Blogger als Therapiegruppe für Vitalisierung der digitalen Denkweise

Die so genannte Generation Y unterscheidet sich von den Babyboomern vor allem in einem Punkt: Sie will einen Arbeitsplatz, an dem sie eigene Ideen verwirklichen kann. // von Gunnar Sohn

Lena Schiller Clausen, Foto von Gunnar Sohn

Im Unterschied zu den älteren Generationen ist ihr das nicht nur wichtiger, sie ist mit der Verwirklichung dieses Wunsches in der Arbeitsrealität auch unzufriedener. Unternehmen sind also gut beraten, wie sie auf gerade diese Erwartung ihrer jungen Mitarbeiter besonders eingehen”, schreiben die Wissenschaftler Reinhard Schlinkert und Bernd Raffelhüschen im diesjährigen Glücksatlas der Deutschen Post, der in einer Bloggerkonferenz in Berlin vorgestellt und diskutiert wurde. In ihrem Vortrag geht Lena Schiller Clausen, Unternehmerin und Co-Autorin des Buches “New Business Order” noch ein paar Schritte weiter.

Die jungen Wilden als Gestalter

Die jungen Wilden wollen sich gestaltend einmischen. Die Etablierten in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sehen die Digitalisierung eher als Bedrohung. Deshalb fungieren die Jüngeren auch als Transformationsdesigner wider Willen, so Lena Schiller Clausen: “Wir organisieren uns am liebsten als Netzwerk: anti-hierarchisch, dezentral, peripher und immer wieder wild durcheinander, wie ein Bienenschwarm, der sich ständig neu verdichtet.

Genau das haben viele Vertreter der älteren Generation noch nicht verinnerlicht, konstatiert das Notiz-Amt. Es geht nicht um Tools, Software und Gadgets, es geht um die Möglichkeiten der Mitwirkung mit den Möglichkeiten der digitalen Technologien.

Netzwerkkompetenz statt klassischer Karriere

Die Zukunft zeigt sich in der Gegenwart als Krise. Und die habe ich gerade auf einer Digitalkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung erlebt. Da sollte ich über die Zukunft reden und die Diskussion leiten, die damit endete, dass Führungskräfte besser ausgebildet werden müssten. Scheißdrauf, dachte ich mir, Du gehst gleich in Deine Therapiegruppe und das seid Ihr”, so die einführenden Worte von Lena in der Blogger-Runde.

Wir basteln ein wenig an der Qualifikation, lesen Kant und Konfuzius mit digitalem Sahnehäubchen und schwupp klappt es mit der netzökonomischen Ausrichtung von Organisationen. Die Teilnehmer beim Digikon-Treffen der politischen Stiftung, die fast alle so aussehen wie der alte Biolehrer von Lena, sind repräsentativ für die Positionselite in Deutschland. Sie beurteilen Menschen in erster Linie nach ihrer Fachkompetenz und ihrem Lebenslauf. Thomas Sattelberger nannte das auf der Next Economy Open Inzuchtsystem: Müller rekrutiert nur Müllerchen.

Die Vertreter der SPD-Denkfabrik dachten wohl, wie lange hat das Mädchen denn das Thema “Zukunft der Arbeit” studiert, um auf unserer Digitalkonferenz mitreden zu dürfen. Umgekehrt fragt sich Lena, wie viele XING-Kontakte die Funktionäre als Abbild ihres Biolehrers denn vorweisen können, um bei dieser Tagung herumhängen zu dürfen. Es gehe nicht mehr um klassische Karriereprofile, sondern um Kompetenzen im Netzwerkmanagement mit digitalen Werkzeugen.

Probleme aussitzen

Die Altvorderen setzen ihre Hoffnung darauf, die jungen Herausforderer zur Räson zu bringen, um beim großen Spiel der Großorganisationen mitspielen zu können. Sie haben die neue Logik des Netzes immer noch nicht verstanden.

Wenn wir Digitalisierung sagen, dann meinen wir nicht, dass jeder an seinem Arbeitsplatz ein iPad haben sollten. Wir sollten endlich anfangen zu denken wie das Netz. Wir sollten uns vernetzen, wir sollten aus Knotenpunkten und Datentransfers bestehen, die sich an bestimmten Stellen akkumulieren und immer wieder aus sich selbst heraus über Algorithmen erneuern”, erläutert Lena Schiller Clausen.

Open-Source-Kultur trifft auf die Krawattenfraktion

Wer mit Open-Source-Projekten und einer Kultur der Beteiligung sozialisiert wurde, wird mit der Krawattenfraktion im Konzernkapitalismus und den Biolehrern der Friedrich-Ebert-Stiftung wenig anfangen können. Das gilt auch umgekehrt. Deshalb ist es so rührend, wenn die Elite von Wirtschaft und Politik auf Kongressen von der digitalen Revolution überzeugt werden soll mit irgendwelchen Schock-Meldungen über traditionelle Branchen, die kurz vor dem Untergang stehen. Die Halbwertzeit dieser Botschaften hat ungefähr die Wirkung von Filmen über die Amputation von Raucherbeinen. Sie reicht bis zur nächsten Kaffeepause, in der man sich in aller Gemütlichkeit einen Glimmstängel anzündet und die Chefsekretärin am Handy zusammenscheißt, weil sie den Rückflug nicht schon umgebucht hat.

Wer mit BWL-Diplom oder MBA-Abschluss ins Arbeitsleben eintaucht, erfreut sich nach wie vor an den Spielregeln des alten Kapitalismus. Position bedeutet Macht, um Prozesse zu steuern, Budgets festzulegen, Ressourcen zu planen, von Synergien zu schwafeln, sich gut und weltweit führend aufzustellen, Zeit in Strategiemeetings zu verplempern und kritische Mitarbeiter rauszufeuern.

Die gallischen Dörfer der Deutschland AG

Die dezentralen Jedermann-Technologien der Digitalisierung bewirken sogar eine Verhärtung im Establishment: Man klammert sich fester an die warme Schürze einer überkommenen Denkschule. Die traditionellen Organisationen wirken auf die Netzszene wie gallische Dörfer, die nicht aufhören wollen, einem übermächtigen Eindringling Widerstand zu leisten. Auf die Führungskräfte der Deutschland AG sollte man keine allzu großen Hoffnungen mehr setzen. Selbstorganisation ist angesagt:

Wenn Selbständigkeit bis vor einigen Jahren noch bedeutete, dass man viel alleine arbeitete, bieten virtuelle und reale Netzwerke, Projektgruppen und Gemeinschaftsbüros heute eine Vielfalt an Kooperationsmöglichkeiten und den täglichen Kontakt zu Gleichgesinnten. Die neuen Strukturen sind keine steilen Organisationsdiagramme, sondern breite Netzwerke aus Schnittstellen”, schreiben Christoph Giesa und Lena Schiller Clausen in ihrem Buch “New Business Order”.

Nicht Untergebene werden gesteuert, sondern Märkte, Aufgaben und Inhalte, Kooperationen mit Mikrounternehmern, vernetzte Kunden, gleichgestellte Mitgründer und Unterstützer, mit denen man auf Augenhöhe spricht. Zudem lernt man das Scheitern. Acht oder neun Projekte gehen vielleicht in die Binsen. Beim zehnten Ding hat man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und erntet die Früchte beim Auf-die-Schnauze-Fallen.


Teaser & Image by Gunnar Sohn.


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ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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