Landwirtschaft 4.0 – Wie die digitale Revolution das Agrarwesen verändert

Durch die Digitalisierung haben sich viele Berufsfelder gewandelt. Die ständige Weiterentwicklung der Technik verändert ebenso nachhaltig die Landwirtschaft. Doch was ist Landwirtschaft 4.0 eigentlich und welche Vorteile verspricht die digitale Revolution?

Zuerst einmal zur Begriffserklärung von Landwirtschaft 4.0. Ganz grundsätzlich lässt sich unsere Wirtschaft in der geläufigsten Theorie in drei Sektoren unterteilen:

  • Der Primärsektor – Die Urproduktion: Hier werden Rohstoffe gewonnen. Fischerei, Land- und Forstwirtschaft, und je nach Auffassung auch Bergbau, sind Teil dieses Sektors.
  • Der Sekundärsektor – Die Industrie: In diesem Sektor fällt verarbeitendes Gewerbe, also Handwerk, Baugewerbe und Energiewirtschaft.
  • Der Tertiärsektor – Der Dienstleistungsbereich: Handel, Banken und staatliche beziehungsweise der öffentliche Dienst werden von diesem Sektor umfasst.

Seit der industriellen Revolution, die die Grundlage für die Industrie 1.0 geschaffen hat, wandeln sich auch die anderen Wirtschaftssektoren.

Doch während den meisten der Begriff Industrie 4.0 schon einmal untergekommen ist, findet sich kein passender Begriff für die Gesamtheit des Primärsektors. Das liegt unter anderem daran, dass die einzelnen Teile der Rohstoffgewinnung teils ganz unterschiedliche Bedürfnisse an den technologischen Fortschritt haben. Während etwa die Einführung von Fließbandarbeit die Industrie 2.0 einleitete, hat die Verbreitung des motorisierten Traktors über die Landwirtschaft hinaus kaum Auswirkungen auf Fischerei oder Bergbau. Dementsprechend werden die Entwicklungsverläufe im Primärsektor getrennt betrachtet.

Landwirtschaftliche Revolution im Gegensatz zur Industriellen Revolution

Im Unterschied zu der Industrie ist die Urproduktion ebenfalls weniger statisch und stärker von nicht kontrollierbaren Faktoren bestimmt. Solange eine Fabrik mit den passenden Rohstoffen versorgt und regelmäßig gewartet wird, kann sie fortwährend produzieren. Ein Landwirt ist Wetter und Schädlingen ausgeliefert. Er muss ähnlich wie ein Fischer oder Förster regelmäßig individuelle Entscheidungen treffen und kann nicht einfach durch einen automatisierten Prozess ersetzt werden. Dies ist ebenfalls ein Grund, weshalb die Entwicklung der Urproduktion nicht deckungsgleich mit denen der industriellen Revolutionen ist. Doch ganz grundsätzlich folgen Sprünge in der Landwirtschaft durch technologischen Fortschritt recht schnell nach industriellen Revolutionen. Da diese seit der ersten in immer kürzeren Abständen auftreten, sind die landwirtschaftlichen Revolutionen auch häufiger. Eine allgemeingültige Gliederung der verschiedenen Phasen der landwirtschaftlichen Revolutionen gibt es zwar nicht, für den weiteren Artikel dient der Jahrbucheintrag von Dr. Klaus Krombholz als Grundlage.  

Die ersten drei Revolutionen der Landwirtschaft

Ein alter Dampftraktor mit großen Metallrädern steht auf einem frisch gepflügten Feld. Aus dem Schornstein des Traktors steigt Rauch auf. Im Hintergrund sieht man Bäume und es ist ein leichter Nebel zu erkennen.

Die Landwirtschaft 1.0 ist der Übergang von reiner Muskelkraft von Menschen und Tier zu einer Mechanisierung, welche durch Muskelkraft unterstützt wurde. Die Bauern konnten von Dampfmaschinen nur eingeschränkt profitieren, etwa in der Verarbeitung. Diese Maschinen waren auf eine mobile Nutzung einfach nicht ausgelegt und selten erfolgreich. Doch Erfindungen wie der Bindemäher sorgten dafür, das erste Arbeitsschritte automatisiert werden konnten.

Der bereits erwähnte Traktor war die nächste Revolution hin zur Landwirtschaft 2.0. Also natürlich nicht nur der Traktor, sondern viel mehr die Einführung von Verbrennungsmotoren, welche es ermöglichten die Bewirtschaftung weiter zu mechanisieren. So ersetzten selbstfahrende Mähdrescher den Mähbinder. Nutztiere wurden in der Folge als Zugtiere obsolet und die meisten Bauern spezialisieren sich nun entweder auf Nutztiere oder Ackerbau.

Mikroelektronik und der Einsatz von Informationstechnik leiten die Landwirtschaft 3.0 ein. Durch diese ließen sich weitere Produktionsschritte automatisieren, etwa bei der Tierfütterung oder der Raumklimatisierung. Dies erlaubte es die intensive Tierhaltung einzuführen und Fleisch, Milch und Eier in riesigen Mengen zu produzieren. Viele kleinere Betriebe konnten mit dieser Haltungsform nicht konkurrieren und es kam zu einem Strukturwandel. Im Ackerbau erlaubten Sensoren eine sehr präzisere Kontrolle der Bodenstruktur oder der Notwendigkeit von Düngungen. Diese Precision Farming genannten Methoden definieren diese Phase. Ein Trugschluss ist es, Precision Farming mit Landwirtschaft 4.0 gleichzusetzen, wie es allzu oft passiert. Es ist eher so, dass das Precision Farming mit der nächsten Revolution verflochten ist, ihr aber trotzdem zuvorkommt.

Die Revolution „Smart Farming“

Die großen Innovationen der Landwirtschaft 4.0 sind Smart und Digital Farming und sie sind in gewisser Weise eine Weiterentwicklung des Precision Farmings, allerdings in derselben Weise wie das Auto die Weiterentwicklung der Kutsche ist. Doch zuerst einmal zum Smart Farming.

Die auf der Grundlage der durch Precision Farming gewonnenen Daten werden nun durch Algorithmen verarbeitet. Was im ersten Moment wie eine Kleinigkeit klingt, ist in Wahrheit ein Quantensprung. Seit der Mensch Nutztiere für sich hat arbeiten lassen, übernahm er immer die Rolle eines Aufsehers. Selbst beim Precision Farming musste er noch auf die Daten selbstständig reagieren.

Dies ist jetzt nicht mehr notwendig. Wenn die Luftfeuchtigkeit im Gewächshaus zu hoch ist, wird sie durch ein Programm angepasst. Wenn Futtermittel oder Dünger knapp wird, wird automatisch neues bestellt. Möglich ist die Verknüpfung von vielen vormals autonomen Geräten durch das Internet. Autonom fahrende Maschinen sind in der Landwirtschaft im Gegensatz zum Personenverkehr schon heute Realität. Egal ob riesige Mähmaschinen oder Vollernter, die selbstständig den Weinberg hochfahren. Teilweise sind diese Maschinen schon seit einigen Jahren im Einsatz.

Die Vorteile liegen auf der Hand, der Kostenfaktor Mensch wird reduziert. Musste der Bauer früher selbst die Mähmaschine fahren oder einen Helfer bezahlen, kann er dies nun per Handy veranlassen und sich um andere Aufgaben kümmern. Gleichzeitig können deutlich größere Flächen bewirtschaftet werden, es steigt einzig die Zahl der Maschinen.

Digital Farming – Die aktuelle Lage

Eine junge Frau in einem karierten Hemd und einer Baseballkappe benutzt ein Tablet auf einem Weizenfeld. Im Hintergrund arbeiten Mähdrescher auf dem Feld. Über das Bild sind digitale Grafiken und Prozentsätze überlagert, die wahrscheinlich Informationen zur Ernteerfassung anzeigen.

Auf Precision und Smart Farming aufbauend bietet das Digital Farming noch mehr Optionen. Hier werden die Daten nicht nur intern, sondern auch extern genutzt. Hierfür wird auf Big Data Analysen gesetzt. So werden überbetriebliche Vergleiche möglich. Sollte der Einsatz eines Düngers auf einem nahegelegenen Nachbarfeld zu stärkeren Erträgen geführt haben, wird auf Grundlage dieser Daten die Bestellung des eigenen Düngers angepasst. So kann dank präziserer Daten noch effektiver gewirtschaftet werden.

Und Daten können nicht nur mit anderen Landwirten geteilt werden. Durch den direkten Zugriff auf öffentliche Wetterdaten und Bodenkarten kann effizienter und nachhaltiger produziert werden. Es bieten sich auch für die Kunden Möglichkeiten, weitaus mehr Informationen über die Herkunft eines Produktes im Einzelhandel zu erfahren. Ein kurzer Scan und schon kann sogar die Erntezeit einer Kartoffel bestimmt werden. Von Informationen wie genutztem Pflanzenschutzmittel, Wachstumsdauer und Durchschnittsgröße der auf diesem Feld geernteten Kartoffeln einmal ganz zu schweigen.

Doch hier zeigen sich die Probleme des Digitalen Farmings, die Datensicherheit. Auch wenn alle diese Daten geteilt werden können, so sind Landwirte auch Akteure in einer Marktwirtschaft. Das bedeutet, dass sie ein Interesse daran haben, so wenig Betriebsdaten wie möglich herauszugeben. Denn wenn der Kunde etwa weiß, wie groß die durchschnittliche Kartoffel ist, dann bleibt der Landwirt auf kleineren Sitzen. Wenn der Nachbar aufgrund der eigenen Daten eine bessere Ernte einfährt, wird man selbst vielleicht weniger los. Daher muss einerseits sichergestellt sein, dass bei der Einspeisung in Big Data Systeme die Datenflüsse transparent sind und andererseits der Landwirt die Hoheit über die eigenen Informationen behält. Daher plädiert die Deutsche Landwirtschaft Gesellschaft e.V. dafür, einheitliche Regelungen für den Datenschutz und zur Verhinderung von Datenmonopolen zu schaffen.  

Ausblick in die Zukunft der Landwirtschaft 5.0

Die nächste große Revolution wird die Robotik sein. Nicht in dem Sinne, dass Mähmaschinen autonom über Felder fahren, sondern dass Beispielsweise Drohnen in Bienenform Blüten bestäuben und Schädlinge jagen. Walmart hat sich hierfür schon in der Vergangenheit ein Patent gesichert. Durch die besseren Möglichkeiten des Monitorings durch mehrere Drohnen ist dann sogar eine individuelle Beobachtung einzelner Pflanzen möglich. Letztlich kann alles überwacht und optimiert werden. Der Bauer muss schlussendlich nicht mehr viel machen. Ähnlich eines Industrieaufsehers beschränkt sich seine Rolle auf stichprobenartige Qualitätskontrolle und darauf Entscheidungsträger bei akuten Notfällen zu sein.

Und so schließt die landwirtschaftliche Entwicklung doch noch zu der industriellen Entwicklung auf. Auf Unwägbarkeiten kann dank Big Data und autonomer Systeme nun auch ohne menschlichen Einfluss reagiert werden und ein Feld oder Stall kann dann ähnlich wie eine Fabrik fortwährend produzieren. Damit wird sich das Berufsbild Landwirt nachhaltig wandeln und rein menschlich erzeugte Produkte werden wahrscheinlich nur in einem Nischenmarkt für Liebhaber verbleiben, ähnlich wie etwa handgestrickte Kleidung. Egal ob einen diese Vorstellung ängstigt oder erfreut, eins haben auch alle bisherigen Revolutionen gezeigt, Fortschritt lässt sich nicht aufhalten.

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