Politische Bildung in den neuen Medien

Die Fachtagung „Politische Bildung in den neuen Medien“ zeigte ein vertrautes Bild: Allheilmittel für alle Probleme der Politischen Bildung gibt es nicht // von Nils Rusche

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Politische Bildungsarbeit ist vielleicht nicht das Allererste, woran man beim digitalen Wandel denkt. Die Robert-Bosch-Stiftung hat zum Reality Check Akteurinnen und Akteure der politischen Bildung aus Wissenschaft und Praxis eingeladen. Soviel vorweg: Den Stein der Weisen hat die politische Bildung auch im Internet noch nicht finden können, aber die Suche danach hat auch so schon genug Stoff für einen interessanten Tag im winterlichen Berlin hervor gebracht.


  • Digitale Medien lösen die großen Probleme politischer Bildung nicht, aber bieten trotzdem Potential, um neue Zielgruppen anzusprechen.
  • Musterschüler: Du Hast Die Macht bietet Best Practice für erfolgreiche politische Bildungsarbeit im Netz und lernt aus eigenen Fehlern.
  • Games & Gamification: Vom Lernspiel zum Unterrichtsgegenstand.

Das Impulsreferat von Prof. Vorderer widmete sich der Tatsache, dass jugendliche Mediennutzung fast immer und fast überall stattfindet – um so oft wie möglich mit anderen Jugendlichen in Kontakt zu bleiben. Die Fähigkeit zum Multitasking ist dabei eine Illusion und Leute, die z.B. in einem Meeting nebenbei auf ihren Geräten lesen und schreiben, können dem Geschehen deutlich schlechter folgen. Dies gilt insbesondere für ältere User, aber in abgeschwächter Form auch für die Generation der Digital Natives und der heutigen Jugendlichen. Nichtsdestotrotz wurde zur parallelen Kommentierung des Geschehens via Twitter (zum Nachlesen: #ftpb) oder die eigens hierfür bereitliegenden Handheld-Geräte aufgefordert.

Beide Kanäle wurden nach dem nun folgenden Vortrag von Prof. Besand (TU Dresden) für die Diskussion ausgewertet. Der Vortrag fällt klar in den Bereich „Reality Check“: Politische Bildungsangebote werden außerhalb der Schule nur von einer sehr kleinen Zielgruppe wahrgenommen, die mit den Attributen „gut gebildet“ und „z.T. politisch aktiv“ zudem noch relativ gut beschrieben ist. In der Schule ist die prozentuale Abdeckung mit politischer Bildung bei gut 100%, allerdings z.T. nur in sehr geringem zeitlichen Umfang – da sind also trotz der guten Abdeckung ganz andere Baustellen offen. Hinzu kommt: Schulisches Lernen folgt eigenen Regeln und ist oftmals Lernen für Klausuren.

An die neuen Medien werden teilweise große Hoffnungen geknüpft: Neue Zielgruppen werden angesprochen, das Ganze kostet vergleichsweise wenig, und das bisschen Internet kriegt man ja auch noch so nebenbei hin. In der Realität zeigt sich jedoch: Die Ansprache ist schwierig, und um im Netz mit den eigenen Inhalten auch zur Zielgruppe durchzudringen, braucht es dann doch einen guten Plan. Prof. Besand war mit ihrem Team für die wissenschaftliche Begleitung des Projekts „Du hast die Macht“ zuständig. Die Ergebnisse finden sich auf der Seite der Bosch-Stiftung.

Ein durchaus erfolgreiches Projekt hat sich nachmittags im Workshop „Partizipation im Web 2.0“ vorgestellt: „Du hast die Macht“ hat mehrere verschiedene Formate zur politischen Bildung entwickelt, die neue Zielgruppen ansprechen sollen – insbesondere die bildungsfernen Jugendlichen, die die politische Bildung üblicherweise nur schwer erreicht. Die Herausforderungen im Netz wurden kurz theoretisch skizziert: Einen Like, einen Kommentar oder gar einen eigenen Beitrag zu erzeugen, setzt Interesse voraus und die Bereitschaft, das eigene Profil mit dieser Meinung zu verknüpfen. Ohne Kommentare und Interaktion verkommt der Kanal aber zum reinen Sender, und es findet keine Auseinandersetzung, kein Lerneffekt statt.

Raputation.tv

In dieser ersten Workshopschiene wurde nun ein Projekt diskutiert, dass von den Jugendlichen weit mehr als nur einen Like will: Raputation.tv sammelt gerappte politische Statements von Jugendlichen. An der ersten Staffel beteiligten sich 250 Jugendliche mit eigenen Videos – das kann in jedem Fall als Erfolg gesehen werden. Wie kam es dazu? Einerseits durch eine clevere Ansprache: Der Link zu www.raputation-casting.tv wurde nicht nur über die Kanäle von DHDM gestreut, sondern auch über die Kanäle der Rapperinnen und Rapper, die in die Vorbereitung und den Castingaufruf eingebunden wurden. Auch Medien der HipHop- und Rapszene streuten den Link über Fanpages mit mehreren hunderttausend Facebook-Fans. Es hat sich dabei ausgezahlt, nicht auf Superstars zu setzen, sondern auch auf Artists, die nur in der Szene bekannt sind – das sorgt für Glaubwürdigkeit. Motivierend wirkt für die Jugendlichen die Möglichkeit, sich über Raputation selbst profilieren zu können.

Begleitend zum Wettbewerb wurden Videos mit Politikerinnen und Politikern aufgenommen bzw. in Kontakt zu den Rapperinnen und Rappern gebracht, die ihre Videos eingeschickt haben – so kam es zumindest teilweise zum Dialog, in jedem Fall aber stellten die Reaktionen eine Wertschätzung und Anerkennung dar. Exemplarisch sei das Gespräch mit Regierungssprecher Steffen Seibert verlinkt. Positiv hervorheben muss man auch, dass sich die Projektverantwortlichen zu Transparenz im Vorgehen bekannten. Kontroverser wurde diskutiert, dass DHDM vor allem auf Facebook und YouTube stattfindet, die nächste Staffel auch Google Hangouts nutzen wird – den bekannten Argumenten gegen diese Plattformen hielten die Projektverantwortlichen jedoch entgegen, dass die Zielgruppe über diese Plattformen erreicht wird, während die Klickzahlen auf der eigenen Landing Page im Vergleich deutlich niedriger liegen.

Aus dem Projekt zogen die Verantwortlichen vor allem folgende Schlüsse: Die eigene Zielgruppe ernst nehmen, die eigene Arbeit transparent gestalten, Mut und Flexibilität, um sich unerwarteten Entwicklungen zu stellen. Im Fall von Raputation.tv ist es durch eine intensive Beschäftigung mit der Zielgruppe gelungen, in Ästhetik und Inhalt glaubwürdig aufzutreten. Was das Projektteam besonders betonte: Ein Projekt dieser Größe braucht unbedingt ein professionelles Community Management – insbesondere, wenn man auf YouTube unterwegs ist. Die Facebookcommunity ist da pflegeleichter und diskutiert allgemein auf höherem Niveau, was wohl der Struktur des sozialen Netzwerks geschuldet ist.

Was die Projektverantwortlichen sichtlich freut, sind die Wirkungen über das Projekt hinaus: Einzelne Teilnehmende haben Plattenverträge erhalten, wurden in einschlägigen Magazinen gefeatured und haben Auftritte in ganz Deutschland gehabt. Der überaus diskussionsfreudige und volle Workshop hätte noch einigen Diskussionsbedarf gehabt, wurde aber durch die Zeitplanung ausgebremst.

Games & Gamification

Der zweite Workshop auf meiner Liste widmete sich dem Thema „Games & Gamification“. Arne Busse von der Bundeszentrale für politische Bildung und Prof. Christoph Klimmt gingen kurz durch die Grundlagen: Lernen, das Spaß macht, hat größere Erfolgsaussichten. Zudem sind typische Spielelemente lernförderlich: Interaktivität fördert das Nachdenken, Multimedialität begünstigt das Verständnis der diskutierten Inhalte. Zudem ermöglicht das Medium Spiel das Lernen an Orten, die bislang nicht als typische Lernumgebung galten – z.B. auf dem Smartphone im Schulbus. Die zunehmende soziale Vernetzung von Spielen kann wiederum für mehr Motivation sorgen und neue Vermittlungspotenziale freisetzen (digital peer learning). Die Herausforderungen liegen hingegen zum Einen in technischen Zugangshürden, zum Anderen darin, dass auch Lernspiele grundlegende Lese- und Medienkompetenz erfordern. Ganz zu schweigen von den Tatsachen, dass Spiele mit einem wie auch immer gearteten Bildungsanspruch mit Browsergames und kommerziellen Titeln um die Aufmerksamkeit der Zielgruppe kämpfen, teuer sind und auch noch technisches Know-How benötigt wird, um die gute Idee auch umzusetzen. Der Trend geht daher weg von reinen „Lernspielen“ und hin zu Gamification, also der Übernahme von Spielelementen in digitale Lernangebote: Belohnungen, Herausforderungen, Wettbewerb.

Das Prinzip kennt man von Foursquare und den Achievements, ohne die heutzutage kaum ein Spiel mehr auskommt (und die letztlich die Weiterentwicklung der alten Highscore-Listen sind). Mit Smartphones und Augmented-Reality-Applikationen lassen sich so beispielsweise thematische Stadtrundgänge neu erleben, bspw. zur Geschichte der Berliner Mauer. Auch das wohl erfolgreichste politische Bildungsangebot im Netz, der Wahl-O-Mat, hat letztlich ein Gamification-Element: Nach dem „Durchspielen“ erfährt man, welche Partei den eigenen Antworten am nächsten kommt. Die Perspektive wird nach Busse und Klimmt eher nüchtern formuliert: Politische Bildung in digitalen Medien bleibt voraussetzungsreich. Der Grat zwischen pädagogischem Anspruch und Unterhaltung ist schmal und die nötigen Budgets sind von einzelnen Akteuren der Bildungsarbeit meist nicht mehr leistbar.

Dennoch bieten Spiele noch einen ganz anderen Bezug zu politischer Bildung: So wurde von erfolgreichen Unterrichtseinheiten im Fach Geschichte berichtet, die die wahren und unwahren Elemente bei Assassin’s Creed als Aufhänger hatten. Auch die kontroversen Gewalt- und Folterdarstellungen, z.B. in GTA V, oder das Regelsetzen durch ein Unternehmen in MMORPGs können als Ansatzpunkt für ethische und politische Fragestellungen dienen. Auch das gemeinsame Erstellen eines Spiels mit einer Schulkasse kann Fragen der politischen Bildung thematisieren, entsprechende Engines auch für wenig Geld lizenziert werden oder sogar kostenlos genutzt werden, z.B. TripVenture. Nicht zuletzt dient Ingame Advertising als möglicher Zugang zu neuen Zielgruppen: So wurde der Wahl-O-Mat anscheinend bei Need for Speed beworben. Kritisch wurde angemerkt, dass trotz der weiten Verbreitung von Videospielen an Schulen auch bei jüngeren Lehrkräften zum Teil immer noch starke Vorbehalte gegenüber Videospielen und Gamerkultur vorhanden sind.

Fazit

In der die Veranstaltung abschließenden Talkrunde mit Tilo Jung, dailyknoedel und Marie Meimberg wurde deutlich, was man spätestens seit der letzten re:publica gemerkt haben sollte: Die YouTube-Community ist riesig, sehr aktiv, sehr jung – und wird von der Generation 28+ (zu der ich auch zähle) tendenziell nicht wahr genommen. MeinFazit: Der Fachtag war sehr gelungen – interessante Gäste, spannende Workshops, nettes Ambiente. Kleine Details wie der etwas umständliche Weg zum WLAN-Schlüssel oder die etwas knappen Plätze zum Mittagessen verzeiht man der Bosch-Stiftung da gerne, zumal der Rahmen sonst wirklich sehr fein war.


Teaser & Image by Susanne Kurz/Robert Bosch Stiftung


beschäftigt sich mit Jugendarbeit, Partizipation und hoffnungslosen Fällen. Ansonsten veranstaltet er Poetry Slams, Workshops und versucht, nicht allzu zynisch zu werden, trotz Allem. Auf Twitter findet man ihn selten, aber manchmal. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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