So kaputt ist das Internet gar nicht

In seiner Kolumne beschäftigt sich Nico Lumma mit dem Medienwandel und Kompetenzen die damit einhergehen. Nicht nur im Beruf, sondern auch in der Schule und Familie. Diesmal geht es um den Zustand des Internets.

Johnny Haeusler schrieb kürzlich einen Artikel über das Internet und die Überwachung durch PRISM, Tempora und andere Programme: Das Internet ist kaputt. „Wir werden viel mehr für uns behalten. Denn wir können nicht mehr flüstern im Internet. Und der Traum vom grenzenlosen Menschheitsnetz, dessen gesammelte Offenheit auf Dauer für mehr Empathie und Transparenz sorgt, er ist ausgeträumt, fürchte ich. Widersprecht mir. Bitte.“ Na gut, dann mache ich das mal.

Ich glaube, dass wir weiterhin flüstern können im Internet, wenn wir es wollen. Das Internet hat sich bislang immer dadurch ausgezeichnet, dass es sich auf Veränderungen und neue Begebenheiten einstellen kann, quasi ein wenig wie ein Organismus. Es wird also einfach zu nutzende Lösungen geben für vernünftig verschlüsselte Kommunikation. Ideen dafür gibt es schon lange, sehr lange, aber PGP oder GPG blieben bislang nur Nerdzeugs, weil niemand verstehen wollte, dass Kommunikation im Netz eigentlich nur so sicher ist wie ein Gespräch im Bus. Das wissen nun alle. Es werden daher mehr Lösungen entstehen für Leute, die nicht wollen, dass ihre Kommunikation leicht offenzulegen ist.

Es ist ja nicht so, dass wir wirklich alle überrascht sind, dass die NSA das Netz abhört, nur jetzt ist es eben allen klar geworden. Daher machen auch Dienste wie Bitcoin plötzlich viel mehr Sinn als vorher, denn die wenigsten wollen, dass wirklich alle finanziellen Transaktionen irgendwo gespeichert werden. Je mehr bargeldlosen Zahlungsverkehr wir nutzen, desto gläserer werden wir und desto interessanter erscheint Bitcoin als Währung. Die Selbstheilungsprozesse des Internets sind getrieben durch Technologie, aber sie werden politisch flankiert werden durch ein bereits stärker werdenden Verbraucherschutz und einem erneuten Fokus auf Bürgerrechte.

PRISM und Tempora sind ein heilsamer Schock für das Web 2.0, die Cloud und Big Data, denn nun wissen alle, wie vorsichtig die Nutzer, aber auch die Betreiber mit den Daten umgehen müssen, die sie bereitstellen oder erheben. Offene Standards werden weiterhin dafür sorgen, dass das Internet für uns alle nutzbar bleibt, auch wenn wir mal etwas flüstern wollen.


Image (adapted) „The Internet“ by Alex W. McCabe (CC BY 2.0)


arbeitet als COO des next media accelerator (http://nma.vc) in Hamburg. Er bloggt auf lumma.de und ist seit 1995 eigentlich nicht mehr offline gewesen. Er ist Mitglied der Medien- und netzpolitischen Kommission des SPD Parteivorstandes und Co-Vorsitzender des Vereins D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt. Unter @Nico findet man ihn auf Twitter. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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7 comments

  1. die sache verlangt als chefsache behandelt zu werden. die bürger wollen hier konkrete auskunft haben. so geht es sicher nicht, dass die usa und canada die deutsche bevölkerung ausspionieren. die sache gehört vor den internationalen gerichtshof !

  2. Ich finde, du verharmlost Prism und Tempora. Müssen wir jetzt also verschlüsseln, wenn wir digital kommunizieren wollen? Früher musste ich meine Briefe auch nicht mit Geheimtinte schreiben. Es gibt ein Verfassungsrecht auf Briefgeheimnis. Ich entscheide, mit wem ich kommuniziere, nicht ein Geheimdienst und auch keine Regierung.

  3. Die Frage ist also schon: Was gebe ich von mir preis ? Natürlich werden wir gläserner durch Internet, Smartphones usw. Aber persönlichste Dinge erzähle ich weder im Bus noch im Internet. Und wenn ich das so handhabe, interessieren mich Geheimdienstaktivitäten relativ wenig. Ich denke auch, das wir uns nicht unnötig verrückt machen sollten, es gibt echt wichtigere Dinge zu tun. Zurück drehen lässt sich das Ganze eh nicht. Nur durch absolute Abstinenz von den modernen Medien kann ich mich eventuell davor „schützen“. Nur, telefonieren ist dann auch nicht mehr sicher und das Telefon würde ich jetzt nicht mal mehr als modernes Medium betrachten. Und wäre doch ein recht großer Rückschritt. Ich stimme dem vorherigen Kommentar zu: Ich entscheide mit wem ich über was kommuniziere.

  4. … für heikle Sachen weiche ich schon lange auf Brieftauben-Verkehr aus…
    Funktioniert auch von Österreich nach BRD und umgekehrt!
    Gelegentliche Tauben-Abstürze kommen natürlich vor, Mensch und Tier begegnen sich halt immer wieder selbst.
    Unfehlbar ist nicht einmal der Papst, geschweige denn Zuckerberg!

  5. Habe mir gestern auf dem Weg zum Briefkasten mit einer Postkarte in der Hand auch wieder Gedanken um die Datensicherheit gemacht. Da ich immer wieder mal an die gleichen Freunde schreibe und den gleichen Briefkasten benutze, können potentielle Info-Sammler auch hierbei gewisse Infos abschöpfen, was ich nicht unbedingt wollen würde. Jeder der kommuniziert – egal auf welche Art und Weise – gibt bewusst oder unbewusst echte und Meta-Infos preis. Nicht mehr zu kommunizieren ist überhaut keine Option. Aber solche Basis-Regelungen und Gesetze wie das Briefgeheimnis (gilt natürlich auch für E-Mails und Telefonate)müssen selbstverständlich immer gelten, eingehalten, kontrolliert und ggf. bei Straftatbeständen geahndet werden – keine Frage.

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