Engagement durch Technologie – Content allein reicht nicht

Wie sieht eine gute Empfehlung für Entertainment und News-Inhalte aus, welche Datenquellen liegen ihr zu Grunde, wie muss die Gewichtung sein, um Relevanz beim Konsumenten zu erzeugen? Bei den Musikstreaming-Diensten hat Spotify mit der Funktion ‚Discover Weekly‘ anscheinend vieles richtig gemacht und Apple Music alt aussehen lassen. Dass hierfür zuvor größere Investitionen in Technologie getätigt werden mussten, wie den Zukauf von The Echonest, ist ein wichtiges Detail dieser Erfolgsgeschichte. Denn zukünftig wird Technologie das Zünglein an der Waage sein, wenn es um die Alleinstellungsmerkmale digitaler Angebote geht.

Publisher liefern in Zukunft nur noch den Content

In Deutschland wurden 2013 noch Videotheken gebaut als bei South Park bereits die Verwüstung von Blockbuster thematisiert wurde. Heute sind wir einen Schritt weiter: Videos werden gestreamt, die Mehrheit der Innovation früh annehmenden Verbraucher ist dabei, sich ihr eigenes Video-Programm zusammen zu basteln.

In anderen Bereichen sind wir noch weiter: Im Musik-Bereich hat Spotify das Rennen unter den Diensten gegen Deezer und Rdio gewonnen, wird nun von etablierten Giganten wie Apple, Google und Amazon attackiert. Bei der Kategorie News sind wir uns noch nicht ganz sicher: Die alten, lokalen Destinations ziehen dank ihrer Markenmacht noch stark, aber die Aggregatoren kratzen an der Tür und ihr Siegeszug ist unaufhaltsam.

Ihre stärkste Waffe: Relevanz. Ihr Geschäftsmodell: Disruptiv. Die eigentliche Marktveränderung steht somit auch den Verlagen noch bevor. Denn intelligente Dienste klauen dem Publisher die Startseite. Wie viel Prozent vom Umsatz für digitale Publisher macht heute die Startseite aus? 70 Prozent? Oder sogar 80 Prozent?

Selbst mit diesen Umsätzen schreiben die Online-Medien der Publisher – wie Bild.de, Stern.de oder Zeit Online – knapp eine schwarze Null. Was passiert, wenn die Startseiten – zum Beispiel für News oder Entertainment – zusätzlich zum bereits gewonnenen Ad Targeting zukünftig in der Hand von Tech-Firmen liegen? Die Publisher verkommen zu Content-Lieferanten, ganz so wie die Sender im TV Bereich.

Können Publisher und Sender diesen Trend aufhalten? Nein. Können sie davon profitieren? Ja, wenn sie Technologie als integralen Bestandteil ihrer digitalen Produkte verstehen und resultierend die Relevanz ihrer Inhalte für den Einzelnen erhöhen. Wie geht das? Indem sie Intelligente Produkte bauen.

Individualisierung und Optimierung des Nutzungserlebnisses

Entscheidende Faktoren für die Intelligenz zwecks Individualisierung von Produkten lassen sich in ein Dreieck aus Kontext, Social und Personalisierung clustern.

Kontext beinhaltet Faktoren wie Uhrzeit, Wochentag, Wetter, Ort und Gerät. Die Daten lassen sich je nach Plattform berücksichtigen. Social beinhaltet Freunde sowie Interessensgruppen, die erstmals bekannt wurden durch die Last.fm-“Nachbarn”, also persönlich unbekannte Nutzer mit einem ähnlichen Geschmacksprofil.

Personalisierung kann auf Basis von expliziten (aktive Eingabe durch den Nutzer) oder impliziten (Tracking des Verhaltens via Cookie) Faktoren erfolgen, sowie vor allem durch den Import von vorhandenen Interessensdaten. Aggregiert haben Nutzer diese im Social Web, in Diensten wie Facebook oder Twitter. Die Daten dieser beiden Plattformen werden vermehrt zu Produktbestandteilen von anderen Diensten.

Die Herausforderung besteht darin, diese Daten inhaltlich mit dem Content eines Dienstes zu verknüpfen, um den Nutzer bestmöglich zu erfassen. Dies bietet die Chance, dem Nutzer schon bei Erstnutzung individuelle Erlebnisse zu liefern, um einer möglichen Kundenabwanderung vorzubeugen. Die Chance auf eine weitere Lernkurve erhält heute kein Serviceanbieter mehr.

Die Ausprägung und das Nutzerlebnis sind abhängig vom Anwendungsfall. Während ich in Bezug auf Nachrichten eher zeitlich getrieben bin und einen schnellen Überblick erwarte, habe ich beim Konsum von Videos mehr Zeit und freue mich über einen größeren Einfluss des im Englischen als “Serendipity” beschriebenen “relevanten Zufalls”.

Gefragt: Ein personalisierter News Feed

Apple lässt seine Nutzer einen intelligenten Fragebogen bei der Registrierung für Apple News beantworten. Nutzer beantworten also zunächst allgemeinere Fragen. Je mehr (explizitere) Signale ich hinterlasse, desto detaillierter werden die Fragen in den einzelnen Verästelungen, zwischendurch aufgelockert durch mit Marketingbudgets aufgeladene Marken wie das Wall Street Journal oder Vice.

Der Vorteil des Fragebogen-Ansatzes ist, dass er relativ gute Ergebnisse liefert. Der Nachteil ist zugleich, dass er ein hohes kognitives Engagement beim Konsumenten voraussetzt. Für einen News-Dienst kann das durchaus aufgehen. Für Entertainment jedoch wäre das mit Sicherheit nichts, da sich der Nutzer in einem sogenannten ‚Leanback-Szenario‘ befindet, er also nicht aktiv sein möchte, sondern erwartet, dass die besten (ergo: relevantesten) Inhalte im aktuellen Kontext direkt präsentiert werden und mit einem Klick abspielbar sind.

Die iOS-App Something präsentiert in einer schicken Leseoberfläche sämtliche Artikel seiner Twitter-Follower zur Verfügung stellt. Die initial wahrgenommene Qualität zeigt die Stärke der personalisierten Kuratierung. Über Jahre hinweg habe ich die Liste der Twitter-Nutzer, denen ich folge, bewusst zusammengestellt.

Zusätzliche Besonderheiten sind die Offline-Lesbarkeit, sowie ein Tinder-ähnlicher Feedback-Modus bezüglich Interessantheitsgrad des einzelnen Artikels, welches als implizites Feedback in die Discovery eingeht – wobei ich das Gefühl habe, dass sich das Feedback lediglich auf das Ranking der Quelle auswirkt und nicht auf den Inhalt, was langfristig aus meiner Sicht nicht reicht, um relevante Inhalte nach oben zu bringen.

Der Newsfeed Nuzzel personalisiert am umfangreichsten: Man kann Freunden folgen, oder sogar Freunden von Freunden. Man hat einen Überblick über Facebook, Twitter und alle anderen gewünschten Kanäle. Der Nutzer kann hier viel Feintuning betreiben, was allerdings noch sehr manuell erfolgt und somit ein hohes Anfangs-Tuning-Investment erfordert.

Wie sieht Discovery für Entertainment-Inhalte aus?

Vor Kurzem sorgte der Release von Spotifys ‚Discover Weekly‘ in der Empfehlungs-Industrie für positive Stimmung. Ähnlich wie Netflix erhob Spotify, angegriffen durch Apple Music, Google und Amazon, die Personalisierung at scale zum Alleinstellungsmerkmal, zum Feature, das den Unterschied macht.

Gerade gegenüber Apple eine geschickte Strategie, haben die End2End-Giganten aus Cupertino in diesem Segment bislang noch nie ernsthaft Punkten können – weder im Bereich Maps, Filme, Apps oder Musik. Entsprechend positiv wurde Discover Weekly gefeiert.

Vom Himmel gefallen ist dieses Feature nicht. Spotify hatte im März 2014 Echonest (das Tweek für Musik) akquiriert. Die Dauer von 18 Monaten zwischen Akquise und erstem Feature-Release des Echonest-Teams in der Spotify-Plattform zeigt, dass eine vernünftige Personalisierung Ressourcen verschlingt.

Gleichzeitig ist es wohl kein Wunder, dass mit Netflix, die jährlich 150 Millionen US-Dollar in ihre Empfehlungen investieren und Spotify exakt die Dienste, die frühzeitig und entschieden auf diese Funktion gesetzt haben, am erfolgreichsten agieren.

Dass diese Strategie hier nicht aufhört, sondern weiter ausgebaut wird, ist bereits bekannt. Auf den Münchener Medientagen sagte Spotifys Deutschland-Geschäftsführer Stefan Zilch, dass die im Musikstreaming eingesetzte Personalisierung auch auf die neuen Spotify Video-Features ausgeweitet werden.

Engagement wird der entscheidende Erfolgsfaktor

Leider ist diese Einsicht bei europäischen Diensten selten. Streaming-Dienste werden hierzulande primär Content-seitig konzipiert, wobei allen Beteiligten klar ist, dass der Content weder im Musik noch im SVoD-Markt (Subscription-Video-on-Demand) wirklich als Differentiator eingesetzt werden kann und selbst die Content-Akquise zumeist nicht datengetrieben durchgeführt wird, sondern die Entscheidung einzelner ist. Dass die richtige durchgeführte Datenanalyse neben dem Nutzungserlebnis, den Content-Einkauf und die die Nutzergewinnung richtig steuern kann, sei hier nur erwähnt.

Engagement wird der wichtigste Erfolgsfaktor für zukünftige Produkte. Zu hoch sind die Marketingkosten ohne entsprechende Verweildauer, Wiederkehrraten und virale Verbreitungswege. Entsprechend werden auch Publisher und Video-Dienste den Weg zur Integration der Technologie jenseits von Traffic-Händler-oder Customer-Acquisition-Kanälen integrieren müssen. Oder eben nicht. Somit würde man in der Relevanz abnehmen und im Wettbewerb verlieren.


Teaser & Image „CrowdEmotion” by Paul Clarke/Digital Catapulte (CC BY 3.0)


ist Gründer und Geschäftsführer von Tweek tweek.tv aus Berlin, das seit 2010 mittels "Recommender & Taste Profile"-API Entertainment-Produkte ein Stück besser macht.


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