Mediathekenumschau vom 27. Oktober

In der Mediathekenumschau heute: Dokumentarfilme sind auch nicht das, was sie mal waren. // von Hannes Richter

Es ist so eine Sache mit den Mediatheken: Für viele Digital Natives sind sie schon Fernsehersatz – alles ist überall abrufbar. Doch nur auf Zeit: Gerade die öffentlich-rechtlichen Programme sind oft nach einer Woche wieder offline. Verlängertes Fernsehen statt digitales Archiv. Bevor sie verschwinden, fischen wir die besten Perlen aus der TV-Flut.

JUDEN & MUSLIME: So nah und doch so fern

arte +++ vierteilige Reihe, erster Teil nur noch bis 29. Oktober abrufbar: Was in den 90er-Jahre die nachgestellten Szenen waren (manchmal noch verschämt mit einem eingeblendeten Hinweis versehen), sind im Fernsehdokumentarfilm von heute Zeichentricksequenzen. Verständlich, denn wo schlechte Schauspieler bei Guido Knopp  eher zum zweifelhaften Ruf der seichten Geschichten aus dem Dritten Reich beigetragen haben, sind Zeichnungen einfacher zu handhaben. Gut gemacht und stilistisch vielfältig geben sie den Filmemachern unendliche Möglichkeiten, mit Mangel an Archivmaterial umzugehen. Das war beim in der letzten Woche empfohlenen Film über den politischen Kriminalfall Pasolini so, ist aber besonders bei noch weiter zurück gehenden historischen Stoffen hilfreich. Dieses schöne Beispiel modernen Bildungsfernsehens lebt fast ausschließlich von erklärenden Experten (bis vor kurzem noch Gift für alles was auf der Höhe der Zeit sein wollte) und solchen Zeichnungen. Ach ja, es handelt sich außerdem noch um ein spannendes Stück Geschichte.

JUNGER DOKFILM 1: The Wildest Guy

3Sat +++ Sendung vom 20. Oktober: Gut, wenn man genauer hinhört. Ein junger Mann zieht sich nach dem Selbstmord eines Freundes zurück in die Wildnis und findet zu sich selbst. Was nach adolescenter Selbstbespiegelung gemixt mit einem Schuss Esoterik (und auch ein bisschen langweilig) klingt, ist genau das. Und doch ist es auch irgendwie schön, Greg Paulson dabei zu beobachten, wie er gegen die Tristesse des Alltags im sozialen Brennpunkt Baltimore mit den wenigen Waffen ankämpft, die ihm zur Verfügung stehen: Der Freiheit, auszubrechen, und seiner Stimme. Die Studentenarbeit von der Hochschule für Film und Fernsehen München schafft eine sonderbare Atmosphäre, die an die Grenzen des Genres Dokumentarfilm und tief ins Gehör geht.

JUNGER DOKFILM 2: Ich bin hier

3Sat +++ Sendung vom 20. Oktober: Auch „Ich bin hier“ arbeitet mit Grenzüberschreitungen. Wenn sich Hamdy, ein 27-jähriger Deutsch-Ägypter auf der Suche nach seiner 9-jährigen Tochter besonders einsam fühlt, steht plötzlich ein blondes Mädchen hinter ihm, deren Gesicht wir nicht sehen. Doch das Mädchen ist weniger eine Spiegelung der Tochter als ein Sinnbild für die andere Seite, für das Dort und für das irgendwo anders sein. Nach langer Haft steht das für Hamdy in erster Linie für die Freiheit außerhalb der Gefängnismauern und bei einer Familie, aber doch irgendwie auch die selbe Freiheit, die Greg Paulson in der Wildnis sucht.

Beide Filme stammen aus einer spannenden Reihe von Erstausstrahlungen junger Filmemacher, die mit ihren Dokumentarfilmen einen Blick auf die gerade erwachsen werdenden werfen: Ab18!


Teaser by Paulae (CC-BY-3.0)]


Image by arte

wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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