Disruption durch Innovation: Selbermachen statt Lemming-Verhalten

Neue Unternehmen müssen sich gegen Markenriesen am Markt behaupten, wenn sie mehr sein wollen als Randerscheinungen, und werden zu disruptiven Innovatoren. Firmen wie Netflix und Uber machen vor, wie das geht. Das Notizamt verzeichnet eine gestiegene Aufmerksamkeit bei der kritischen Auseinandersetzung mit worthülsen-produzierenden Keynote-Sprechautomaten, die in jeder Ecke disruptive Silicon Valley-Bombenleger wahrnehmen, aber in ihrer digitalen Bühnenshow stets die gleichen Beispiele an die Wand projizieren.

Dazu zählt auch der vulgär-kapitalistische Uber-Gründer Travis Kalanick, der dem Arschloch namens Taxi den Krieg erklärt hat und mit seinem Transportdienst direkt auf Konfrontationskurs mit den Platzhirschen gegangen ist. Das führt sicherlich zur Veränderung des Taxigewerbes, ist aber mitnichten eine disruptive Innovation, so der Einwand von Professor Clayton M. Christensen, der als Vater der Disruptionstheorie gilt.

Nicht jedes Startup ist disruptiv

Disruptive Neulinge können sich im unteren Preissegment etablieren, weil die etablierten Anbieter versuchen, den profitabelsten und anspruchsvollsten Kunden immer bessere Produkte und Dienste zu verkaufen – den Rest der Kundschaft vernachlässigen sie dabei.

Disruptive Innovatoren können sich in der ersten Phase auf die weniger anspruchsvolle Klientel konzentrieren und Angebote machen, die gerade noch gut genug sind. Erst danach bewegen sich die Startups in den Mainstream-Markt, ein Prozess, der bei den Discountern gut zu beobachten ist.

Ein disruptiver Innovator kann auch einen völlig neuen Markt schaffen, wie mit dem iPhone und dem App-Ökosystem von Apple für die Etablierung des mobilen Internets. Vulgär-kapitalistische Marktschreier Uber ging es sofort um eine starke Position im Massenmarkt und bearbeitete erst später bislang unbeachtete Segmente.

Der Taxi-Rebell gestaltet via Smartphone das Matching-System komfortabel, bietet die bargeldlose Bezahlung relativ unkompliziert an und macht die Leistungen durch ein Bewertungssystem transparent. “Nicht zuletzt bietet Uber eine zuverlässige und pünktliche Dienstleistung an, die nicht teurer, sondern vielfach günstiger ist als die des regulären Taxigewerbes”, schreibt Christensen in einem Beitrag für die Januar-Ausgabe von Harvard Business Manager.

Wie es für erhaltende Innovationen typisch ist, die das Geschäft der etablierten Anbieter bedrohen, so löst auch Uber sofort Gegenreaktionen bei den Taxiunternehmen aus, die ebenfalls mit neuen Technologien ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Zudem wehren sich die Gebietsmonopolisten mit juristischen Maßnahmen. Ob Uber auf diesem relativ gesättigten Markt nur mit Preiskriegen überleben wird, ist fraglich. Disruptiv ist der Marktschreier jedenfalls nicht.

Netflix ist disruptiv

Einen disruptiven Weg legte hingegen Netflix hin. Das Unternehmen startete 1997 mit der Möglichkeit, Filme über die Netflix-Website auszuleihen und die DVD per Post zu erhalten. Für Videothekenketten wie Blockbuster anfänglich keine große Bedrohung. “Dank neuer Technologien konnte Netflix jedoch sein Geschäft auf das Streamen von Filmen über das Internet verlagern. Dadurch wurde das Angebot schließlich auch für die Kernkundschaft von Blockbuster attraktiv”, erläutert Christensen.

Netflix bietet mittlerweile eine größere Auswahl, eine Flatrate, niedrige Preise, eine hohe Qualität und einen sehr bequemen sowie massentauglichen Zugang. Wäre Netflix wie Uber sofort auf den Kernmarkt der größten Konkurrenten losgegangen, wären heftige Gegenreaktionen von Blockbuster & Co. die Folge gewesen. Blockbuster unterließ es jedoch, den Aufstieg des Newcomers zu kontern und landete in der Pleite.

Digitale Macher statt Schwätzer

Diese Unterscheidung ist wichtig für etablierte Unternehmen, um auf Veränderungen im Randbereich des eigenen Geschäfts angemessen zu reagieren. Selbst ernannte digitale Evangelisten halten sich mit differenzierten Analysten von innovativen Entwicklungspfaden nicht weiter auf. Sie pusten wahllos Beispiele aus Kalifornien ins erstarrte Publikum, um den nahen Tod ganzer Branchen zu proklamieren.

Theoretische Reflexionen oder das Lesen von fundierten Primärquellen ist da eher fehl am Platz. “Wir brauchen mehr Macher. Weniger Sprechautomaten. Menschen, die digitale Produkte auf die Beine stellen. Nicht solche, die andere dafür bewundern und ihr kindliches Erstaunen dann auch noch als Beratung verkaufen”, kritisiert der Mobile-Business-Experte Ralf Rottmann.

Er meint damit die deutschen und internationalen Digital-Schwätzer, die wie der Teufelsprediger Johann Tetzel auf dem Podium herumspringen, um mit ihren teuflischen Warnungen Kohle zu verdienen. Mit diesem Trick konnte der katholische Ablasshändler Tetzel den Bau der Peterskirche in Rom finanzieren. Bei den Keynote-Lautsprechern landen die satten Honorare in der eigenen Tasche. Beide Varianten sind nicht sehr ehrenvoll.

Leseempfehlung: Wie der meist gehypte DLD-Vortrag das Lemming-Verhalten der Digitalbranche entlarvt


Image (adapted) „Disruption“ by Tsahi Levent-Levi (CC BY 2.0)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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