Digitales Gemeinwohl durch faire Datenpolitik

Es mangelt nicht an Beiträgen, die Deutschland eine fehlende Gestaltungsfähigkeit in Sachen Digitalisierung attestieren. Dieses Defizit ist auch beim Thema Datenschutz zu verzeichnen. Deutschland gilt zwar als stark im Datenschutz, aber diese Stärke verkehrt sich zusehends in eine Schwäche. In der digitalen Gesellschaft ist der Umgang mit Daten grundlegenden Veränderungen unterworfen, aber weder die hierzulande geführte Datenschutzdebatte noch der Rechtsrahmen trägt diesem Wandel bislang angemessen Rechnung.

Mit Datenminimierung, Einwilligung und Zweckbindung werden durch die Europäische Datenschutzgrundverordnung nun EU-weit Datenschutzprinzipien festgeschrieben, die uns in der Vergangenheit gerade nicht davor bewahrt haben, dass mit unseren Daten eifrig Handel getrieben wurde, ohne dass wir davon etwas erfahren, geschweige denn davon profitiert haben. Daten können jedoch Reichtum schaffen. Aufgabe der Politik ist es, sicherzustellen, dass die Gesellschaft von der Datennutzung profitieren kann. Dies sollte ein wichtiger Bestandteil der Datenpolitik des 21. Jahrhunderts sein.

Natürlich machen personalisierte digitale Dienstleistungen den Alltag einfacher. Es geht aber nicht nur darum, dass Amazon uns noch bessere Bücher und Facebook noch passendere Freunde empfiehlt, oder dass wir gezieltere Werbung angezeigt bekommen. Es geht auch nicht nur um Effizienzgewinne durch Daten, die schon jetzt den Arbeitsmarkt, Produktionsprozesse und das Bildungssystem verändern. Vielmehr geht es auch um echten gesellschaftlichen Fortschritt, der mit mehr Daten erzielt werden kann – beispielsweise, wenn Ärzte den Gesundheitszustand einer Person detailliert analysieren und mit einer Vielzahl von anonymisierten Daten anderer Patienten vergleichen können. Es geht darum, durch bessere Steuerung knapper Ressourcen zentralen Herausforderungen, auf die wir noch keine Antworten haben, besser begegnen zu können, etwa weil immer mehr Menschen in immer größeren Städten leben, weil sich Migrationsströme um die Erde bewegen und die Folgen des Klimawandels offen sind.

Nun bringt allein die Verfügbarkeit personenbezogener Daten Risiken mit sich. Schon 1983 haben die Richter des Bundesverfassungsgericht davor gewarnt, dass der „gläserne Mensch“ mit der Demokratie unvereinbar sei. Und Entscheidungen über ein ahnungsloses Individuums aufgrund irgendwelcher ominöser Daten, von denen der Betreffende nichts weiß, seien menschenunwürdig. Zwar wird das Europäische Datenschutzsystem durch die neue Datenschutzgrundverordnung in Zukunft „dichter“ in dem Sinne, dass es auch auf amerikanische Unternehmen, die europäischen Kunden ihre Dienstleistungen anbieten, anzuwenden ist. Trotzdem steht fest: Der Trend zum Datensammeln lässt sich nicht stoppen, weil über Daten inzwischen ganze Märkte funktionieren.

Viele dieser so wertvollen Daten gelangen mit unserer Genehmigung in die Hände von Unternehmen. Denn auf ‚Akzeptieren‘ klicken wir alle – allzu oft ahnungslos – recht zuverlässig. Während aber die Menge der zu Verfügung stehenden Daten enorm wächst, stehen diese in der Regel weder den Verbrauchern selbst noch der Forschung zur Verfügung. Auch gemeinwohldienliche Nichtregierungsorganisationen partizipieren derzeit kaum am Datenreichtum unserer Gesellschaft.

Nur wenige Unternehmen verfügen über mächtige Dateninfrastrukturen, also sowohl über enorme Mengen wertvoller Daten als auch über die entsprechenden Analysefähigkeiten. Manche horten diese Informationen, um sich so den entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber Rivalen zu sichern, andere betreiben mit den Daten einen regen Handel. Das Geschäft von Firmen, die auf den Handel mit Daten spezialisiert sind, so genannte Data Broker, ist alleine in den Vereinigten Staaten mehrere Milliarden US-Dollar wert. Die auf Daten basierte Werbeindustrie hatte dort im Jahr 2014 Einnahmen in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar.

„Der Geist ist aus der Flasche“, sagt Dirk Helbing, Professor für Soziologie an der ETH Zürich. Große Mengen unserer Daten sind schon online und werden genutzt. Jedes Mal wenn wir „googeln“, hinterlassen wir Spuren in der digitalen Welt. Jede Minute werden auf YouTube 300 Stunden neuer Videos geladen, auf Twitter 350.000 Tweets gesendet und mehr als 4 Millionen Facebook-Posts „geliked“. Alle diese Daten erlauben wertvolle Aussagen über Individuen. Bis 2020 soll nach Schätzungen des World Economic Forums die Menge der digitalen Daten 44 mal grösser sein als 2009 – auch weil sie zunehmend nicht mehr von Menschen, sondern von „smarten“, mit dem Internet (und damit auch unter einander) verbundenen Geräten generiert werden.

Informationelle Selbstbestimmung im 21. Jahrhundert muss anders aussehen als das, was man sich in den 1980er Jahren darunter vorgestellt hat. Es ist eine wichtige und – zugegeben – schwierige politische Aufgabe, die Datenpolitik so zu gestalten, dass wir einerseits von der Verfügbarkeit der Daten profitieren können, anderseits aber vor Missbrauch dieser Daten geschützt werden. Beim Datenschutz sollte es nicht nur um „Abwehr“ gehen, sondern auch um „gute Nutzung“ von Daten. Eine Nutzung, von der die ganze Gesellschaft profitieren kann.

Statt so zu tun, als ob eine „Ausgabesperre“ für Daten möglich und erstrebenswert wäre, sollten wir den Schwerpunkt auf Transparenz und Kontrolle der konkreten Datenverwendung verlagern und den Schwerpunkt der Datenpolitik darauf legen, sicherzustellen, dass die  Datenauswertung auch gemeinwohlorientierten Zwecken dient. Die soziale Marktwirtschaft, ein zentrales Prinzip des Grundgesetzes, muss auch in die datenbasierte Wirtschaft Einzug halten.

Wie würde eine soziale Marktwirtschaft für Daten aussehen? Mindestens diese drei Elemente sollte sie enthalten:

  • Echte Auswahlmöglichkeiten für die Bürger: Förderung von technischen Lösungen und Systemen, die den Bürgern ermöglichen, Daten gezielt zu teilen oder auch zu schützen. Diese könnten die Form eines Bürgerkontos haben, auf dem Daten aus vielen Quellen gespeichert sind, wobei es an dem Bürger liegt, welche Daten er mit wem teilen will und jeder Zugriff auf Daten zu Kontrollzwecken aufgezeichnet wird.
  • Vorgaben bezüglich der gemeinwohldienlichen Nutzung von Daten: Beispielsweise sind Daten, die über die Sensoren von vernetzten Autos gesammelt werden, für Kommunen, Akteure der öffentlichen Daseinsvorsorge und für die Forschung relevant (so zum Beispiel für Verkehrslenkung und Parkraummanagement). Es muss sichergestellt werden, dass die Daten auch tatsächlich für diese Zwecke verfügbar sind.
  • Förderung der Verfügbarkeit der Daten zur Forschungszwecken und gemeinwohlorientierten Zwecken. Daten sind eine wichtige Infrastruktur. Zur Zeit aber verfügen vor allem private Unternehmen über komplexe, gut organisierte Datenbanken, aus denen wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden können und tagtäglich gewonnen werden – für die privaten Zwecke.
  • Eine öffentliche Dateninfrastruktur ist in Deutschland so gut wie nicht existent. Der Staat muss daher gezielt den Ausbau eines öffentlichen Daten-Ökosystems fördern. Dazu zählt auch die Ausbildung von Fertigkeiten, Daten nicht nur für wirtschaftliche, sondern auch für gemeinwohldienliche Zwecke zu nutzen.
  • Offene Regierungsdaten sind ein wichtiger Bestandteil eines solchen Daten-Ökosystems: Bund, Länder und Kommunen müssen nicht-personenbezogene Verwaltungsdaten in maschinenlesbarer Form sowie bedingungs- und kostenlos der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, denn in diesen Daten schlummert ein unermesslicher Schatz, auf den eine Gesellschaft im 21. Jahrhundert nicht verzichten kann.

Vor drei Jahren twitterte Bundeswirtschaftsminister Gabriel: „Ich will weder einen allwissenden Daten-Kapitalismus noch einen allwissenden Daten-Staat.“ In der Zwischenzeit ist die Bundesregierung vom Prinzip der Datensparsamkeit abgerückt. Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Gabriel verkündeten auf dem IT-Gipfel im Herbst 2015, das Prinzip der Datensparsamkeit dürfe legitimen Geschäftsinteressen nicht länger im Weg stehen.

Ich hoffe, der nächste Schritt wird so aussehen: Wir machen uns klar, dass die gesamte Gesellschaft von digitalen Daten profitieren sollte, und wagen daher eine Investition in die öffentliche Dateninfrastruktur.


Mehr dazu am 18.10.2016 in einem Hintergrundgespräch mit Prof. Dr. Dirk Helbing von der ETH Zürich beim Berliner Think Tank Stiftung Neue Verantwortung.


Image „Blue Screen of Death in Silver Black Laptop“ by Markus Spiske (CC0 Public Domain)


ist Seniorberaterin für Open Data beim Think Tank Stiftung Neue Verantwortung in Berlin. Sie hat zuletzt im Ministerium für Verwaltung und Digitalisierung in Polen eine Abteilung für Analysen und öffentliche Kommunikation aufgebaut und geleitet, und in dieser Funktion den Minister zu Themen wie Internet Governance, Datenschutz, e-Government und e-Society beraten, sowie Analysen und Kommunikationsstrategien zu strategischen Themen entwickelt. Neben der Tätigkeit für die Stiftung spezialisiert sie sich in Internet-Recht im Rahmen ihres juristischen Referendariats in Berlin.


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , , , , , , , , , ,

1 comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert