Videokolumne: Über Pädophilie, Qualitätsfernsehen und große Fragen

In der Videokolumne geht es heute um das Andenken an Michael Glawogger, existenzielle Gespräche von Puppen und das Leben eines jungen Mannes mit pädophilen Neigungen. // von Hannes Richter

Michael Glawogger

Ab und zu gibt es in der Videokolumne auch Radioprogramme, die sich zum Beispiel in den Mediatheken der ARD finden lassen. In diesem hier aus den USA geht es um einen jungen Mann, der sich zu Kindern hingezogen fühlt und einen mutigen Weg findet, damit umzugehen. Die Radio-Reihe This Is American Life beschäftigt sich mit Geschichten und Lebenswegen abseits dessen, was in den üblichen Medien gezeigt wird. Ähnliches läst sich über den kürzlich verstorbenen Filmemacher Michael Glawogger sagen. Wie groß der Verlust für das Kino ist, lässt sich erahnen, wenn man sich die Zeit nimmt und ihm eine Stunde zuhört. Kürzer ist das komplett improvisierte Gespräch zwischen Kermit dem Frosch und Fozzy Bear und der Film Burton und Taylor zeigt, dass es manchmal doch Qualitäts-TV aus Übersee ins deutsche Fernsehen schafft.


MENSCHEN AM RAND DER GESELLSCHAFT: Tarred and Feathered

AUS DER MEDIATHEK – This Is American Life +++ Hörfunk-Feature:
Adam ist 16 als er das erste Mal feststellt, dass ihn Kinderpornographie erregt. Er kann sich an niemanden wenden und leidet unter Depressionen. Als er das Versteckspiel nicht mehr aushält, schreibt Adam seiner Mutter einen Brief. Er bittet darum, eine Psychotherapie machen zu können, warum schreibt er nicht. Die überforderte Therapeutin informiert in einem gemeinsamen Gespräch Adams Mutter. In dieser Radioreportage aus den USA ist Stimme des 22-jährigen Adam verfremdet, damit er nicht erkannt werden kann. Trotzdem ist die Aufregung hörbar, als er von diesem Moment erzählt. Und von der tiefen Dankbarkeit, die er seiner Mutter gegenüber empfindet. Denn sie entscheidet sich instinktiv, ihren Sohn zu unterstützen, mit ihm gemeinsam nach Wegen zu suchen, mit seinem Empfinden umzugehen.
Im Internet findet Adam Hilfe und stößt auf Menschen mit ähnlichen Problemen. Fast automatisch, so erzählt er, bildete sich eine Gruppe von inzwischen acht jungen Menschen. Eine Support-Gruppe, die Adam selbst organisiert, weil es nirgendwo Stellen gibt, an die sich Betroffene wenden können. Die Gruppe hat eigene Regeln: Kein Mitglied darf sein Begehren schonmal ausgelebt haben, alle unterstützen sich dabei, es nicht dazu kommen zu lassen.
Der Reporter Luke Malone hat mit Adam, seiner Mutter und Mitgliedern aus der Gruppe gesprochen. Die bewegende Reportage zeigt, wie schwierig es in den USA ist, mit diesem Thema umzugehen. Programme wie „Kein Täter werden“ gibt es nicht, die Stigmatisierung ist enorm, wenn schon eine falsche Berührung dazu führen kann, dass man mit Namen und Adresse als Sex Offender auf einer Webseite landet. Elizabeth Letournau forscht an der Hopkins-University in Baltimore auf dem Gebiet und war selbst schon Anfeindungen ausgesetzt. Sie berichtet von den Schwierigkeiten, mit denen die Betroffenen zu kämpfen haben und für die es kaum Lösungen gibt. Über den Reporter erfährt sie von Adam und nimmt zu den Mitgliedern der Gruppe Kontakt auf.

Das Radio-Feature der unabhängigen Plattform This American Life lief in etlichen lokalen Radiostationen. Es ist Teil einer Sendung, die sich mit Public Shame und Menschen beschäftigt, die vorgeführt oder öffentlich bedroht werden. Sie beginnt mit dem Bericht eines Mannes aus Nordirland, der sprichwörtlich geteert und gefedert wurde. Der Beitrag über Adam beginnt bei 28:31 und kann über einen Link unten direkt angewählt werden.


ZUM ANDENKEN: Eine Stunde Gespräch mit Michael Glawogger

Michael Glawogger war ein besonderer Filmemacher. Der immer etwas struppig aussehende Österreicher hatte ein besonderes Verhältnis zur Wahrheit und erklärte das auch, wenn man ihn danach fragte, wie in diesem ungewöhnlich langem Gespräch in einem Kinosaal.
Wenn Glawogger einen rasanten Epsioden-Film über ein paar verprengte Großstadtdgestalten machte (Slumming, 2006), dann ging es auch um das besondere Wiener Millieu, das der Filemmacher so gut kannte. Und seine großen Erfolge Workingman’s Death und Whore’s Glory leben davon, dass sich jemand auf die Suche nach einer Wahrheit macht, für die sich entweder niemand anderes interessiert oder die so tief verborgen sind, dass es für die meisten schlicht zu anstrengend ist, sie zu bergen ist. Das war sein großes Talent; als Kommunikator und sanfter Überzeuger nährte er sich seinen Protagonisten und schuf ein Vertrauen, das alleine ganz eigene Perspektive auf ihr Leben ermöglichte. Im Video erzählt Glawogger, dass er das Vertrauen der Sex Worker in schmierigen Bordellen Bangladeschs gewonnen hat, in dem er über lange Zeiträume jeden Tag vorbeischaute und ihnen so zeigte, dass er sich wirklich für sie interessierte. Nur hinzugehen und kurz ein paar Aufnahmen zu machen sei ihm nicht genug. Das sei, wie wenn man jemanden fragte, ob man ihn küssen darf. Was dabei rauskommt kann nur künstlich sein. Entweder man fühlt, dass der Kuss sein darf, oder es soll eh nicht sein. Diese Gefühl für den richtigen Moment und die richtige Geschichte wird auf den Filmfestivals und im Kino fehlen. Michael Glawogger ist letzte Woche während der Dreharbeiten zu seinem neuen Projekt überraschend gestorben. Für einen „Film ohne Namen“ reiste er seit Ende letzten Jahres um die Welt, ohne ein vorgefertigtes Konzept. Er machte sich wieder auf den Weg zu den Menschen und ihren Geschichten.


GENAUER HINGESCHAUT: Burton und Taylor bei arte und die Qualität im deuschen Fernsehen

AUS DER MEDIATHEK – arte +++ Sendung vom 25. April: Wenn sich hierzulande wiedermal über das Fernsehprogramm beschwert wird, fällt der Blick oft über den großen Teich oder zumindest den Kanal. Die Zeitungsartikel ud Blogeinträge zum Thema haben schon so einen Bart und leben allermeist vom Aufzählen der immer gleichen Vorbild-Serien aus den USA oder Groß Britannien, die so ja nie vom deutschen Fernsehen produziert werden würden, könnten, sollen. Das stimmt ja alles, nur kommt es einem manchmal vor, als würden die Schreiber versuchen, das Problem mit nur noch größerem Lamento zu lösen. Besser ist es doch, sich selbst auf die Suche zu machen, sei es über halblegale Streamingdienste oder ganz legal bei watchever oder iTunes (Kleiner Trick: über einen bekannten in den USA eine Adresse besorgen, amerikanischen Account anlegen und über ebay iTunes-Voucher kaufen. Schon stehen einem alle Originalserien aus dem amerikanischen Katalog offen).

Warum hier so eine launige Einführung? Weil ich das Gefühl habe, dass viele tolle Filme und Serien ungesehen untergehen – zumindest nicht von denen gesehen, die sich lieber echauffieren oder über Breaking Bad und The Wire noch nicht hinausgekommen sind. Das trifft übrigens nicht nur für Serien zu, sondern auch für Fernsehfilme, die bei der BBC oder dem amerikanischen Bezahlender HBO regelmäßig mit großem Aufwand und Prominenz gedreht werden und die abendfüllenden ARD-Urlaubsschinken oder das platte ZDF-Historiendrama mit geschichtsrevisionistischer Tendenz (sorry, das musste nochmal sein) alt aussehen lassen.
Mit ein paar Kniffen lässt sich das wunderbare Politstück Game Change mit Julianne Moore als Sarah Palin auch hierher auf den Rechner zaubern (siehe oben) und manchmal schaffen es diese Filme auch ins deutsche Fernsehen. Auf arte ist noch die ganze Woche Burton und Taylor zu sehen. Eine gelungene Verfilmung des Auf und Abs in der öffentlichen Beziehung des berühmtesten Schauspielerpaares der Welt Helena Bonham Carter zeigt darin, dass sie mehr sein kann als Tim Burtons Muse mit den großen Auge (auch wenn es für Elizabeth Taylors Hihg Heels nicht ganz reicht), Richard Burton wird von Dominique West gespielt, dem grimmigen McNulty aus The Wire, hier mit grauen Schläfen. Manchmal hilft ein genauerer Blick ins Programm oder die Mediatheken solcher Sender wie arte, 3Sat oder auch Tele 5 um das deutsche Fernsehen ein bisschen weniger schwarz-weiß zu sehen.


MUPPETS IN REINKULTUR: Kermit und Fozzy vertreiben sich die Zeit mit einem philosophischen Gespräch

Als Jim Henson nach dem Erfolg der Sesamstraße eine Puppenshow für Erwachsene machen wollte, hielten die meisten das für eine Schnapsidee. In den USA fand sich kein Sender, der den Puppenvirtuosen unterstützen wollte, so dass die ersten Folgen der Muppets in Groß Britannien gedreht wurden. Schnell entwickelte sich die anarchische Varieté-Show zu einem Hit und einem internationalen Kulturgut. Wer das Geheimnis des Erfolgs der Muppet Show verstehen will, braucht sich nur diesen kleinen Clip anschauen. Muppet-Papa Jim Henson, der bis zu seinem überraschenden Tod im Alter von 53 Jahren immer selbst im Hintern seines Alter Egos Kermit der Frosch steckte, und sein kongenialer Kompagnon Frank Oz improvisieren während eines Kameratests für den ersten Muppetfilm und vertreiben sich die Zeit. Heraus kommt ein höchst philosophisches Gespräch zwischen Kermit und Fozzy Bear, in dem es um nichts weniger als ihre Existenz geht. Kermit teilt dem überraschen Fozzy mit, dass er gar kein echter Bär ist. Schließlich hätten echte Bären kein Stoffel und schon gar keine rosa Nase. Das lässt Fozzy nicht auf sich sitzen und konfrontiert Kermit seinerseits mit einer unangenehmen Wahrheit.


Teaser & Image by Screenshot, http://www.youtube.com/watch?v=WO1vPA-DXP4


wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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