E-Government nach Edward Snowden: Fokus auf Datenschutz

In einigen europäischen Ländern können Behördengänge bereits auf elektronischem Weg erledigt werden. Estland kommt in diesem Zusammenhang eine Vorreiterrolle zu, weil es über eine hoch entwickelte digitale Infrastruktur verfügt. Diese wurde von Anfang an von den Bürgern angenommen und wird ganz selbstverständlich im Alltag genutzt. Bereits 2001 begann Estland mit der Vernetzung seiner Verwaltungen und der Digitalisierung der Verfahrensabläufe. In Deutschland sind wir hiervon noch weit entfernt. Ängste der Bürger vor der Überwachung durch Geheimdienste stellen für die Implementierung von E-Government eine politische Herausforderung dar.

Estland ist Vorreiter beim Thema E-Government

Spätestens nach den Enthüllungen von Edward Snowden sprechen wir anders über Privatsphäre und Datenschutz. Und dies völlig zu Recht. Wir nehmen den Staat eher als unsere Privatsphäre bedrohenden Gegner wahr und gehen in Abwehrposition. Doch aus lauter Frust könnte es uns passieren, dass wir dabei die Chancen, welche die technischen Optionen uns bieten, dem Staat auf Augenhöhe zu begegnen, verpassen. Das Stichwort hierzu lautet: E-Government. Der Begriff hat sich eingebürgert für den digitalen Austausch zwischen Bürgern und Unternehmern auf der einen sowie staatlichen Institutionen auf der anderen Seite. Ziel ist es, die Chancen, die die Digitalisierung zur Optimierung von Verfahrensabläufen bietet, auch im öffentlichen Sektor optimal zu nutzen. Eine Frage könnte aber (gerade deshalb) lauten: Wie könnte solch ein digitaler Staat bei uns aussehen? Wollen wir das überhaupt? Einen Staat, der alles von uns weiß? Der möglicherweise noch mehr Daten über uns sammelt? Wer passt dann auf unsere Daten auf? Viele Fragen.

Auf der Suche nach Antworten: Das Vodafone Institut für Gesellschaft und Kommunikation und die Stiftung Neue Verantwortung veranstalteten am 18. Februar 2014 in den Räumen der Stiftung Neue Verantwortung in Berlin eine Podiumsdiskussion zu diesem Thema. Dabei standen die Erfolge von E-Government am Beispiel von Estland im Vordergrund.

Vor der Veranstaltung habe ich mich mit einer jungen Frau unterhalten, die gemeinsam mit ihrem Freund gekommen war. Einfach so? Ich war beeindruckt. Ich habe sie daher gefragt, warum sie sich für das Thema interessiere. Ihre Begründung war einfach: Sie interessiert sich für Estland und findet es erstaunlich, dass die Stimmung dort viel positiver ist als hierzulande, was das Thema Chancen und Risiken der Digitalisierung angeht.

Warum aber ist die Stimmung dort positiver? Was macht Estland richtig? Oder anders: Was machen wir falsch? Estland steht für eine öffentliche, digitale Infrastruktur. Behördengänge werden bereits heute in einigen EU-Ländern digital erledigt. Estland kann aber anders als andere europäische Länder eine hoch entwickelte digitale Infrastruktur vorweisen, die von den Bürgern angenommen und ohne große Aufregung ganz selbstverständlich im Alltag genutzt wird. Nach Aussage der estnischen Regierung kann durch die digitale Unterschrift sogar eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes in Höhe von 2 Prozent generiert werden.

Die Chancen der Digitalisierung werden genutzt

Aber von Anfang an. Estland wurde in den 50er Jahren als eine der Teilrepubliken der ehemaligen UdSSR zu einem Forschungsstandort ausgebaut. Ohne großes Budget, was den IT-Bereich anbelangte, begann nach der Unabhängigkeit des Landes zu Beginn der 90er Jahre ein technischer Neubau in Verwaltung und Regierung. Auch bei der Schulbildung wurde Wert auf Computer- und IT-Kurse gelegt. Seit 2003 verwenden estnische Schulen die Online-Plattform eKool, die die Organisationsabläufe im Schulalltag vereinfachen soll. So gibt es zum Beispiel ein digitales Klassenbuch, einen digitalen Stundenplan, auch können Krankmeldungen von den Schülern digital eingereicht werden.

Im Jahr 2000 hat das estnische Parlament sogar den Internetzugang als Grundrecht der Bürger in die Verfassung aufgenommen. Dem liegt das Verständnis zugrunde, dass staatlich produzierte Daten als Eigentum der Öffentlichkeit begriffen werden.

Nun kann man sich natürlich fragen, warum wir in Deutschland diesbezüglich hinterher hinken. Die historischen Bedingungen und der Neuaufbau des öffentlichen Bereiches waren für Estland günstig wie in keinem anderen europäischen Land; der digitale Ausbau wurde von jungen, offenen Politikern ungewöhnlich engagiert vorangetrieben. Darüber hinaus wäre bei uns kein Neuaufbau, sondern eine Umstrukturierung nötig, weshalb das estnische Modell nicht als Gesamtmodell einfach so übernommen werden könnte. Und wie steht es dort mit dem Datenschutz? Estland hat ein strenges Datenschutzrecht, jedoch können Missbräuche oder Straftaten, wie sie z.B. beim Online-Banking vorkommen, auch dort nicht ausgeschlossen werden. Doch können anders als in Deutschland Bürger im estnischen Service-Portal einsehen, welche Behörde auf ihre persönlichen Daten zugegriffen hat.

Das Modell von Estland kennen wir. Wie aber müsste ein solches Modell bei uns aussehen, damit es im deutschen Alltag aufgenommen werden würde? Prof. Dr. Tino Schuppan, Wissenschaftlicher Direktor des Institute for E-Government machte am Ende der Podiumsdiskussion deutlich, dass er es schon positiv sehen würde, wenn wir uns in Deutschland darum bemühen würden E-Government überhaupt zu verstehen. Man könne den Erfolg von Estland nicht 1:1 auf Deutschland übertragen, aber man könne zumindest vom estnischen Modell lernen: Was uns fehlt, sei die Akzeptanz einer gewissen „Fehlerkultur“. Seiner Ansicht nach hätten wir hierzulande eher eine „Sicherheitskultur“. Wir seien schnell dabei, wenn es um Gesetze gehe. Außerdem sei das Datenschutzverständnis in Deutschland ein anderes. Es gehe seiner Ansicht nach auch nicht immer nur um Technik. Die Technik würde uns auch in Deutschland zur Verfügung stehen, aber es ginge um viel mehr.

Aber was fehlt uns dann? Fehlt uns möglicherweise jemand, der das Ganze in die Hand nimmt? Eine digital leadership? Selbst, wenn wir diese Person finden würden: Die Frage, wie wir damit umgehen, dass unsere Persönlichkeitsrechte bedroht werden, konnte – wie ein Zuhörer nach der Diskussion anmerkte – von den Podiumsteilnehmern nicht ausreichend beantwortet werden. Dafür fehlte aber vielleicht auch einfach die Zeit. Aber die wird wahrscheinlich nie reichen, um in 1 ½ Stunden ein solch komplexes Thema vollständig zu beleuchten. Die Diskussion beantwortete mit Sicherheit nicht alle Fragen, aber sie warf neue, spannende Fragen auf. Und machte neugierig auf mehr. Auf der Heimfahrt in der Bahn machte ich mir Notizen. Und überlegte. Gerade nach dem Überwachungsskandal müsste das Vertrauen zwischen Bürgern, Unternehmen und staatlichen Institutionen erst wieder aufgebaut werden.


Image (adapted) “Banner EGOV13“ by Virtuelle Akademie (CC BY 2.0)


hat Medienwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin studiert. Ihre Masterarbeit hat sie zum Thema „Risiken und Chancen der Digitalisierung für Gesellschaft und Kultur“ verfasst. Derzeit forscht sie weiter zu den Themen Privatsphäre und Öffentlichkeit in der Digitalen Welt. Auf ihrem Blog medienfische bloggt sie über Menschen, Ideen und Netzkulturdings. Privat schreibt sie mit einem Stift auf Blätter, bei Twitter ist sie unter @achwieschade zu finden. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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