Cybathlon: Was Bionik für Millionen von Menschen bedeuten könnte

Nach den Olympischen Spielen und den Paralympics erleben wir dieses Jahr die Weltpremiere des Cybathlon, des weltweit ersten Wettkampfes für Parathleten und Personen mit schweren Behinderungen, die mit Hilfe von bionischen Implantaten, Prothesen und anderen unterstützenden Technologien antreten.

Der Cybathlon beinhaltet sechs Disziplinen, jede auf die speziellen körperlichen Bedürfnisse der Wettkämpfer zugeschnitten. Beweglichkeitsläufe testen Menschen mit bionischen Armen und Beinen, während bei Rennen mit elektrisch angetriebenen Rollstühlen und Exoskeletten Hindernisse wie Treppen überwunden werden müssen. Es gibt auch ein Fahrradrennen für Wettkämpfer, die ihre Beine mithilfe von elektronischer Muskelstimulation bewegen. Für die, die ihren Körper nicht mehr eigenständig steuern können und ihn mit einer Schnittstelle zwischen Hirn und Computer kontrollieren, gibt es ebenfalls Wettkämpfe.

Es stimmt, dass der Cybathlon nicht das gleiche athletische Können wie die Olympischen oder Paralympischen Spiele bieten kann. Aber er wird aufzeigen, wozu Technologie fähig ist, anstatt dass sie in Forschungslaboren versteckt bleibt. Alle Anstrengung und jeglicher Enthusiasmus werden darauf ausgerichtet, das Leben von Menschen mit schwerwiegenden Behinderungen und lebensverändernden Verletzungen zu revolutionieren. Der Organisator ETH Zürich, die Eidgenössische Technische Hochschule, wird 80 Teams von Anwendern, Wissenschaftlern und der Technikindustrie zum nachdenken anregen, was benötigt wird, um Technologien zu schaffen, die die alltäglichen Probleme, denen Menschen mit Behinderungen tagtäglich ausgesetzt sind, lösen zu können.

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Der Schwerpunkt liegt auf den praktischen Problemen, die das Design der Wettbewerbe bestimmen. Zum Beispiel beinhaltet das Rennen für Teilnehmer mit Armprothesen eine Station, bei der eine Scheibe Brot geschnitten und eine Tasse Kaffee eingegossen werden muss. Bei einer weiteren Station müssen die Parathleten durch eine Tür gehen, während sie ein Tablett mit Gegenständen tragen. Dies sind alltägliche Aktivitäten, die die meisten von uns für selbstverständlich halten, aber die für die von der WHO auf 15 Millionen geschätzten Menschen mit Behinderungen schwer oder sogar unmöglich sind.

Während viele mit Technologien wie bionischen Armen vertraut sind, wird der Hirn-Computer-Schnittstelle-Wettkampf für die Meisten wohl etwas Neues sein. Eine Hirn-Computer-Schnittstelle ist ein System, das die Gehirnaktivität eines Menschen verschieden interpretiert und in mögliche Befehle für die Ausrüstung des Anwenders umformt. Dies gibt schwer behinderten Menschen, deren kognitive und sensitive Fähigkeiten dennoch funktional sind, die Kontrolle über ihre Ausrüstung zu behalten und sich mit ihrer Hilfe zu bewegen oder zu kommunizieren.

Es kommt selten vor, dass solche Interface-Systeme außerhalb des Forschungslabors Anwendung finden. Viele existieren nur in der Theorie oder auf den Seiten von Wissenschaftsjournalen. Sie erscheinen wie Requisiten aus Science-Fiction-Filmen und dennoch existieren sie in verschiedenen Formen bereits seit Jahrzehnten.

Das Gehirn als Steuergerät

Eine Hirn-Computer-Schnittstelle beinhaltet verschiedene Komponenten. Die Erste ist natürlich das Gehirn der Person. Dort entstehende elektrische Impulse werden durch EEG-Sensoren (Elektroenzephalogramm) registriert. Diese Sensoren werden non-invasiv auf der Kopfhaut befestigt, ähnlich wie in Krankenhäusern üblich. Die Signale beinhalten oft Interferenzen von muskulären Bewegungen, wie zum Beispiel der Augen. Deshalb ist der erste Schritt, das brauchbare Signal von Störsignalen zu isolieren.

Die Signale werden anschließend mit Hilfe der Merkmalsextraktion verarbeitet. Es gibt hier verschiedene Ansätze, aber eine verbreitete Technik ist die, dass sich der Anwender eine bestimmte Bewegung vorstellt, beispielsweise das Öffnen und Schließen der Hand. Dieses geistige Bild erschafft ein bestimmtes Muster im Motorcortex des Gehirns, welches wiederum als ein EEG-Signal erkannt und von der Hintergrund-EEG-Aktivität abgegrenzt werden kann.

Die EEG-Signale werden während der Merkmalsextraktion verarbeitet, um sie für die nächste Komponente, den Klassifikator, leichter verständlich zu machen. Ein Klassifikator identifiziert, wie sich Signalmuster unterscheiden, abhängig davon, ob der Anwender beispielsweise an eine Bewegung seiner linken oder rechten Hand denkt oder wie diese Signale sich verändern, wenn der Anwender Berechnungen im Kopf durchführt. Ein guter Klassifikator erlernt diese Unterschiede und identifiziert die wahrscheinlichste Intention, die der Anwender hatte. Dies wird durch Muster-Erkennung und maschinelle Lernalgorithmen erreicht.

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Der Cybathlon wird die Wettkämpfer des Hirn-Compter-Schnittstelle-Rennens mit Hilfe eines Videospiels testen. In diesem zeichnen die Teilnehmer bis zu vier verschiedene Aktionen des Gehirns, welche von dem Klassifikator des Systems verstanden werden müssen. Sie müssen die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt senden, um mit ihren Avataren, die sie im Spiel repräsentieren, vorwärts zu kommen. Das beste System ist das, welches am schnellsten und genauesten auf die Gehirnaktivität des Nutzers reagieren und gleichzeitig die richtigen Kommandos auswählen kann.

Der Auftritt des Gehirn-Computer-Schnittstelle im Rahmen des Cybathlon ist ein seltenes Ereignis außerhalb des Labors. Es fordert von ihren Entwicklern eine beträchtliche Verbesserung ihrer Systeme. Im Vergleich zu denen, die nur in einem Labor funktionieren müssen, werden sie zum Beispiel verlässlicher und können besser auf eine eventuelle Ablenkung des Anwenders reagieren.

Die momentanen Systeme sind noch nicht ausgereift genug für die Menschen, deren Leben sie so entscheidend verändern könnten. Dennoch werden die neuen Entwicklungen der letzten Jahre, welche der Cybathlon unterstützt, Technologien nicht nur verbessern, sondern diese auch dem Gebrauch außerhalb des Labors besser anpassen – um endlich eine Technologie zu vollenden, deren Entwicklung schon über 20 Jahre andauert.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation”unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image Screenshot (adapted) by Cybathlon


The Conversation

ist Doktorandin an der Universität von Essex im Bereich Hirn-Computer-Schnittstelle. Ihr Interessengebiet erstreckt sich über weitere verwandte Forschungsfelder wie Neuropsychologie, Künstliche Intelligenz und Signalverarbeitung.


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