Videokolumne vom 29. Dezember 2013

In der Videokolumne gibt es heute ein persönliches Best-of aus sieben Monaten Videoempfehlungen, meine Highlights des Jahres 2013! Na gut, und noch eines extra… // von Hannes Richter

screenshot banksy

Es ist so eine Sache mit den Mediatheken und Videoplattformen: Für viele Digital Natives sind sie schon Fernsehersatz – vieles ist überall abrufbar, manches aber nur auf Zeit: Gerade die öffentlich-rechtlichen Programme in den Mediatheken der Sender sind oft nach einer Woche wieder offline. Verlängertes Fernsehen statt digitales Archiv. Bevor sie verschwinden, fischt Hannes Richter die besten Perlen des TV-Vielfalt aus den Online-Archiven und präsentiert sie in seiner wöchentlichen Kolumne.


STERNSTUNDE IM WAHLKAMPF: Jan Böhmermann wehrt sich gegen Grünen-Spot

Erinnert sich noch jemand, dass Wahlkampf war? Er fing zwar erst langsam an und so richtig Lust auf Wahlen hatte zu Beginn des Jahres niemand (irgendwie war das Ergebnis ja auch schon absehbar), gegen Ende hin kam der Bundestagswahlkampf dann aber doch ein bisschen in Fahrt. Das lag auch an dem immer professionelleren Umgang mit den „neuen Medien“, die für viele im politischen Betrieb tatsächlich sehr neu zu sein scheinen. Was bei mir aber am meisten hängen geblieben ist, sind nicht die vielen peinlichen Spots und Mini-Memes wie der Stinkefinger und die Raute. Es ist die Reaktion des neo-Sendergesichts Jan Böhmermann auf den so austauschbar wie langweiligen Grünen-Spot mit William Cohen, spießiger Sidekick des Moderators in diversen Formaten. Weil sich die Grünen Cohens wohl bekannter Sprecherstimme für einen halb garen Brehms-Tierleben-Vergleich einer schleimigen Schnecke mit dem politischen Konkurrenten bedienen, dreht Böhmermann kurzerhand den Spieß um und erfindet „die grüne Sackratte“. Das schönste an der Persiflage der Persiflage: Die etwas andere Wahlwerbung gibt es von jeder der anderen großen Parteien (die einzelnen Spots gibt es hier, hier, hier, hier und hier). Es wird einfach am Ende das Logo ausgetauscht und schon ist die „parteipolitische Neutralität William Cohens“ wieder hergestellt. Klasse!


THEMATISCHER DAUERBRENNER: Stephen Frys Out There über Homophobie weltweit

Es ist schon faszinierend, wie das Thema Homosexualität und sexuelle Selbstbestimmung auch 2013 wieder ganz oben auf der Agenda stand. Während sich aber hierzulande nur noch Ewiggestrige gegen eine vollständige Gleichstellung schwuler und lesbischer Lebenspartnerschaften mit der Ehe wehren (und damit zu einem Thema machen, was eigentlich selbstverständlich sein sollte), kämpfen Menschen, deren Lebensweise nicht dem klassischen Familienbild entspricht, anderswo ums Überleben. Für die zweiteilige BBC-Dokumentation Out There fährt der britische Schauspieler und Autor Stephen Fry in die Länder, in denen es besonders schlimm ist, und stellt ganz einfache Fragen: Woher kommt der Hass? Was bringt Menschen dazu, gegen Schwule zu hetzen oder Gesetze zu beschließen, die ihnen das Leben schwer machen und die Stimmung in der Gesellschaft anheizen? Die Antworten fallen erwartbar ernüchternd aus. Aber alleine die Konfrontation dieser Menschen mit, nennen wir es: Vernunft führt zu großen und wichtigen Fernsehmomenten. Und Fry wäre nicht das aus jahrzehntelanger Präsenz erfahrene Mediengenie, wenn er seine Reisen nicht auch anders zu nutzen wüsste: Den St.-Petersburger Stadtverordneten Witali Molinow, der das berüchtigte Homo-Propaganda-Gesetz auf den Weg brachte, kann er nicht mehr überzeugen. Aber in die etlichen Kameras der Journalisten, die den Star aus England begleiten, spricht er ein flammendes Statement gegen die menschenverachtende Politik Russlands


BANKSY ÜBERALL: Künstler kapern Banksys Residency

Seit seiner großartig-selbstironischen Fake-Dokumentation Exit Through the Gift Shop aus dem Jahr 2010, bei der man nie so genau wusste, was nun genau fake ist und was nicht, gab es nicht mehr so viel zu sehen von dem Künstler, von dem niemand so genau weiß, wo und wer ist. Street-Art-Ikone Banksy hat sich für eine Weile in New York niedergelassen und während einer selbst betitelten „Residency“ Werke in der Stadt verteilt. Das mediale Tamtam drumherum war enorm. Natürlich hat das auch mit dem Versteckspiel zu tun, dass sich der Künstler mit der Öffentlichkeit liefert, nie ist klar wo der nächste Banksy auftaucht. Aber die durchdachten Aktionen legen auch immer wieder auf’s neue wunde Punkte der westlichen Konsumgesellschaft offen. Sie provozieren so allgemeines Kopfnicken, aber sind auch überraschend schlicht und klar in der Botschaft, sie sind Pop. Banksy spielt mit der öffentlichen Aufmerksamkeit und alle machen mit. Naja, nicht ganz. Als er am Straßenrand echte Banksys zu Spottpreisen verkauft, interessiert sich niemand für Werke, die auf dem Kunstmarkt ein Vermögen kosten würden. Die ganze Welt lachte darüber, die Aktion rief aber auch ein paar Kollegen auf den Plan. Wenige Tage später verkaufen sie nun tatsächlich gefakte Werke Banksys an einem ähnlichen Stand und können sich vor Interesse kaum retten. Exit Through The Gift Shop kann übrigens hier in voller Länge geschaut werden.


PROPHETISCHE REDE: „The very word secrecy is repugnant in a free and open society“ (John F. Kennedy)

Kein Jahresrückblick ohne Edward Snowden, die NSA und das Thema des Jahres 2013: der Angriff auf die Privatsphäre, die staatliche Überwachung durch außer Kontrolle geratene Geheimdienste und die Helden unserer Zeit: Whistleblower wie die inhaftierte Chelsea Manning oder eben Edward Snowden. Viel ist darüber geschrieben worden und es ist nicht abzusehen, ob das Thema irgendwann auch wieder verschwindet, zu brisant die Enthüllungen, zu groß die Auswirkungen für jeden persönlich und unsere Demokratien im Ganzen. In einer Rede vor der Vereinigung der der Zeitungsverleger, am 27. April 1961, wagte John F. Kennedy einen erstaunlichen Rundumschlag, der aktueller nicht sein könnte. Ein Plädoyer für Demokratie und Pressefreiheit, für die offene Gesellschaft.


UND ZUM ABSCHLUSS: Das schönste Cover des Jahres

Na gut, dieses Video kam noch nicht vor in meiner Kolumne. Aber es gehört trotzdem hierher. Weil es Woche für Woche in meiner Linksammlung nach hinten geschoben wurde, irgendwie hat es nie richtig gepasst. Dabei ist Scott Matthews Version von Whitney Houstons Klassiker I Wanna Dance With Somebody eines der schönsten Beispiele dafür, wie ein Cover durch einen ganz anderen Zugang ein eigenes Kunstwerk werden kann. Jetzt ist das großartige Video (die Szenen stammen aus dem bezaubernden neuen Tanzfilm Five Dances) mein Abschied aus dem Jahr 2013. Ich wünsche allen einen Guten Rutsch und ein fabelhaftes Jahr 2014. Es wird auch weiter viel zu entdecken geben im bewegten Internet.


Teaser by Paulae (CC BY 3.0)

Image Screenshot, http://www.banksyny.com/2013/10/18/west-24th-street


wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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