Internationale Datenpolitik und Vertrauenskrise


Dieser Beitrag ist Teil einer Artikelserie, die sich im Vorfeld der Konferenz MSFT Explained (am 27. September in Berlin) mit Fragen der Digitalisierung unserer Gesellschaft auseinandersetzt.


Nicht selten begegnet einem in netzpolitischen Diskussionen der Topos der Vertrauenskrise. Genährt von Snowden und seinen Enthüllungen, Angst vor Digitalmonopolisten und der Komplexität und damit einhergehende Undurchschaubarkeit digitaler Prozesse wird der Vertrauensaspekt zur Triebfeder netzpolitischer Forderungen. Dabei verdient der Begriff der Vertrauenskrise eine nähere Betrachtung. Zunächst einmal: Ist eigentlich mangelndes Vertrauen – oder anders gewendet: Misstrauen – stets Ausdruck einer Krise?

Die im ersten Reflex naheliegende Bejahung der Frage widerspricht auf den zweiten Blick fundamental den Grundbedingungen demokratischer Gesellschaften. Demokratische Kulturen zeichnen sich durch institutionalisiertes Misstrauen aus. Dies gilt gerade in den gesellschaftlichen Bereichen, in denen als illegitim empfundene Machtasymmetrien beobachtet werden.

Eine Republik von Teufeln

Demokratien, so Kant, sind so konzipiert, dass sie im Zweifel auch für eine Republik von Teufeln funktionieren, denn es kommt nicht auf das Vertrauen an den anderen an. Vertrauen entsteht nicht durch blinden Glauben an die Glaubwürdigkeit des Gegenübers. Es entsteht in einer demokratischen Gesellschaft dadurch, dass die Asymmetrien durch Normen und Gesetze reguliert werden und Vertrauen in die Verrechtlichungsprozesse besteht.
Narrative des Misstrauens sind daher ein gesunder Ausdruck einer demokratischen Kultur. Sie werden erst dann problematisch, wenn die Teilnehmer des demokratischen Prozesses kein Vertrauen in den (rechtlichen) Rahmen der Auseinandersetzung haben.

Demgegenüber wird eine digitale Vertrauenskrise vielfach damit begründet, dass technische Prozesse nicht die nötige Transparenz aufwiesen. Mehr Transparenz bedeutet aber nicht mehr Vertrauen. Im Gegenteil: Eine vollständige Transparenz – etwa in Bezug auf die Teilnehmer an einem demokratischen Diskurs durch Nennung ihrer Namen und wahren Identitäten – würde das Vertrauen in die Grundbedingungen der demokratischen Auseinandersetzung erschüttern, weil man davon ausgehen müsste, dass bestimmte Teilnehmer, die anonym bleiben wollen, weil sie unliebsame Dinge äußern, am Diskurs gar nicht erst teilnehmen.

Das Netz steckt in den Kinderschuhen der Regulierung

Der internationale Kontext, in dem sich das grundsätzlich globale Internet bewegt, steckt in den Kinderschuhen der Regulierung, wenn es um den rechtlichen Vertrauensrahmen für die Auseinandersetzung des Misstrauens geht. Aus diesem Grund ist der Topos der Vertrauenskrise durchaus verständlich.

Aber es ist Vorsicht geboten, hieraus vorschnell Schlüsse zu ziehen – erst recht, wenn sie auf eine Rückbesinnung zum nationalen Rahmen zielen. So würden „Schengenrouting“ oder andere Grenzziehungen im digitalen Raum nicht eine wie auch immer geartete Vertrauenskrise, sondern den digitalen Raum als solchen beseitigen, der für eine demokratische internationale Auseinandersetzung zur Verfügung steht.

Vertrauensdiskurse zwischen Staaten geraten schnell in nationalistische Fahrwasser, die dem demokratischen Grundgedanken widersprechen (wir die Guten vs die anderen, die zu misstrauen sind). Betrachtet man das Narrativ der „Vertrauenskrise“ aus der größeren Perspektive, so ist sie Teil eines neu-nationalistischen Diskurses, der gerade nicht auf eine demokratische Völkerverständigung ausgerichtet ist.

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Image „Politik“ by Geralt (CC0 Public Domain)


Politikwissenschaftlerin, ist Dozentin am Lehrstuhl für Philosophie IV der Ludwig-Maximilians Universität in München und engagiert sich im Internet & Gesellschaft Collaboratory. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Konflikte und neue Technologien in internationalen Governance-Strukturen sowie Strategien kollektiver Akteure und kollektiver Rationalität. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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