Digitalisierung der Sprache: Thesaurus-Tage und Nasensmileys

Um das Potential der Digitalisierung voll auszuschöpfen, müssen wir lernen, Sprachblasen zu überwinden und Wortbarrieren abzubauen. Lässt das Internet unsere Sprache verkümmern oder erweitert der permanente Stilwechsel unsere Wortgewandtheit? Skeptiker beschreien die linguistische Verflachung, Optimisten die Entstehung einer Weltsprache. Doch trotz globaler Verständigung dank Emojis tendieren wir dazu, Sprachbarrieren zwischen verschiedenen Gruppen zu schaffen. Um diese überwinden zu können, müssen wir uns mit unserer Art zu sprechen und zu schreiben auseinandersetzen.

Sprachverfall oder Kompetenzboost?

Am Samstag war der Tag der deutschen Sprache. „Wie passend„, dachte ich, als ich durch Zufall über diese Information stolperte. Das Thema Sprache hat mich die letzten Wochen ziemlich auf Trab gehalten. Es fing damit an, dass meine Freundin und ich im Urlaub beschlossen, dass es nicht angehen kann, dass wir zur Beschreibung der wilden Landschaft der Bretagne und der herzschlagbeschleunigende Weite des Atlantiks nur Worte finden konnten wie cool und geil. Wir schalteten also in den Thesaurus-Modus. Sobald jemand von uns (oder in unserer Umgebung) cool oder geil sagte, fingen wir an, Ersatz-Wörter zu suchen. Erschreckenderweise war das oft gar nicht so einfach und es stellte sich die Frage: Ist unser Wortschatz geschrumpft? Und wenn ja, woran liegt das bitte?

Am Internet!“ Die Antwort kommt ganz natürlich – und das in meinem angeblich so online-affinen Kopf. Was ist da los? Haben Panik-Aussagen wie „Twitter und SMS schaden der Sprache“ doch Anklang gefunden in meinem Gehör? Eigentlich habe ich mich gegen diese Angstmacherei immer gewehrt. Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, scheint es mir tatsächlich möglich. Groß- und Kleinschreibung habe ich in SMS oder Threema-Nachrichten längst aufgegeben. Die Autokorrektur macht da eh, was sie will. In privaten E-Mails oder Foren-Beiträgen spare ich mir Großschreibung selbst auf der Laptop-Tastatur. Und ganz ehrlich: Natürlich schreibe ich in geschriebenen Dialogen meistens keine ausgefeilten Sätze und genauso oft gibt es als Antwort nur ein: jo, passt, läuft, cool oder super.

Nun stell sich die Frage: Ist das schlimm? Sprache verändert sich nun einmal. Anne Curzan ruft mit Hilfe der fabelhaften Wort-Neukreation adorkable dazu auf, nicht aus purer Sturheit am liebgewonnenen Alten festzuhalten. Genauso wenig pessimistisch sehen das andere Sprach-Experten.

Die meisten von uns wechseln ständig zwischen verschiedenen Sprachstilen hin und her: „Morgens im Büro korrektes Hochdeutsch, nachmittags auf Twitter kurzsilbige Pointen, abends im Chat schluderiger Redeschwall.“ Deswegen sei unsere Schriftkompetenz sogar gestiegen. Tatsächlich wird von einigen Seiten schon das Zeitalter einer globalen Sprache ausgerufen – den Emojis sei Dank. Der erste Klassiker ist schon übersetzt: emojidick.com.

Die Nasenfrage bleibt bestehen

Also: Keine Panik? Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Einmal sind Emojis keineswegs eindeutig. (Ich empfehle zur Weiterbildung auch 2 Broke Girls, Season 2, Episode 7). Für mich persönlich bieten einfache Text-Smileys schon genug Fallstricke. Ich habe neulich erst rausgefunden, dass ich wohl die einzige bin, die ^^ als amüsiert oder vielversprechend hochgezogene Augenbrauen verwendet. (Ja, ich wusste schon immer, dass das falsch ist, aber ich dachte bisher, dass wir das alle gleichermaßen kreativ uminterpretiert hätten.) Dazu kommt noch, dass wir zunehmend das Vertrauen in das reine geschriebene Wort verlieren. Selbst in meinen beruflichen E-Mails wimmelt es von :-) und ;). Nicht, dass nachher die E-Mail-Empfängerin meinen Witz als bare Münze nimmt. Was sagt es überhaupt über mich, dass ich ständig zwischen Nasen- und Nicht-Nasen-Smileys wechsele? Bin ich auf der Schwelle zwischen der :-) und der XD Altersgruppe? Und wenn schon ich mich ermahnen muss, XD-Nutzerinnen nicht als unzurechnungsfähig einzustufen, was ist wohl die umgekehrte Reaktion *wunder*?

Es scheint also durchaus angebracht, über Sprache und ihre Gestaltung im Internetzeitalter nachzudenken – nicht nur aus schöngeistigen und persönlichen Gründen. Netzpiloten-Kolumnist Nico Lumma hat die Wichtigkeit überlegter Formulierung bezogen auf den „sperrigen Begriff“ Netzpolitik schon angedeutet. Schrecken wir einen Großteil unserer Mitmenschen durch das bloße Wort ab? Hyperland führt die Debatte weiter: Es leuchtet ein, dass es schwierig wird, über Google und Facebook sachlich zu diskutieren, wenn wir beide durch die Dauerverwendung des Begriffs Datenkrake nur noch als „glitischige Ungetüme“ wahrnehmen. Und dass Worte wie Internetausdrucker und Netzversteher einen Graben in unserer Gesellschaft betonen, den wir lieber überwinden statt vertiefen sollten, trifft bei mir eh auf offene Ohren.

Innovationskiller Sprachblase

Wie ungemein wichtig Sprache bei der gemeinsamen Arbeit an der (digitalen) Weiterentwicklung unserer Gesellschaft ist, merke ich immer wieder, wenn ich mal aus meiner persönlichen Sprachblase herausschreite. Genauso abschreckend, wie auf mich am Anfang meiner Laufbahn die Ausdrücke vertikaler Mehrkanalansatz und medienbruchfreie Veraktung gewirkt haben, so unnötig erscheinen vielen die ständigen Anglizismen und Akronyme, mit denen ich permanent um mich schmeiße. Hat die EIdG egtl auch über die UX von Open-Gov-Projekten gesprochen? Btw, forscht überhaupt jmd zu OS bei so Cloud-Geschichten? Oft genug bringt mir das skeptische Blicke ein. Wie tragisch wäre es, wenn diese andere Sprache dazu führen würde, dass wir gar nicht mehr versuchen, einander zu verstehen? Wir können schlecht predigen, dass wir unsere gesellschaftlichen Denkprozesse für Innovationsimpulse von allen Seiten öffnen müssen, um dann unüberwindliche sprachliche Zugangshürden zu pflegen.

Was tun? Ich persönlich werde für mein eigenes Wohlbefinden dauerhaft im Thesaurus-Modus bleiben und weiterhin zwischen Nasensmileys und Emojis oszillieren. In meinen Vorträgen und Gesprächen werde ich mir noch mehr Mühe geben, meine Ideen möglichst blasenübergreifend zu erklären. Nicht falsch verstehen: Ich will geil, rofl und medienbruchfreie Veraktung nicht aus meinen Wortschatz verbannen. Ich will sie immer dann einsetzen, wenn sie die tatsächliche Idealbesetzung sind und nicht, weil mir nichts Besseres einfällt. Und ich will sie im Zweifelsfall umschreiben und ersetzen können. Mitstreiter jederzeit willkommen!


Image (adapted) „Word Nerd“ by Ryan Hyde (CC BY-SA 2.0)


(Tinka) arbeitet und forscht am Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin Universität (ZU) in Friedrichshafen. Nach ihrem Bachelorstudium an der International Business School in Groningen in den Niederlanden absolvierte sie an der ZU einen Master in Politik- und Verwaltungswissenschaften. Tinkas Forschung konzentriert sich auf die Rolle des Bürgers in der digitalen Demokratie. Außerhalb von Deutschland hat Tinka schon in Frankreich, den Niederlanden, Kanada und Spanien gelebt und spricht die jeweiligen Sprachen. Momentan arbeitet sie daran, der Liste noch Arabisch hinzuzufügen. Tinka reitet, rudert, fährt Snowboard und ist überzeugter Werder-Fan.


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