Mediathekenumschau vom 3. November

In der Mediathekenumschau heute: Eine Berliner Mieterin wehrt sich, der Alltag in Kabul und Jan Böhmermann versteht, worum es geht.  // von Hannes Richter

Es ist so eine Sache mit den Mediatheken: Für viele Digital Natives sind sie schon Fernsehersatz – alles ist überall abrufbar. Doch nur auf Zeit: Gerade die öffentlich-rechtlichen Programme sind oft nach einer Woche wieder offline. Verlängertes Fernsehen statt digitales Archiv. Bevor sie verschwinden, fischen wir die besten Perlen aus der TV-Flut.

KAMPF GEGEN FIESE VERMIETER: Betongold

rbb +++ Sendung vom 8. Oktober: Katrin Rothe wohnt in einer typischen Berliner Altbauwohnung, in bester Lage. Als sie eine Modernisierungsankündigung mitsamt horrender Mieterhöhung erhält und viele ihrer Nachbarn nach und nach ausziehen, wird klar, dass sie vertrieben werden soll. Doch die freiberufliche Filmemacherin und hat einen langen Atem. Sie beginnt zu kämpfen, erträgt den immer fieser werdenden Psycho-Terror des neuen Eigentümers, recherchiert selbst und kümmert sich um rechtlichen Beistand. Jeden Schritt dokumentiert sie. Vor der Kamera spricht sie auch über ihre Gefühle, lässt den Zuschauer an der immer größer werdenden Verzweiflung teilhaben. Damit gelingt ihr nicht nur eine selten nahe Dokumentation über den rauen Alltag auf dem Berliner Immobilienmarkt. Sie scheint so auch Kraft zu gewinnen, immer weitere Schikanen zu ertragen. Am Ende steht ein Prozess, den sie gewinnt, aber auch ein Vergleichsangebot. Mit viel Geld soll die renitente Mieterin aus der Wohnung gelockt werden. Ein Blick auf die Zeitleiste des Streams in der Mediathek lässt erahnen, wie ihre Entscheidung ausfällt, und man wünscht sich, der Film möge noch länger dauern. Solche Momente sind selten. Natürlich: gut, dass der Kampf nicht komplett umsonst war. Die Gegenwehr und letztlich bestimmt auch der fertige Film sind Sand im Getriebe des boomenden Geschäfts mit Wohnraum. Katrin Rothe wurde in dieser Woche mit dem 3. Platz des Journalistenpreises „Der lange Atmen“ ausgezeichnet.

ALLTAG IN KABUL: Die Zukunft Afghanistans

Phoenix +++ Sendung vom 30. April: Was passiert eigentlich, wenn die internationalen Truppen im Jahr 2014 Afghanistan verlassen? Die Prognosen sind düster, ein Wiedererstarken der Taliban gilt als sicher. Doch wie gehen die Menschen vor Ort mit der unsicheren Zukunft um? Phoenix-Redakteur Boris Barschow kennt sich unter den deutschen Journalisten wohl am Besten aus am Hindukusch. Er hat sich mit Ministern getroffen und Leute auf der Straße befragt, eine Parlamentsabgeordnete möchte als erste Frau für das Präsidentenamt kandidieren. Die teilweise mit Handykameras gedrehten Bilder aus dem Alltag der geschäftigen Großstadt Kabul, absurde Situationen wie der Bericht von einer sandigen Piste im Nirgendwo (genau dort soll schildbürgerhaft ein glitzernder neuer Stadtteil entstehen) und nicht zuletzt die vielen Meinungen von der Straße zeigen ein seltenes Bild aus Afghanistan. Dabei ist der Reporter durchaus streitbar. Er ist Major der Reserve bei der Bundeswehr. Ein Blick in das öffentliche Wirken Boris Barschows offenbart eine schwierige Mischung aus ehrlichem Engagement (zum Beispiel für eine unabhängige Journalistenschule in Kabul) und Aufklärungswillen und einer fragwürdigen Nähe zur Bundeswehr. In einem Artikel für das anstrengend militaristische „Magazin für Internationale Sicherheit“ freut er sich über jeden anständigen Patrioten, den er auf einer Reise durch Deutschland trifft. So gerät auch die Reportage politisch ein wenig seicht, der mutige Reporter kommt etwas naiv rüber. Doch keiner hat es bisher geschafft, soviel reales Afghanistan ins Fernsehen des Landes zu bringen, dass sich dort seit zwölf Jahren angeblich schon selbst verteidigt. Und nächstes Jahr abzieht.

NEUE HOFFNUNG FÜR DIE LATE-NIGHT: Neo Magazin

ZDF neo +++ Sendung vom 31. Oktober, dann jeden Donnerstag: Mit reichlich medialem Tamtam ist die erste Sendung des Neo Magazins über die Bühne gegangen, die Kritik ist berechtigt positiv und die Heilserwartungen an den jungen Mann gewohnt aufgebauscht. Viel ist also geschrieben worden, ich empfehle einfach, sich die Sendung selbst anzuschauen. Hier stimmt einfach vieles. Schon allein die Idee, Menschen im Publikum mit lustigen Informationen aus ihren öffentlichen (!) Facebook-Profilen zu konfrontieren ist nicht nur ein gelungener Gag, sondern auch ein klügerer Kommentar zum Zeitgeschehen als so manch erhobener Zeigefinger. Doch eigentlich wollte ich ja nicht einstimmen in den wohlwollenden Kritikerchor, sondern nur ein schönes Zitat anbringen, über das ich in einem Interview mit der SZ gestolpert bin und das gut zu dieser Rubrik passt. Angesprochen auf die Konkurrenz im öffentlich-rechtlichen Talk-Einerlei wehrt Böhmermann ab: „Die Leute, die uns sehen wollen, suchen die Sendung ohnehin nachher in der Mediathek. Da ist es egal, was neben uns läuft“. 

 


Teaser by Paulae (CC-BY-3.0)]


Image by arte

wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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