Flexibles Arbeiten lässt uns länger schuften

Freiheit ist Sklaverei. (George Orwell, 1984)

Stellen wir uns vor, wir könnten arbeiten wann und wo wir wollen. Würden wir weniger arbeiten und somit die Zeit mit Familie und Freunden genießen? Oder würden wir ununterbrochen arbeiten, sodass die Arbeit das restliche Leben bestimmt?

Viele Menschen können sich nicht vorstellen, was diese Freiheit bedeutet. Ungefähr ein Drittel aller Angestellten in Großbritannien verfügt über Flexibilität bezüglich der Arbeitsstunden und ungefähr ein Fünftel aller Menschen arbeitet gelegentlich von Zuhause aus. Etwa 17 Prozent aller Angestellten in der EU haben Gleitzeit, was bedeutet, dass der Arbeitsbeginn sowie das Arbeitsende flexibel sind. Weitere fünf Prozent können selbst bestimmen, wann und wie lange sie arbeiten.

Nun sieht es vielleicht so aus, dass Menschen mit mehr Kontrolle über ihren Arbeitsplan mehr arbeiten, als Menschen mit weniger Kontrolle. Tatsächlich neigen Menschen dazu, Mehrarbeit zu leisten, wenn ihnen flexible Arbeitszeiten erlaubt sind, verglichen mit Menschen, die fixe Arbeitszeiten haben.

Diese Ergebnisse stammen von einer Studie, die von meiner Kollegin Yvonne Lott und mir kürzlich durchgeführt und im European Sociological Review veröffentlicht wurde. Wir untersuchten Daten von Arbeitern aus Deutschland, um die Anzahl der Überstunden zu analysieren, die sich seit der Verfügung über mehr Kontrolle über die Arbeitszeiten in den letzten Jahren ergeben haben.

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Diese Tendenz stellte sich als zutreffend heraus, wenn Menschen über mehr Kontrolle verfügen. Wir berücksichtigten auch eine Vielzahl von weiteren Faktoren, die einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit haben, länger zu arbeiten. Solche Faktoren sind beispielsweise das Autoritätslevel und die Art der Tätigkeit. Der Anstieg der Arbeitszeiten war am höchsten, wenn Arbeiter ihre Arbeitszeiten selbst bestimmen konnten.

Diese Ergebnisse stimmen mit ähnlichen Forschungen von Arbeitern aus Großbritannien, an denen meine Kollegin Mariska van der Horst und ich arbeiteten, überein. Die Ergebnisse werden bei einer Konferenz im September präsentiert. Wir haben ein ähnliches Verhalten herausgefunden: Wenn Arbeiter mehr Eigenständigkeit über ihre Arbeitsstunden haben, verlängert sich sehr oft die Dauer ihrer Arbeitszeit.

Warum härter arbeiten?

Es gibt einige Gründe für dieses Verhalten. Ein Grund dafür könnte durch die „Gabentausch„-Theorie erklärt werden. Das bedeutet, dass Menschen die Freiheit als Geschenk ihres Arbeitgebers sehen, den sie im Gegenzug mit harter Arbeit entlohnen wollen. Die Arbeiter wollen beweisen, dass man ihnen diese Eigenständigkeit zutrauen kann.

Ein weiterer Grund könnte in der Selbstständigkeit liegen, die den Menschen gegeben wird. In vielen Fällen wird dies als Teil von erhöhten Personalleistungen gesehen, bei dem die Arbeit von spezieller Zeit unterschieden wird, aufgabenbezogener ist und das Einkommen in vielen Fällen von erbrachten Ergebnissen abhängt. Dies kann ein Anreiz für viele Menschen sein, härter zu arbeiten und in stärkerer Konkurrenz zu anderen Arbeitern zu stehen. Es erlaubt Arbeitgebern aber auch, das Arbeitspensum zu erhöhen ohne durch das Arbeitsrecht eingeschränkt zu sein, welches beispielsweise die Höchstarbeitszeit der Arbeiter regelt.

Aufgelockerte Grenzen zwischen Arbeit und anderen Lebensbereichen können auch zu einer Beeinträchtigung der Arbeit bezüglich Freizeit oder Zeit mit der Familie führen, speziell für Menschen, die sich der Arbeit widmen oder die Prioritäten setzen. Das ist der Grund, warum Menschen in leistungsstarken Jobs diese Eigenständigkeit wahrscheinlicher als Paradoxon sehen und Freiheit über die eigene Arbeit mit Selbstausbeutung endet. Elon Musk arbeitet 80 bis 100 Stunden in der Woche – im Silicon Valley wird die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden zelebriert und die Menschen sehen dies als Grund zum Prahlen.

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Flexibilität muss nicht unbedingt etwas Negatives bedeuten. Viele Studien zu diesem Thema zeigen, dass ein gewisses Maß an Eigenständigkeit und Kontrolle über die Arbeit möglicherweise das Verhältnis zwischen Berufs- und Privatleben verbessert. In unserer Arbeit fanden wir heraus, dass Arbeiter mehr verdienen, wenn sie flexibel – statt länger – arbeiten. Es gibt Anzeichen von Leistungsprämien, wenn auf diese Weise gearbeitet wird.

Die Kluft zwischen den Geschlechtern

Wir haben auch einige Unstimmigkeiten zwischen Männern und Frauen herausgefunden. Frauen, die in Teilzeit arbeiten, leisten weniger Überstunden als Männer, die flexibel arbeiten. Dies ist wahrscheinlich der Fall, weil sich Frauen neben der Teilzeitarbeit zusätzlich um die Familie kümmern und die Arbeitszeit somit eingeschränkt ist.

Frauen, die einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, leisten gleich viele Überstunden wie Männer mit flexibler Arbeitszeit – sogar als Mutter. Und das, obwohl sie nicht dieselbe Anerkennung hinsichtlich der Entlohnung wie Männer erhalten. Es kann sein, dass Arbeitgeber diese Flexibilität nicht anerkennen, wenn diese für persönliche Gründe genutzt wird.

Arbeitgeber denken auch, dass Frauen Flexibilität hauptsächlich für familiäre Zwecke nutzen. Dies führt dazu, dass Frauen nicht auf dieselbe Weise wie Männer belohnt werden, wenn sie Flexibilität, ohne Rücksicht auf das Ausmaß der Hingabe, nutzen. So kann eine Steigerung der Arbeitsflexibilität zu einer Verstärkung von traditionellen Geschlechterrollen und zu einem größeren Unterschied zwischen den Geschlechtern führen.

Mehr Flexibilität und Eigenständigkeit bezüglich Arbeit klingt zunächst verlockend und kann durchaus eine neue Ära einer verbesserten Work-Life-Balance ankündigen. Bis jetzt deutet jedoch vieles auf das Gegenteil hin. Wir müssen die Situation besser verstehen, um gegen einige dieser negativen Konsequenzen anzukämpfen.

Das bereits bestehende Arbeitsrecht schützt Arbeiter vor einer Ausbeutung seitens des Arbeitgebers. Wahrscheinlich brauchen wir Gesetze, die davor schützen, dass sich der Arbeitnehmer selbst ausbeutet. So wie das von Frankreich vorgeschlagene „Recht auf Abschalten“, um E-Mails außerhalb der Dienstzeiten zu regulieren. Freiheit muss nicht Sklaverei bedeuten – wir müssen nur verstehen, wie wir damit umgehen sollen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image „Frustrated Man at a desk“ by Wikimedia Commons (CC BY SA 3.0)


The Conversation

erforscht unter anderem den Arbeitsmarkt. Zudem ist sie Dozentin für Soziologie und Sozialpolitik an der Universität von Kent. Ihre Forschungsinteressen obliegen der Work-Life-Balance und unter anderem auch der Ungleichheit der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt.


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