Vorratsdatenspeicherung: Plant Deutschland einen Alleingang?

Wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtet (Zusammenfassung bei Spiegel Online), mehren sich derzeit die Anzeichen dafür, dass Deutschland im Alleingang eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung plant. Auf eine eventuelle neue Version der als rechtswidrig abgeschafften EU-Richtlinie, will die Bundesregierung nicht warten. Anlass sind aktuelle Terrordrohungen. Die Vorratsdatenspeicherung allerdings ist ein großes Risiko für Freiheit und Demokratie.

Rufe nach mehr Sicherheit

Nachdem es in Deutschland, unter anderem in Bremen, mehrere islamistische Terrordrohungen gab, ist die Stimmung angespannt. Drei Mal wurde in den letzten Wochen der Alarmzustand ausgerufen. Viele Menschen, auch Politiker und andere Offizielle, sehen eine ernst zu nehmende Gefahr. Das führt – ähnlich wie in Frankreich die Anschläge gegen das Magazin „Charlie Hebdo“ und andere Opfer durch Islamisten es taten – auch zu Rufen nach verstärkten Befugnissen für die Ermittlungsbehörden und neuen (oder alten) Sicherheitsmaßnahmen. Gegner bestimmter Sicherheitsmaßnahmen geraten zunehmend unter Druck.

Viele Parlamentarier in Berlin sowie die Spitzen von Polizei und Geheimdiensten fühlen sich in ihrer Meinung bestätigt, dass der Staat aufrüsten muss, um wehrhaft zu sein„, berichtet der Spiegel. Das ist das politische Klima, in dem die aktuelle Diskussion geführt wird, die Einstellung, mit der die Verantwortlichen diesem Problem begegnen. Dementsprechend macht man auch nicht Halt vor seit Jahren umstrittenen Maßnahmen – unter anderem der Vorratsdatenspeicherung.

Vorratsdatenspeicherung: Umstritten, aber nicht tot

In Deutschland wurde die Vorratsdatenspeicherung bereits im Jahr 2010 vom Bundesverfassungsgericht wegen massiver verfassungsrechtlicher Kritik auf Eis gelegt. Die entsprechende Verfassungsbeschwerde hatten rund 30.000 Bundesbürgerinnen und Bundesbürger unterschrieben. Damals wurde allerdings nur die Umsetzung der Maßnahme kritisiert, das konkrete Gesetz, das dieser zu Grunde lag. Es wurde nicht gesagt, dass eine Vorratsdatenspeicherung als solche dem Grundgesetz widerspricht. Das ließ die Hintertür für eine Neueinführung offen.

Bisher kam diese nicht zustande. Das lag einerseits am politischen Widerstand in Deutschland. Andererseits wurde parallel auch die zu Grunde liegende EU-Richtlinie massiv kritisiert und in der Folge vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) kassiert. Deutschland, so sah es aus, wollte eine eventuelle grundrechtskonforme Neuregelung durch die EU abwarten, bevor ein eigenes Gesetz wieder auf den Verhandlungstisch kommt.

Das allerdings scheint sich nun grundlegend geändert zu haben. Nachdem die EU-Kommission der Bundesregierung kürzlich signalisierte, mit einer neuen Richtlinie sei vorerst nicht zu rechnen, plant man nun dem Spiegel zufolge einen nationalen Alleingang. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der eine Vorratsdatenspeicherung bislang abgelehnt hatte, trifft sich demnach bereits zu Gesprächen mit Innenminister Thomas de Maizière über dieses Thema. Noch ist nicht sicher, dass die beiden Minister sich auf einen Kompromiss einigen werden, aber der Wille dazu ist anscheinend vorhanden. Vor Kurzem hatte auch SPD-Chef Sigmar Gabriel angedeutet, dass seine Partei eventuell dazu bereit wäre, eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung mitzutragen. Gabriel sagte anlässlich der Vorfälle in Paris, die Vorratsdatenspeicherung könne unter Umständen ein „geeignetes Instrument der Strafverfolgung sein„.

Eine Gefahr für Freiheit und Demokratie

Doch die Vorratsdatenspeicherung ist alles andere als das. Auf der einen Seite ist ihre Effektivität umstritten. Allenfalls kann sie bei der Aufklärung von bereits geschehenen Anschlägen helfen, eine präventive Wirkung ist sehr unwahrscheinlich. Und selbst eine Erhöhung der Aufklärungsquote bei Schwerverbrechen konnte bislang bei entsprechenden Untersuchungen nicht nachgewiesen werden.

Auf der anderen Seite – und das ist weitaus Besorgnis erregender – ist die Vorratsdatenspeicherung eine Gefahr für die Freiheit. Aus gutem Grund rief sie zwischen 2007 und 2010 so massiven Widerstand in der Bevölkerung hervor. Die ständige Überwachung schränkt die Grundrechte aller Menschen massiv ein, auch wenn die Mehrzahl von diesen vollkommen unschuldig sind und nur zum Besten der Gesellschaft ihrem Leben nachgehen. Nicht nur werden Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung bedroht. Im Rahmen der sogenannten Selbstzensur schränkt die Vorratsdatenspeicherung auch die Meinungsfreiheit ein und untergräbt so demokratische Mitbestimmung und gesellschaftliche Innovation. Das Argument, dass lediglich Metadaten erhoben und archiviert werden, ist dabei nur auf den ersten Blick beruhigend, denn auch Metadaten haben bereits eine gefährliche Macht.

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Angesichts der wieder aufgeflammten Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung muss sich daher so schnell wie möglich der Widerstand neu formieren. Wie schon vor acht Jahren müssen die Menschen klar machen, dass sie die Vorratsdatenspeicherung nicht wollen, müssen ihre Mitmenschen informieren, wie sehr die Vorratsdatenspeicherung in ihre Menschenrechte eingreift.

Nur massiver politischer Druck und entschlossener Aktivismus haben eine Chance, die Vorratsdatenspeicherung jetzt noch aufzuhalten. Ich möchte in einer Gesellschaft, in der eine Bedrohung durch einige Fanatiker ausreicht, um genau die Werte zu verraten, die uns erst von diesen Fanatikern unterscheiden, nicht leben. Wer das auch nicht will, sollte sich bereit machen, zu handeln.


Image (adapted) „spy en la calle Almortas“ by Marta Nimeva Nimeviene (CC BY 2.0)


schreibt regelmäßig über Netzpolitik und Netzaktivismus. Sie interessiert sich nicht nur für die Technik als solche, sondern vor allem dafür, wie diese genutzt wird und wie sie sich auf die Gesellschaft auswirkt.


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