hervorgerufen, über mehrere Tage hinweg. Dabei hatte man schon am Freitag den Eindruck, alles sei gesagt worden. Ohne dem vielen gesagten noch unnütz was hinzufügen zu wollen, möchte ich doch kurz noch einen Gedanken anbringen, der beim Vergleich mit einem anderen (naja, sagen wir:) schief gegangenen Interview auffällt. Vor ein paar Wochen hat die BBC-Journalistin Kirsty Wark in der Sendung Newsnight den Enthüllungsjournalisten Glen Greenwald interviewt. Wark könnte man durchaus als das britische Pendant zu Frau Slomka und Newsnight als das Heute Journal der BBC betrachten. Auch dieses Interview verläuft anders als geplant: Kirsty Wark bemüht sich verbissen, Greenwald etwas vorzuwerfen. Sie konfrontiert ihn mit der unbelegten Behauptung, durch die Enthüllungen Edward Snowdons, für den Greenwald als Sprachrohr fungiert, seien Menschen in Gefahr gekommen. Sie hält ihm vor, dass er sich als Richter über wichtige und unwichtige Nachrichten aufspiele. Höhepunkt ist die falsche Übersetzung eines aus dem Zusammenhang gerissenen Zitates in einer portugiesischen Zeitung. Glen Greenwald pariert die Vorwürfe ohne weiteres und offenbart dabei eines der größten Probleme des modernen Journalismus, zumal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (wie BBC und ZDF).

Es geht dabei zum einen um die faktische Staatsnähe (die Beschwerde des Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, mit der er seinem neuen guten Freund Gabriel zur Seite springt ist ein Tiefpunkt deutscher Medienpolitik), aber auch einen schwer zu fassenden vorauseilenden Gehorsam. Wie schon im Irak-Krieg (in Deutschland war eine ähnliche Stromlinienförmigkeit in der Berichterstattung zum Kosovo-Krieg wahrzunehmen) macht sich die BBC auch in der Snowden-Affäre zum willfährigen Helfer der Mächtigen. In diesem Interview wiederholt die eigentlich angesehene und für kritische Rückfragen bekannte Journalistin eins zu eins die Talking Points der Cameron-Regierung.

Und was hat das mit Marietta Slomka zu tun? Nun, die Moderatorin verschwendet ein wichtiges Interview zu einer unser Land prägenden Debatte auf einem Nebenkriegsschauplatz. Statt den Koalitionsvertrag auf den Prüfstein zu stellen, diskutiert sie auf verlorenem Posten. Anders als in England scheint hier keine versteckte Agenda eine Rolle zu spielen, aber einen fahlen Beigeschmack hat es schon, sich so selbst ein Bein zu stellen. Eitelkeit und Rechthaberei stellt Slomka vor ihre ureigensten Aufgaben als Journalistin, um es überspitzt auszudrücken. Die Lehre aus beiden Vorfällen kann nur ein starker, unabhängiger Journalismus sein. Glen Greenwald und der Guardian haben sich im zu Ende gehenden Jahr 2013 an vorderster Front darum verdient gemacht.


AUFKLÄRUNG: Op-Doc „Why Care About the NSA?“

Und nochmal NSA: Der weit verbreiteten Aussage „Ich hab ja nichts zu verbergen…“ in all ihren Formen ist seit den Enthüllungen in der Abhöraffäre nun schon etliche Male etwas entgegengesetzt worden, hierzulande ist gar ein hübsches Erklärvideo im Comic-Stil zum viralen Hit geworden. Trotzdem muss es immer wieder gesagt werden, immer wieder erklärt werden. Die New York Times widmet dem Thema ein ausführliches Video-Essay. Der Filmemacher Brian Knappenberger hat Experten und Journalisten befragt und zeichnet ein erschreckendes Szenario aus einer Welt, in der Regierungsbehörden alles und jeden überwachen können. Was wäre, wenn Joe McCarthy in den 50ern bei seiner Kommunistenhatz schon über die Mittel verfügt hätte, die heute der NSA zur Verfügung stehen, fragt der Aktivist Kurt Opsahl. Auch Daniel Ellsberg, der bis zum Auftauchen von Chelsea Manning und Edward Snowdon berühmteste Whistleblower kommt zu Wort. Er hat einst die Pentagon-Papers geleakt und damit die öffentliche Meinung zum Vietnam-Krieg entscheidend beeinflusst.

Die Op-Docs sind übrigens ein wegweisendes Feature aus dem Online-Angebot der New York Times. Ähnlich wie bei den verschiedenen Kolumnen in der gedruckten Ausgabe ist es hier dem Autoren oder der Autorin selbst überlassen, zu welchem Thema was produziert wird, so lange eine ungefähre Länge eingehalten wird. Heraus kommen die unterschiedlichsten kleinen Perlen, ob Mini-Dokumentarfilm, Essay oder Interviewstrecke. Ein solches Angebot fehlt im Online-Journalismus in Deutschland noch. Die Videoangebote der Marktführer bestehen selten aus mehr als zusammengeschnipselten Agenturbildern.


SAFTIGE KOMMENTARE: Youtube Comment Reconstruction

Kommentare gehören zu den Wesensmerkmalen des Web 2.0. Für viele Redakteure und Blogger ist diese Möglichkeit des Users, seinen Senf abzugeben, trotzdem oftmals ein Ärgernis. Zuviele Trolle treiben sich im Netz herum, zuviel unsachliche Beiträge müssen gelöscht werden. Der Betreuungsaufwand ist oft so groß, dass manches Medium schon wieder darauf verzichtet. Auch für den Leser selbst sind die Kommentare zu einem Artikel oder einem Video nicht selten schwer verdaulich. Ob Barack Obama eine Rede hält, Martin Sonneborn wieder irgendjemanden vorführt oder die Band One Direction ein Video veröffentlicht: in den Kommentaren geht es heiß her. Der junge britische Internetspezie Adrian Bliss hat einen zauberhaften Weg gefunden, versteckte Stilblüten aus den Untiefen der Kommentarfunktion von Youtube aufzubereiten. Er lässt zwei ältere Schauspieler im Ohrensessel Dialoge nachsprechen, die sich dort so finden lassen. Was dabei entsteht ist herausragende Internet-Kunst. Besonders die Rekonstruktion eines Streits zweier Hardcore-Fans der Teenie-Band One Direction ist ein kleines Meisterwerk der gehobenen Unterhaltung.


CAN YOU HEAR ME, MAJOR TOM? Space Oddity im Weltraum

Ende November, im Jahr 1998. Das erste Modul der Internationalen Raumstation ISS wird in die Umlaufbahn gebracht. Seit 15 Jahren nun kreist der ständige Außenposten der Menschheit um die Erde – nach irren Wettläufen und Kaltem Krieg ein gemeinsames Projekt aller raumfahrenden Nationen. Ein schöner Anlass, eines der schönsten viralen Videos des Jahres nochmal rauszukramen, auch wenn es jeder schon gesehen hat: Commander Chris Hatfield singt David Bowies Space Oddity im Weltall. An diesem kleinen Clip ist soviel dran, was zur Legende taugt. Das es im Jahr 2013 tatsächlich noch möglich ist, der Raumfahrt noch ein wenig Zauber zu entlocken, liegt vor allem an einem charismatischen Astronauten und an einem Song, der vorher schon klang, wie aus dem Himmel geschickt.


Teaser by Paulae (CC BY 3.0)

Image by Matheepan Panchalingam [CC BY 2.0].


wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , , , , , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert