Selbst-Marketing 2.0 in der Flat World

Bereits an anderen Stellen wurde versucht, die positiven Aspekte von “Marketing 2.0” herauszuarbeiten, aber machen wir uns nichts vor: Das bleibt ein ebenso zwiespältiger und ungemütlicher Begriff wie die untergründig verwandte “Ich AG” (“Unwort des Jahres 2002”). Es stimmt ja: Im Web 2.0 muss ich im doppelten Sinn Stücke von mir selbst preisgeben, um auf diesem neuen Markt mitspielen zu können. Das gilt nicht nur bei “Selbst-Vermarktung” im engeren Sinn, sondern auch dann, wenn ich im Web ein unpersönliches Produkt “vermarkten” will. Im Web muss ich dem Produkt dazu meine persönliche Stimme leihen, also ein Stück von mir selbst.

Die alte Trennlinie zwischen Privatperson und Profession gibt es nicht mehr. Das ist dann nicht so problematisch, wenn ich mich voll und ganz mit dem identifiziere, was ich anbiete. Das ist das untergründige Ziel in der Web-Ökonomie. Aber wie oft ist das in der Realität wirklich hundertprozentig der Fall? Die Krawatte und das Siezen waren in der alten Wirtschaft ja auch ein Schutz vor zu viel Vereinnahmung.


Trotzdem sollten wir Begriffe wie “Marketing 2.0” und “Ich AG” verwenden. Gerade deshalb, weil sie ungemütlich und schmerzhaft sind. Die Welt, in die wir da treiben, wird ja tatsächlich ungemütlicher, und auch das Web 2.0 ist keine Wohlfühlnische. Der beste Ratschlag für das hier nötige Selbstmanagement steht in “Die Welt ist flach”, Thomas Friedmans ebenso wichtigem wie zwiespältigem Buch. Er stammt von Marcia Loughry, einer alleinerziehenden Mutter und Sekretärin, die sich über viele Umwege auf eigene Faust zur IT-Expertin hochgekämpft hat:

“In der Flachen Welt musst du immer versuchen, ExpertIn für drei Felder zu sein. Das erste Feld ist das, was jetzt gerade dein Brot-und-Butter-Geschäft ist. Befasse dich dazu aus eigenem Antrieb möglichst intensiv mit einem zweiten Feld, das irgendwie mit dem ersten zusammenhängt. Und dann sollte es immer noch ein drittes, ganz anderes Feld geben: Da, wo du vielleicht irgendwann einmal hin willst. So. Und dann mach dir noch eins klar: Diese drei Felder bleiben nicht gleich. Sie werden sich permanent verschieben und verändern.”

Langweilig wird es dabei sicher nicht, und lebenslanges Lernen ist eine gute Sache. Aber für die meisten von uns bedeutet das auch Unsicherheit und Stress, materiell und psychisch. Das meint der Slogan “Mach es nicht selbst”, Refrain der aktuellen Tocotronic-Single. Auf dem Video tanzen gruslig grinsende Obi-Disneyland-Marketing-Tiere, bis sie am Ende in Flammen aufgehen. (Auch das ist natürlich ein Widerspruch: Die Band ist eine kollektive Ich AG von 40jährigen Postjugendlichen, die vom Do It Yourself-Ethos des Punk her kommt und jetzt davon lebt, Subversivität als Ware zu verkaufen. Dass sie das sehr genau weiß, ist gerade der Witz dieses Stücks.)

Meconomy, Zombieconomy

Thomas Middelhoff, Mitglied des Marketing Alumni Münster e.V.
(Ehemaligenverein der Marketingstudenten in Münster)


Wenn man das euphorisch beschreibt, in alter Marketing-Sprache halt, klingt das so: “Willkommen in der Meconomy: Wir machen unsere Hobbys zum Beruf und verlegen unseren Lebensmittelpunkt dorthin, wo wir am glücklichsten und produktivsten sind.  Wir müssen uns als Marke positionieren, ständig dazulernen und Dinge, die wir nicht gern tun, an Dienstleister in fernen Ländern auslagern. Wir machen uns leichteren Herzens selbstständig, aber vor allem werden wir selbstständiger denken und fühlen. Es wird ein gutes, aufregendes und erfülltes Leben sein …”

Ungefähr so, wie sein Text hier klingt, sehen die Hochglanz-Homepage und die Marketing-Fotos des Trendsachbuch-Autors Markus Albers aus. Trotzdem kommt die Widersprüchlichkeit auch bei ihm zum Vorschein: Sein Buch ist nämlich gar nicht so eindimensional, wie es hier klingt, und seine Hintergrund-Interviews mit Jochen Mai (“karrierebibel.de – Jeden Tag mehr Erfolg!”) und Klaus Eck (pr-blogger.de), die er dazu im Web veröffentlicht hat, sollte man lesen (#, #). Albers, Mai und Eck machen digitales Marketing für gedruckte Bücher über Selbstmarketing 2.0. Bei ihnen allen spürt man dieses schwierige Gemenge aus Euphorie und leiser Verzweiflung, aus Selbstbefreiung und Verdammtsein zur dauernden Eigendynamik, die uns seit dem Platzen der Dotcom-Blase begleitet. (Darum ging es ja schon vor Jahren in Funny Van Dammens Song-Klassiker “Baut kleine geile Firmen auf”.)

Wichtig ist zu verstehen, dass das eben kein Privatproblem ist. In Friedmans “Die Welt ist flach” fühlt sich die gesamte Westliche Welt so wie die einzelne digitale Wissensarbeiterin. Es gibt permanente globale Konkurrenz, alles verändert sich schneller als man sich anpassen kann und plötzlich merkt man, dass es keine tragende Säule unserer Wirtschaft und Gesellschaft mehr gibt, die bei prüfendem Klopfen nicht entsetzlich hohl klingt. Da ist nirgends mehr vorwärtstreibende Energie und kaum noch Mehrwert, auf dem man ein Geschäft aufbauen könnte. Man spürt es auf der Cebit genauso wie bei der Autoindustrie, an den Universitäten und bei den Banken, bei den Telcos und beim Maschinenbau, in der Medienindustrie und in den Kaufhäusern.

Zombieconomy nennt das der Web-Ökonom und Harvard-Blogger Umair Haque. Überall zerfallen die Riesenfirmen, die im 20. Jahrhundert ein sicheres Leben für Zehntausende Angestellte und ein Vielfaches an Zulieferern garantierten. Die digitale Ökonomie ersetzt das nicht: Microsoft hat noch 93.000 Mitarbeiter weltweit, Google hat 20.000, die Weltmacht Facebook hat 1000. Auf der Plus-Seite der Job-Bilanz stehen nicht viel mehr als ein paar versprengte WissensarbeiterInnen vor ihrem Bildschirm im Home Office. Unser Unbehagen hat gute Gründe.

Start me up

Me playing Start Me Up from the Rolling Stones”

Wie weit soll man da selbst mitmachen? Wie sehr muss man sich selbst belügen, damit man der Welt mit dynamischem Erfolgslächeln begegnen kann? Bedeutet “Marketing 2.0” wirklich, dass man sich jeden Tag aufs Neue klarmachen muss: “Jeder Mensch ist eine Marke”?

Das ist ein Missverständnis. Die Meconomy ist falsch, weil sie nur die alte Idee von Marketing auf die neuen Verhältnisse überträgt. Das Marketing-Konzept der “Marken”, das sich seit den 1980er Jahren entwickelt hat, gehört ja selbst zur Zombieconomy. Gefälschte Prada-Taschen und egozentrische Lebensgefühl-Werbung gehören zur vergangenen Epoche, so wie “innovative Finanzprodukte” und rasende Luxus-Geländewagen in Schwarz mit getönten Scheiben.

Für die vogelfreie Selbständigkeit des Web-Zeitalters liefert ein anderes Schlagwort besseres Rüstzeug: Das Startup. Ein kleines Team zu allem entschlossener WissensarbeiterInnen findet sich zusammen und wird eins mit ihrem Projekt. Eigenbaumarkt, Dübeln statt Grübeln. Die neuen digital-vernetzten Medien geben allen die Produktionsmittel dafür in die Hand: Da hast du einen Computer, da hast du unfassbar mächtige Software, die fast nichts kostet, da hast du das Internet, mit dem du in Millisekunden Zugang zu allem Wissen und zu allen Leuten hast. Jetzt mach was damit.

Schon im Blasenjahr 2000 war “Startup” die Zauberformel, aber damals dachte man in Deutschland bei “Medien” nur an Marketing. (Beim Cebit-Startup-Contest in diesem Jahr war das immer noch so.) Lauter windige kleine digitale Werbe-Firmen, die niemand brauchte, schossen aus dem Boden. Ein Pixelpark, der ebenso schnell wieder verschwand, wie er gekommen war. Nun ist es zwar so, dass auch die Profitabilität der vielen winzigen neuen Web 2.0-Startups durchaus umstritten ist, aber trotzdem ist die Situation ganz anders: Die neuen Firmen bauen kleine Software-Applikationen. Da geht es um Nutzererfahrungen (“User Experiences”): Entweder wird die jeweilige Web-Software benutzt, oder eben nicht. Entweder gibt es Netzwerk-Effekte, oder eben nicht. Viel Geld wird damit in den seltensten Fällen verdient, außer es gelingt, das als kleinen Baustein der neuen Web-Infrastruktur an Google zu verkaufen. Aber die Zombieconomy hat ja auch kein “Businessmodell” mehr.

Von solchen Software-Startups kann jede/r lernen: Wie man eine Idee findet und herausarbeitet, wie man sie Schritt für Schritt möglichst zielgenau umsetzt. Und weil das offen im Web stattfindet, das zugleich der Markt ist, ist diese Umsetzung eigentlich schon fast alles, was man an Marketing braucht. Genau das haben Firmen wie 37 Signals (hier ihr empfehlenswertes Startup-Handbuch), Flickr, Twitter und nicht zuletzt Google selbst vorgeführt. Die Deutschen scheinen sich damit eher schwer zu tun. Ein lediglich auf Web 2.0 geschminktes Zombie-Marketing erkennt man dagegen leicht daran, dass schon wieder Werbetexte und leer lächelnde Fotomodell-Gesichter an die Stelle von Software-Code und minimalistischem Interaktions-Design treten.

Mach es zu deinem Projekt (#)

“Marketing 2.0”, richtig verstanden, ist also öffentliches Engagement für ein Projekt, mit dem man verschmilzt – aber nicht ohne Distanz zu sich selbst zu bewahren. Startup-Gründer aus dem Silicon Valley geben jederzeit eine Projektidee wieder auf, in die sie vorübergehend 120% investiert haben. Es ist eine Versuchsanordnung. Das heißt, auch in der Ich AG ist die Person nur der Ideenträger. Diese Idee muss man entwickeln. Es ist also eigentlich immer nützlich, so zu tun, als sei man ein Web 2.0-Start-up, und dabei von den Besten zu lernen.

Als Erstes musst du dir dein Projekt selbst verkaufen. Du stehst dir also selbst als Risiko-Investor gegenüber, der in die Zukunft eines sich abzeichnenden Geschäftsfelds investiert: Ist das meine Zeit und Energie wert? Dazu brauchst du vor allem einen Pitch. Also eine “Anpreisung” deiner Idee, deines Produkts, deines Projekts, auf den Punkt, nicht länger als 15 Minuten. In den USA machen sie eine regelrechte Kunstform daraus. Die beste Form dafür ist eine kurze Präsentation: 10 bis maximal 20 Folien, auf denen alles Wesentliche steht. Idealer Weise kann man das auch mündlich vortragen, schwungvoll und klar.

Es gibt viele Vorlagen für Start-up Pitches. Ein guter Anfang ist Guy Kawasaki’s berühmte Slideshow mit zehn Tipps “for Anybody starting Anything”. Auf Slideshare gibt es eine ganze Menge von konkreten Anleitungen, die hier z.B. ist recht gut. (Alle in Englisch: bezeichnend für die deutsche “Gründerkultur”, die geprägt ist von Bürokratie einerseits und billigem Selbstbräuner-BWL-Marketing andererseits.) Ich selbst habe mir eine etwas pragmatischere Vorlage gebastelt, die ich für jedes wichtigere Projekt verwende ( Slideshare, auch zum Download):

Ein paar Folien für den Start von fast Allem.
Wenn man das aufgeschrieben hat, ist das im Grunde bereits das Marketing-Konzept. Man kann von anderen nicht Geld, Aufmerksamkeit oder Engagement für irgendwas fordern, wenn man nicht diesen Pitch selbst immer schon klar im Kopf hat. Ja, man kann das Projekt nicht einmal erfolgreich durchführen: Auf diese Weise kann man immer zum Substanziellen zurück, wenn man sich mal wieder verirrt und zerstreut hat. Es ist ja unfassbar schwer, eine Idee in mehreren Köpfen so verankern, dass alle einigermaßen über dasselbe reden. Und das gilt nicht nur bei kollaborativen Projekten. Es ist erstaunlich, wie ungenau man selbst gerade über das denkt, was man am Besten zu kennen glaubt. Den ganzen Schwurbel rund um”Marketing” und “Business” abzuschneiden und aufzuklären, das handhabbar zu machen für Leute wie du und ich: das ist nicht die geringste Leitung der Web 2.0-Kulturrevolution.

Bildnachweis: Wikipedia, Lindner, HTW Berlin

Crosspost:
Dieser Beitrag erschien im Rahmen der Lindner 2.0-Kolumne für das Blog des eVideo-Projektes der HTW Berlin. eVideo beschäftigt sich in 6 ESF-geförderten, informalisierten Weiterbildungskursen mit verschiedenen Themen, um die Durchschlagskraft des Web 2.0 für die moderne Kommunikation zu erkunden. Im Wintersemester 2009/2010 sondierten die Beteiligten die Wirkungsgrade für „Marketing 2.0“ – im Sommersemester konzentriert sich das Projekt auf „Identität 2.0 – Leben im mobilen Zeitalter“.

befasst sich als selbständiger Forscher und Berater mit Wissensarbeit, Informationsflüssen und Lernprozessen in der Google-Galaxis. Er erforscht und entwirft konkrete Lösungen für digitale WissensarbeiterInnen (Enterprise 2.0, e-Learning) und publiziert dazu in englischer und deutscher Sprache.


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4 comments

  1. Hmmm, ist Marketing 2.0 nicht im Selbstausbeutung 1.0 mit der zusätzlichen Illusion das werkelnde Individuum hätte tatsächlich eine Pseudo-Bedeutung im twitternden Rauschen der Ego-Tastahuren?

    Historischer Zusatz: Die Meconomy ist im Endeffekt ein weiterer Zombie der Selbsterkenntnis- & Selbstverbesserungs-Kultur der Sixties.

    Die Single-Gesellschaft, Prosumer-Kultur und jetzt die gnadenlosen Eigenbrandler.

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