Business as usual? Wieso wir Crowdfunding in die Gesellschaft bringen müssen

Rainald Grebe hatte Recht: es gibt kaum eine Küchenparty, in der nicht jemand von seinem neuen Business-Projekt spricht. Und wieso auch nicht? Mit dem Siegeszug des Internet ist eine Firmengründung, auch wenn man kein Großindustrieller ist, nicht mehr so exotisch – und doch ernten die Gründer häufig kritische Blicke. Die typischen Gründerfragen („Was soll das?“ „Wer kauft das?“ „Brauchen wir das überhaupt?“) sind daher meist schon im Schlaf und durch jahrelange Fragerunden von Bekannten und Verwandten erprobt und werden meist ebenso beflissen heruntergebetet. Metropolen wie Berlin gelten hierbei als hoffnungsvolles Pflaster, in denen sich noch viel bewegen kann und wird. Die Umsetzung der Projekte ist heute um vieles erleichtert, immer mehr Gründer setzen hierbei auf Crowdfunding oder Crowdinvesting als Finanzierungsmodell.

Eine Frage der Nachhaltigkeit

Im Mittelpunkt der Gründeridee steht vor allem der Gedanke der Nachhaltigkeit. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft und ist auch ebenso zu verstehen, frei nach dem Motto ‚Fälle nie mehr Bäume, als du pflanzen kannst, sonst ist eines Tages der Wald nicht mehr da.‘ Dieser Gedanke lässt sich recht direkt auf die Startup-Szene übertragen: die Regenerationsfähigkeit eines Unternehmens muss bewahrt bleiben, so dass es sich schnellstmöglich selbst tragen kann.

Beispiele für diese selbsttragende Geschäftsideen im Gegensatz zum klassischen Raubtierkapitalismus gibt es viele, und die Crowdfunding-Plattformen gelten hier als hoffnungsvolle Innovation: das Projekt wird im Netz auf entsprechenden Plattformen vorgestellt, dann wird die Idee in die Welt hinausgetragen. Denn das Wichtigste ist hier bereits enthalten: eine innovative Idee und ein stimmiges Marketing, das man sich an anderer Stelle erst hätte teuer erkaufen müssen. Das Besondere: Es wird mithilfe der Crowd entwickelt, wohin es mit dem Produkt gehen soll. So haben auch Nischenprodukte und kleine Projekte eine Chance.

Diese Idee ist so nicht nur deutlich kundenfreundlicher, sondern sorgt auch dafür, dass nur produziert wird, was auch wirklich gebraucht wird: „Jede Crowdfundingkampagne ist daher zugleich eine Kommunikationskampagne, der Kunde wird direkt angesprochen und mitgenommen„, meint Markus Sauerhammer von der Crowdfunding-Plattform Startnext. Und die Finanzierung ist transparent: Man legt einen bestimmten Finanzierungsrahmen fest, mithilfe dessen das Projekt verwirklicht werden kann.

Ist die Crowd schließlich überzeugt, stehen die Chancen gut, dass man genug Geld zusammenbekommt und sein Vorhaben verwirklichen kann. Ist sie es nicht, ist das Scheitern nicht so schlimm: Immerhin hat man keinen Kredit aufgenommen, den man jahrelang mühsam zurückzahlen muss. Doch damit ist es nicht getan.

Die Idee ist nicht das Problem

Dieser Gründergeist herrschte auch beim Fachgespräch zum Thema Gründungsfinanzierung für nachhaltige und soziale Startups, das die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen am 3. Juni 2016 im Bundestag ausgerichtet hatten. Neben bekannten Projekten wie der Crowdfunding-Plattform Startnext, die unter Anderem den innovativen Supermarkt „Original Unverpackt“ ermöglicht haben, haben sich auch Gründer in verschiedenen Stadien sowie Finanzexperten eingefunden. Es soll über die wahrscheinlich schwierigste Frage referiert werden: einen stimmigen Businessplan. Denn daran scheitern die meisten Startups.

 Image by Bündnis 90/Die Grünen

Zu Gast war unter anderem auch Dirk Kannacher, Generalbevollmächtigter der Gemeinschaftsbank Leihen und Schenken (GLS). Kannacher sieht zuerst einmal ein ernsthaftes Problem in der Blauäugigkeit der Kunden:

Es ist leider oft so, dass mir der ein oder andere Finanzplan vorgelegt wird, den man einem Banker nicht vorlegen sollte, weil der nicht aufgeht oder die Stärke nicht bei der Erstellung des Finanzplanes liegt. Wenn ich den Plan beurteilen muss und da über Jahre nur Minus steht, dann frage ich dann auch mal nach. Die meisten sagen dann ‚Ja, das wird schon‘. Und ein ‚Das wird schon‘ ist dann doch relevant für mich.

Die GLS-Bank kommt neben der Bremer Aufbaubank mit ihren sozialökologischen Grundsätzen dem Gedanken des nachhaltigen Startup-Gründen recht nahe und unterstützt so den Gemeinschaftsgedanken. Kannacher spricht sich daher auch deutlich für die Idee des Crowdfunding aus: „Ich glaube, dass es noch weitere, neuere und vielleicht auch besser plazierte Instrumente geben muss, um dieses endlose Geld oder diese Unmengen von Kapital, die ja da sind, einfach da hin zu bringen. Und wir versuchen, diese Wege anzubieten.

Die Gesellschaft überzeugen

So einfach und schlüssig sich das Prinzip des Crowdfunding anhört, umso schwieriger ist es jedoch in Deutschland durchzusetzen: Nur ein Bruchteil der Deutschen haben überhaupt je von Crowdfunding gehört, ein noch geringerer Teil kann sich vorstellen, bei einer solchen Finanzierung mitzuwirken. Der Erfolgsquote der Projekte beträgt im ersten Quartal 2016 etwa 51 Prozent. Die Investoren finanzieren derzeit weniger Projekte als in den Jahren zuvor, dafür sind diese aber höher angesetzt. Die Furcht vor dem Scheitern ist offensichtlich. Kannacher wundert sich:

Ich glaube schon, dass die Instrumente da sind. Die Frage ist, warum sie noch nicht gesellschaftlich akzeptiert werden. Das ist doch aber eine Mentalitätsfrage: Wo sind wir denn bereit, Risiken einzugehen?

Für die Unternehmer ist diese Haltung ein echtes Problem: nicht nur beteiligen sich immer die gleichen Menschen an Nischenprojekten, auch die Finanzierungsethik wird durch diese Praxis nicht verändert. Denn das ursprüngliche Gründerproblem bleibt bestehen: der deutscher Mittelstand ist langfristig gewachsen, in vielen Businessmagazinen hört man deutliche Skepsis heraus. Die Deutschen scheinen lieber in sichere Finanzanlagen zu investieren, außerdem möchte man vielerorts eine deutsche Innovation hervorbringen. Die Frage, wie sinnvoll ein noch weiter zerplittertes System hier sein soll, bleibt jedoch auch hier offen – und die Gründer auf der Strecke.

Wagniskapital ist zum Wagen da

Auch politisch kann hier noch einiges verbessert werden. Der sogenannte Gründungszuschuss, den man als Unternehmer beantragen konnte, war bis vor wenigen Jahren eine gesetzliche Pflichtleistung und sorgte dafür, dass Gründer ihre ersten Schritte mit einem neuen Unternehmen wagen konnten. Nach dem Scheitern der Ich-AGs wurde diese Pflichtleistung jedoch gestrichen und in eine „Ermessensleistung“ umgewandelt. Im Klartext: jemand fach- und branchenfremdes entscheidet über die Zukunft der Geschäftsidee, die, sollte sie durchgehen, danach von jemandem ausgeführt wird, dessen Branche gerade stirbt. Sauerhammer ärgert sich:

Das wäre grade so, als würden wir Bauern Geld für neue Ställe geben, aber Leuten, die neue Märkte schaffen wollen, geben wir nichts. Ist sowas gründerfreundlich? Nein, das ist verrückt. Wir müssen zusehen, dass zukunftsorientierte Gründungen gefördert werden dürfen.

Nicht nur die Digitalisierung, auch die Gesetzgebung und der Finanzsektor scheint in Deutschland wenig zukunftorientiert. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis man auch hier erkennt, dass man sich mit derlei Einschränkungen ein Bein im Wirtschaftssektor gestellt hat. Kleinere Unternehmen haben hier eine zukunftsorientiertere Idee entwickelt, hier längerfristig und mithilfe der Gemeinschaft zu bestehen. Was nun noch fehlt, fasst Kannacher schlüssig zusammen: „Wenn wir heut die Welt drehen wollen, müssen wir auch das Risiko wieder eingehen. Wir brauchen eine neue Mentalität.


Image by Bündnis 90/Die Grünen
Titelbild: Image „Ants“ by culturalibre [CC0 Public Domain]


ist freischaffende Autorin und Redakteurin bei den Netzpiloten. Sie ist Historikerin, Anglistin, Kinonerd, Podcasterin und Hörspielsprecherin. Seit das erste Modem ins Elternhaus einzog, treibt sie sich in allen möglichen Ecken des Internets herum. Sie twittert als @keksmadam und bloggt bei Die Gretchenfrage. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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