COWORK 2019: Momentum der Coworking-Szene

Das Bundesarbeitsministerium werkelt an einem Gesetz für Home Office und will eigentlich, dass Menschen sich aussuchen können, wann sie von wo ihrer Arbeit nachgehen. Traditionsunternehmen wie Otto und Siemens bauen ihren Mitarbeitern Arbeitsräume, in denen sie ohne feste Sitzordnung abteilungsübergreifend miteinander arbeiten und wollen damit Kollaboration und Agilität im Unternehmen verankern. Bürocenter wie WeWork, Rent24 und Design Offices stellen Kickertische und bunte Sofas vor die gläsernen Bürokästen und nennen dies Community und Zukunft der Arbeit. Im Fazit ist alles gut gewollt, aber dann nur schlecht gekonnt.

Wer das alles gut und vor allem aus vorgelebter Überzeugung kann, sind die Menschen in den Coworking Spaces. Am vergangenen Samstag trafen sich mehr als 150 von ihnen in Mannheim zur jährlich stattfindenden COWORK, einer Konferenz mit Barcamp zu den Themen Coworking und Neue Arbeit. Im Jahr 2015 war ich das erste Mal als Gast mit dabei, seit 2016 bin ich als Mitorganisator der Veranstaltung ehrenamtlich engagiert. Die deutschsprachige Coworking-Szene ist an sich noch sehr klein und auch jung, aber bereits hervorragend vernetzt. Jedes Jahr wächst die Gästeliste der COWORK und auch die Anzahl internationaler Gäste steigt stetig.

Es geht nicht bloß um die Büros.

In diesem Jahr überraschten mich aber zwei Sachen ganz besonders. Erstens, gefühlt die Hälfte der auf dem Barcamp angebotenen Sessions handelten von Coworking im ländlichen Raum. Jedes Mal, wenn wieder jemand eine Session rund um die Themen Rural Coworking, Workation, Arbeitsplätze für Pendler*innen oder Team Offsites vorschlug, applaudierte die Menge. Selbst die Politik hat in Bemühungen um gleiche Lebensverhältnisse, das Thema schon auf dem Schirm und scheint ein Faible für die gemeinsamen Arbeitsräume zu entwickeln. Zweitens, viele Themen des Barcamps drehen sich um die Professionalisierung von Coworking Spaces und neue Geschäftsgebiete.

Veranstaltungsort der COWORK 2019 war das Kreativwirtschaftszentrum C-HUB (Bild: Daniel Lukac für Startup Mannheim)

Coworking ist in aller Munde. Das war es schon länger, aber leider viel zu oft als reines Buzzword im Marketing. Inzwischen scheint aber verstanden worden zu sein, dass es bei Coworking Spaces um mehr als nur Büros mit WLAN, Tischen und Stühlen geht. Vor allem die Werte der Bewegung – Offenheit, Gemeinschaft, Zusammenarbeit, Zugänglichkeit und Nachhaltigkeit – sind prägende Elemente, mit denen sich Coworking Spaces von den bisherigen Büroanbietern unterscheiden können. Dazu können Themen kommen, wie einen Ort für Freelancer zu schaffen, Coworking für Frauen oder eben Coworking auf dem Land. Das Warum ist relevant.

Die Coworking-Szene lebt Neue Arbeit vor.

Damit zeigt die Coworking-Szene, dass sie selbst nicht nur ein Ort für Neue Arbeit ist, sondern selber die Ideen von Frithjof Bergmann momentan am besten vorlebt. In nahezu allen Punkt der aktuellen Debatten um die neue Arbeitswelt, haben Coworking Spaces im Kleinen bereits Antworten entwickelt und geliefert. Kein Wunder, dass uns der Stand der Diskussionen um New Work, Flexibilität, Selbstorganisation, Netzwerke, Innovation, Communities und Freiheit in der deutschen Wirtschaft eher verwundert, da sie so rückständig wirken. Die Szene hat ein Momentum, in dem sie die Entwicklung der neuen Arbeitswelt nachhaltig prägen kann.

Wir haben das schon einmal getan, wie Markus Albers in seiner Keynote auf der COWORK 2019 zeigte. Coworking, vor allem dessen Prinzipien, sind Teil der neuen Arbeitswelt. Bisher wurde jedoch nur alles Haptische kopiert. Wie jedoch wir als Coworking-Szene Communities betrachten, entwickeln und pflegen, wird in Zukunft noch relevanter werden. Diese Perspektive zeigte Anja C. Wagner in der zweiten Keynote des Eröffnungstages auf. Wir sollten wieder voranschreiten und in unseren Coworking Spaces eine Realität schaffen, die in den Unternehmen wie eine Utopie erscheint. Dadurch überzeugen wir am Ende die Menschen von der Kultur des gemeinsamen Arbeitens.

Coworking ist eine Kultur des Miteinanders.

Für mich bleibt eine wichtige Erkenntnis der diesjährigen Veranstaltung, dass unser Produkt nicht der Arbeitsplatz, sondern unsere Kultur ist. Coworking ist eine Kultur und kein Profitcenter der Immobilienwirtschaft. Diese Kultur ist unglaublich facettenreich. Die Räume sind dabei ein Instrument, dass uns hilft, etwas nach unseren Werten zu gestalten. Niemand betreibt einen Coworking Space des Arbeitens wegen. Wir wollen eine Umgebung schaffen, in der Menschen nicht alleine sind, in der Nischengruppen sich entfalten oder gesellschaftliche Minderheiten sich frei bewegen können. Wir wollen mit Hilfe von Coworking die Welt verbessern.


Graphic: Max Bachmeier

ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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