Medien: Ist Satire die Zukunft der Politikvermittlung?

#Varoufake, „Der Postillon“ in Deutschland oder „Die Tagespresse“ aus Österreich: Wer ein junges Zielpublikum erreichen will, der muss auf satirische Inhalte setzen. // von Jakob Steinschaden

Last Week Tonight: John Oliver und das Cookie Monster

Die Anschläge auf die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris, der Medien-Coup des Jan Böhmermann (#Varoufake) und stark wachsende Zugriffszahlen bei satirischen Webseiten in Deutschland und Österreich: Können Medienmacher mit Hilfe der Satire aus ökonomischen und politischen Zwängen ausbrechen?


Warum ist das wichtig? Medienmachern bietet Satire die Chance, Relevanz beim jungen Publikum wiederzuerlangen.

  • „The Daily Show“, „The Colbert Report“ und John Oliver zeigen in den USA vor, wie Satire ein Massenpublikum politische Inhalte vermitteln kann.

  • In Deutschland und Österreich erfreuen sich die Satire-Seiten „Der Postillon“ und „Die Tagespresse“ stetig wachsender Beliebtheit – vor allem in Social Media.

  • Jan Böhmermann zeigte im Zuge von #Varoufake auf, wie effektiv sich Satire einsetzen lässt, um Schieflagen aufzuzeigen.


Wenn wir auf das Medienjahr 2015 zurückblicken werden, dann wird einer der wichtigsten Faktoren, der die News-Landschaft geprägt hat, die Satire sein. Die Anschläge in Paris auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo haben das Jahr blutig eingeläutet und weltweit die Frage aufgeworfen, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit und der Satire zu ziehen sind (mit naturgemäß völlig unterschiedlichen Auslegungen). Den zweiten Höhepunkt des Satirejahres lieferte vergangene Woche ZDF-Satiriker Jan Böhmermann mit seinem Medienkunststück rund um einen Stinkefinger-Fake-Fake (#Varoufake), das letztendlich aufzeigte, wie Medienkonsumenten und Medien Inhalte im Sinne ihrer Einstellungen und Meinungen instrumentalisieren können.

Social und Mobile

Auch im Netz, vor allem via Social Media, verbreiten sich satirische Inhalte oft wie Lauffeuer und prägen damit die Diskussion über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. In Deutschland ist die Satire-Seite „Der Postillon“ laut einer Analyse von 10000flies.de zu den Top 10 jener Online-Medien aufgestiegen, deren Artikel am öftesten von Usern via Twitter, Facebook und Google+ geteilt wird. Bei den mobilen Zugriffen hat die Satire-Seite laut AGOF bereits Reichweiten, die RTL, Huffington Post oder Computerbild schlagen. des Der Postillon ist mittlerweile so einflussreich, dass er mit Falschmeldungen für große Verwirrung sorgen kann (z.B. mit einer vermeintlichen Absage einer Pegida-Demo in Dresden Anfang Jänner). In Österreich hat es die Satire-Seite „Die Tagespresse“ bereits so weit geschafft, dass ihre Artikel laut Storyclash-Analyse via Facebook öfter als jene der anderen Online-Medien geteilt werden. Ähnlich dem Postillon bedient sich auch „Die Tagespresse“ von Gründer Fritz Jergitsch tagesaktuellen, oft politischen Themen, um Politiker, Religionsvertreter oder Wirtschaftsbosse durch den Kakao zu ziehen.

In den USA ist Satire schon seit vielen Jahren ein wichtiger Bestandteil der politischen Berichterstattung. „The Daily Show“ (Selbstbeschreibung: „fake news show„) mit Jon Stewart (noch bis September Moderator), „The Colbert Report“ mit Stephen Colbert und seit 2014 „Last Week Tonight“ mit dem britischen Comedian John Oliver haben die TV-Bildschirme von Millionen Comedy-Central- und HBO-Sehern erobert und sind vor allem bei einem jüngeren Publikum beliebt, dem gemeinhin steigendes Desinteresse an politischen Inhalten nachgesagt wird. Was gerade diese Shows schaffen abseits des unterhaltenden, bissigen Humors schaffen: Sie vermitteln gewichtige politische Inhalte.

Möglichkeit zum Befreiungsschlag

Für TV- und Printmedien könnten deswegen satirische Inhalte eine Chance darstellen, ein junges Publikum, dass zu Buzzfeed & Co. abwandert, wieder für sich zu gewinnen. In einem globalen Medien-Business, in dem es zwischen perfekt gebrieften Politikern und Wirtschaftsbossen, ökonomischen Druck, Interview-Freigaben, Produkt-Inszenierungen (z.B. Apple) und staatlich finanzierten Propaganda-Medien wie RT.com immer schwerer wird, mit kritischen und qualitativen Inhalten zum Publikum durchzudringen, bietet Satire die Möglichkeit zum Befreiungsschlag. Satire wäre dann das Vehikel, wozu das zu Quiz-Shows verkommene Infotainment einmal gedacht war: Information so zu verpacken, dass sie wieder relevant für den Mediennutzer wird.


Teaser & Image by Last Week Tonight


ist seit 2006 publizistisch auf Papier und Pixel tätig. Er arbeitet in Österreich als Journalist und hat die beiden Sachbücher "Phänomen Facebook - Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt" (2010) und "Digitaler Frühling - Wer das Netz hat, hat die Macht?" (2012) veröffentlicht. In seinem Blog “Jakkse.com” und in Vorträgen schreibt und spricht er gerne über die Menschen und ihr Internet – von Social Media über Mobile Business und Netzpolitik bis zu Start-ups.


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