Worin liegt der Sinn in Bildung, wenn uns Google alles sagen kann?

Erinnern sie sich auch nicht mehr an die Namen der zwei Elemente, die Marie Curie entdeckt hat? Oder daran, wer 1945 die Nationalratswahl in Großbritannien gewann? Oder wie viele Lichtjahre die Sonne von der Erde entfernt ist? Fragen Sie einfach Google.

Der konstante Zugang, der nur ein Klick oder eine Smartphone-Berührung entfernt ist, um am Überfluss an Online-Informationen teilzuhaben, hat die Art und Weise, wie wir uns sozialisieren und die Art und Weise, wie wir uns über die Welt um uns herum informieren und unser Leben organisieren, radikal verändert. Wenn alle Fakten sofort online abrufbar sind, welchen Sinn ergibt es noch, die selben Fakten an der Schule und der Universität zu erlernen? Die Zukunft könnte so aussehen, dass junge Menschen, nachdem sie sich die Grundlagen des Lesens und Schreibens angeeignet haben, ihre gesamte Bildung über Suchmaschinen wie Google aus dem Internet erhalten –  wann und wo auch immer sie etwas wissen wollen.

Einige Pädagogen streiten sich darüber, ob Lehrkräfte, Klassenräume, Bücher und Unterricht zu ersetzen seien, indem Schüler auf sich selbst gestellt sind und sich einfach online zu bestimmten Themen Informationen suchen. Derartige Ideen stellen den Wert eines traditionellen Bildungssystems, in dem Lehrer ihr Wissen an Schüler weitergeben, infrage. Natürlich warnen andere auch vor dieser Denkweise und betonen die Relevanz des persönlichen Kontakts zwischen dem Schüler und dem Lehrpersonal.

Diese Debatten über den Sinn und Zweck von Online-Suchen im Rahmen von Bildung und Bewertungen sind keineswegs neu. Statt nach neuen Wegen zu suchen, die Schüler abzuhalten, in ihren Hausarbeiten zu schummeln oder zu plagiieren, sollten wir unserer Besessenheit nach “Authentizität” ihrer Hausarbeiten Einhalt gebieten. Möglicherweise werden dann erst andere wichtige Aspekte der Bildung sichtbar, die zuvor nicht beachtet wurden.

Digitaler Inhaltsverwalter

In meinen jüngsten Recherchen, in denen ich die Methoden analysiert habe, mit denen Schüler ihre Aufgaben bewältigen, habe ich herausgefunden, dass sie zunehmend Arbeiten abgeben, die nicht wirklich “authentisch” sind. Allerdings ist diese Erkenntnis gar nicht so bedeutend, wie man annehmen könnte. Viel wichtiger ist es, dass sich die Schüler durch die erfolgreiche Internetnutzung darin üben, nach bereits existierenden Inhalten zu suchen. Gleichzeitig werden diese Inhalte im Lernprozess überprüft, kritisch beurteilt und neu präsentiert. Dank einer genauen Untersuchung der Vorgehensweise, wie Schüler ihre Aufgaben bearbeiten, konnte ich erkennen, dass alle geschriebenen Texte von ihnen Elemente fremder Texte beinhalten. Diese Vorgänge müssen besser verstanden und untersucht werden. Abschließend können eben diese neue Formen der Wissensbeschaffung in die Ausbildung und Beurteilung integriert werden.

Bei dieser Vorgehensweise handelt es sich um das Ausnutzen eines Überflusses an Informationen von einer Vielzahl an Quellen, inklusive Suchmaschinen wie Google, was ich als eine Form der “digitalen Inhaltsverwaltung” bezeichnen würde. Inhaltsverwaltung in diesem Sinne beschreibt, wie Lernende bestehende Inhalte verwenden, um im Rahmen von Problemlösungen und intellektueller Arbeit neue Inhalte erstellen. Somit entsteht eine neue Erfahrung für den Leser.

Ein Teil dessen ist die Entwicklung eines kritischen Urteilsvermögens, der wie ein “Schwachsinns-Detektor” fungiert, während man sich einen Weg durch die Flut an verfügbaren Informationen bahnt. Dieser Punkt ist im Bildungsprozess für jede Form der Inhaltsverwaltung entscheidend, weil Lernende das Internet beim Suchen nach Informationen mehr und mehr als Erweiterung ihres eigenen Gedächtnisses verwenden.

Schüler müssen zunächst einmal verstehen, dass die meisten Inhalte im Netz von Suchmaschinen wie Google mithilfe des PageRank-Algorithmus und weiteren Algorithmen verwaltet werden. Diese Form der Inhaltsverwaltung dient somit als eine Art von Verwaltung über die Arbeiten anderer Menschen, und setzt eine Aufarbeitung mit den Autoren dieser Texte voraus. Es ist ein wesentlicher Bestandteil “digitaler Bildung”.

Aufgrund der weit verbreiteten Konnektivität hat die Verwaltung von digitalen Inhalten ihren Weg in das Bildungssystem gefunden. Dadurch entsteht das Verlangen , die Nutzungsart der Onlinesuche und die Art und Weise des Schreibens, die aus der Verwaltung von Inhalten entsteht, in die Art und Weise wie wir Studenten beurteilen, einzupflegen.

Wie können diese neuen Fähigkeiten  in der Bildung beurteilt werden?

Während sich das prüfungsbezogene Schreiben tendenziell auf die eigene, “authentische” Arbeit des Schülers bezieht, könnte es genauso gut auf der Inhaltsverwaltung aufbauen. Nehmen wir als Beispiel ein Projekt, das ein Teil eines digitalen Portfolios ist. Das könnte von Schülern erfordern, Informationen zu einer bestimmten Fragestellung herauszusuchen, bestehende Auszüge aus dem Netz anzuordnen, sodass sie lesbar sind und die Quellen anzugeben. Abschließend kann aus den Ergebnissen eine Abschlussarbeit präsentiert werden.

Die Kernkompetenzen der informationsgestützten Wirtschaft des 21. Jahrhunderts bestehen daraus, Probleme durch das Zusammenfassen größerer Mengen an Informationen zu lösen, die vordergründig darauf basieren, Zusammenhänge zu erforschen und deren Probleme zu analysieren (anstatt lediglich Fakten und Daten auswendig zu lernen). Wie die Londoner Handelskammer betont, müssen wir sicherstellen, dass junge Menschen mit diesen Kernkompetenzen ins Berufsleben starten.

Meine eigene Forschung hat ergeben, dass junge Menschen zum Teil bereits Experten in Sachen Inhaltsverwaltung sind, als Folge ihrer tagtäglichen Interneterfahrung und ihrer heimlichen Schreibstrategien. Lehrer und Dozenten müssen diese Praktiken besser verstehen und erforschen, sowie Gelegenheiten zum Lernen und Beurteilen dieser “schwer zu bewertenden” Fähigkeiten.

Im Zeitalter des Informationsüberflusses müssen Endprodukte der Bildung – also die Klausuren oder die Hausarbeiten – weniger daran geknüpft sein, dass ein Schüler einen “authentischen” Text schreiben kann, sondern an eine digitale Bildung, die sich das Wissen des Netzwerks an Informationen zu Nutze macht, das auf Knopfdruck verfügbar ist.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation”unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image (adapted) „Google Education Summit 2013“ by txnetstars (CC BY-SA 2.0)


The Conversation

arbeitet zurzeit als leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Lancaster Universität im Bereich für Bildungswissenschaft. Sein aktuelles Projekt lautet "Academics' Writing". Hier wird die Dynamik der Wissensbildung an zeitgenössischen Universitäten erforscht.


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