Kurz vor der Jahrtausendwende erschien Half-Life und man könnte sagen, es revolutionierte sein Genre. So schöpfte der Klassiker von Valve die Möglichkeiten des Shooter-Genres vollends aus und schaffte es, dem Spieler das Gefühl einer interaktiven und vor allem physikalischen Welt zu vermitteln. Mit dem vor Kurzem erschienen Boneworks von Stress Level Zero scheint es, als würde eine derartige Revolution nun das Genre der Virtual Reality-Spiele ereilen. Besonders in Sachen Physik setzt der Shooter, der nicht selten Elemente aus dem Klassiker Half -Life enthält, neue Maßstäbe und hat zumindest mich beim Anspielen wirklich begeistert. Ich hatte die Möglichkeit Boneworks anzuspielen und möchte in diesem Artikel darauf eingehen, was an Boneworks so toll ist und inwiefern es einen Meilenstein in Sachen VR-Games darstellen könnte.
Keine Tech-Demo, aber auch keine tolle Story
Auch wenn Boneworks‘ Stärken eher in der Technik des VR-Spiels liegen, ist es doch mehr als eine bloße Tech-Demo. Dabei steht die Geschichte in Boneworks dennoch ziemlich im Hintergrund. Grob zusammengefasst befinden wir uns als Hacker in einem als Stadt dargestellten Betriebssystem namens MythOS, lösen Rätsel, kämpfen gegen KI-Gegner und versuchen die Clock zurückzusetzen. Die Geschichte ist dabei allerdings nicht der Punkt, in dem Boneworks meiner Meinung nach brilliert. Tatsächlich erfahren wir recht wenig über die Welt, in der wir uns befinden oder über unseren Charakter. Einen wirklichen Abbruch tut das Boneworks aber nicht. Hier wird lediglich etwas Potential verschenkt. Die Story zu spielen, lohnt sich allerdings trotzdem. Denn hier schalten wir Waffen und Ausrüstung frei, die wir im Sandbox-Mode benutzen können.
Einen tollen Eindruck von Boneworks bekommt ihr auch in dem Release-Trailer zu Boneworks:
Alles(!) ist Physikalisch
In Boneworks ist die gesamte Welt physikalisch und das ist der Punkt, der Boneworks in meinen Augen zu einer regelrechten VR-Revolution macht. So gibt es in Videospielen zwei Möglichkeiten, die Welt erfahrbar zu machen. Möchte man beispielsweise eine Bewegung nach vorne in einem Spiel umsetzen, kann das über den „mathematischen“ Weg geschehen, indem die Position eines Objektes in kurzen Zeit-Intervallen nach vorne gesetzt wird. Alternativ kann ein Entwickler auch den physikalischen Weg nutzen und die Bewegung physikalisch korrekt berechnen. Boneworks ist in Unity entstanden, was bereits eine Physik-Engine beinhaltet. Das wird die Entwicklung sicher stark vereinfacht haben.
Diese physikalische Berechnung beinahe ALLER Objekte funktioniert wirklich sehr gut und so fühlt sich die Welt im Spiel wahnsinnig realistisch an. Alles kann aufgehoben, zerstört, durch die Gegend geworfen und von uns bewegt werden. Jedes Regal lässt sich in Boneworks ausräumen oder sogar von der Wand reißen. Auch das Gewicht der Gegenstände ist spürbar. So lässt sich ein schwerer Vorschlaghammer beispielsweise deutlich schwerfälliger bewegen als ein leichtes Schaumstoffschwert. Es ist erstaunlich, wie sich schwere Gegenstände auch wirklich „schwer“ anfühlen können, wenn wir doch eigentlich gar nichts in der Hand haben.
Ungeahnte Möglichkeiten dank Physik
Eine rein physikalische Welt gibt einem als Spieler ganz neue Möglichkeiten an die Hand, sich durch sie zu bewegen. So gibt es für viele Passagen und Rätsel zig Lösungen, die meistens mit der Vielfalt an physikalischen Möglichkeiten in Boneworks zusammenhängen. So können wir eine Kiste vor dem zu überwindenden Hindernis abstellen und das Hindernis mit Hilfe der Kiste überwinden. Auch Schalter lassen sich nicht bloß „drücken“, indem ein Trigger erkennt, dass wir eben das beabsichtigen. Stattdessen können wir den Schalter mit allem, was eine Masse hat, bewegen: unserer Hand, dem Brecheisen (Half Life-Gefühle dürften hier bei dem ein oder anderen wach werden) oder sogar mit einer abgefeuerten Kugel aus unserer Waffe. Allerdings ist eine derart physikalische Welt nicht immer praktisch in einem Spiel. So können wir im Vorbeigehen zum Beispiel mit unserer Brechstange an einem Geländer hängen bleiben oder uns zwischen den geöffneten Türen einer Spind-Tür verheddern. Das irritiert hin und wieder, da wir das entsprechende Feedback nicht zu spüren bekommen.
Die Kämpfe fühlen sich toll an
Vorab: Boneworks ist gerade in hektischeren Situationen nur etwas für Spieler mit einem stabilen Magen. Mir ist leider nach etwa einer Stunde so derartig schlecht geworden, dass ein Weiterspielen unmöglich wurde. Nimmt man dieses Manko aber beiseite, machen gerade die Kämpfe in Boneworks einen Heidenspaß. Nicht nur das grandiose Handling von Schusswaffen wirkt wahnsinnig realistisch, auch der Umgang mit den diversen Nahkampfwaffen ist wirklich gelungen. Ein Force-Grip, mit dem wir entfernte Gegenstände wie mit der Macht aus Star Wars zu uns ziehen können sowie eine Zeitlupen-Funktion ermöglichen actionreiche Manöver.
Die Physik in Boneworks macht es zudem möglich, die Gegenstände, die wir als Waffe benutzen, nicht nur auf eine Art in die Hand zu nehmen. So ist es nämlich in vielen bisherigen VR-Spielen der Fall, dass wir Gegenstände in vorgefertigten Positionen in der Hand halten.
Boneworks allerdings gibt uns die Möglichkeit, umzugreifen und unser Brecheisen so etwas weiter oben anzufassen. Auch sind die Gegner natürlich vollends physikalisch und können dementsprechend an allen Stellen gegriffen und bewegt werden. Da die Gegner in Boneworks aber eher abstrakt gehalten sind, ist das bei weitem nicht so makaber, wie es klingt.
Eine Hommage an die Revolutionen vergangener Zeit
Seine geistige Nähe zu ehemals großartigen spielen wie Half-Life oder Portal macht Boneworks durch viele kleine Details sehr deutlich. So wäre da das vielfach genannte Brecheisen. In Half-Life ist es unsere erste Waffe und für das gesamte Spiel die Go-To-Gerätschaft, wenn es darum geht, Kisten zu zerdeppern. So ist auch bei Boneworks das beliebte Brecheisen vertreten und eignet sich hervorragend, um in Boneworks so einigen Kisten das Leben auszuhauchen. Dabei können auch hier die Einzelteile einer zerstörten Kiste aufgehoben werden und beispielsweise als Waffe benutzt werden. Das war auch in Half-Life möglich, wo sich die aufgehobenen Gegenstände allerdings nur bedingt als Waffen verwenden ließen.
Auch die Headcrabs aus Half-Life finden ihre geistigen Nachfolger in Boneworks – hier in Form von krabbelnden VR-Headsets, die versuchen uns auf den Kopf zu springen. In VR fühlt sich das allerdings nochmal ein ganzes Stück unangenehmer an.
Next Gen VR: Boneworks legt vor, was kommt jetzt?
Boneworks legt vor und zeigt, was VR-Spiele sein können. Es zeigt, wie sich die Bewegung in einer interaktiven virtuellen Welt in Virtual Reality anfühlen kann. Es zeigt, was eine physikalische Umgebung ausmachen kann und was passiert, wenn die Grenzen des „Machbaren“ heruntergesetzt werden. In wenig anderen Spielen können wir uns zum Beispiel auf eine Bank Stellen, an dieser mithilfe einer „Ballon-Kanone“ Ballons befestigen und dadurch in die Luft fliegen.
In Sachen Narrative lässt Boneworks zwarnoch einiges liegen, macht dafür an anderer Stelle aber so viel richtig. Brand J Laatsch, Mitglied des YouTube-Kanals Node (den ich übrigens sehr empfehlen kann), ist einer der Entwickler und hat den Fortschritt über die Jahre in Videos begleitet. Dabei erklärt er unter anderem, dass Stress Level Zero versucht hat, die Elemente, die andere VR-Spiele bereits gemeistert hatten, in Boneworks zu vereinen. So gäbe es in Virtual Reality bereits gute Kletter, Shooter, oder auch Nahkampf-Elemente. Stress Level Zero hat diese Elemente nun alle in ein Spiel gegossen und es damit so realistisch und umfassend gemacht.
Boneworks zeigt aber auch, wo die Grenzen von Virtual Reality derzeit liegen. So stellt das eigene Körpergefühl noch eine Grenze dar. Springen wir in Boneworks durch die Luft oder Rennen gar nur von A nach B und schauen auf unsere sich bewegenden Füße, fühlt sich das unnatürlich an. Hier sind wir dann eben doch nur in unserem Wohnzimmer und stehen auf ein und derselben Stelle. Hinzu kommt bei manchen Spielen die Motion Sickness, die lange Spielsessions nahezu unmöglich machen kann. Der derzeitige technische Stand scheint hier ausgereizt zu sein.
Ich freue mich auf Alyx
Der Trailer zu Half-Life: Alyx ist bereits Ende letzten Jahres erschienen und Zeigte einen VR-Ableger aus dem Half-Life-Universum. Wir haben bereits an dieser Stelle darüber berichtet. Im Trailer zu Half-Life: Alyx ist eine ebenso physikalische Welt zu sehen, in dem der Spieler Gegenstände in einem Regal zur Seite schiebt, um an die dahinterliegenden Patronen zu kommen. Inwiefern die Immersion in Alyx mit der in Boneworks wird mithalten können, steht noch aus. Gerüchtehalber hätte Boneworks allerdings als Spiel im Half-Life-Universum gestartet. Valve soll das Spiel jedoch abgelehnt, aber einige der Elemente für Alyx übernommen haben. Sollte das Spielgefühl in Half-Life: Alyx mit dem in Boneworks vergleichbar sein, dürfen wir uns hier aber hoffentlich auf eine stärkere Geschichte freuen.
Wo kann ich Boneworks kaufen und spielen?
Derzeit bekommt ihr Boneworks nur auf Steam für 24,99 Euro. Die Systemvoraussetzungen haben es, wie bei VR-Spielen so üblich, allerdings ziemlich in sich. Neben einem VR-Headset braucht ihr zum Spielen eine starke Grafikkarte und eine Leistungsstarke CPU, die für physikalischen Berechnungen zuständig ist. Stress Level Zero gibt hier auf Steam eine CPU mit einer Taktrate von mindestens 3.0 GHz an sowie mindestens eine Nvidia GTX 1060 / 970. Diese enormen Anforderungen werden vermutlich noch eine ganze Weile dafür sorgen, dass VR nicht zum Massenprodukt wird.
Dennoch ist das eine spannende Zeit auf dem Videospielmarkt. Da das Angebot an VR-Spielen noch eher in den Kinderschuhen steckt, bekommen wir hier viel mehr Spiele zu sehen, die es nach den Maßstäben herkömmlicher Games vielleicht gar nicht auf den Markt geschafft hätten. Nun gibt es schließlich die ersten VR-Games, die sich aus den Kinderschuhen erheben und zeigen, was diese Technologie kann. Boneworks ist da sicher und auch hoffentlich nur der Anfang.
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All Images by Stress Level Zero via IGDB.com
Titleimage: Screenshot from Boneworks Launchtrailer by Stress Level Zero
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Schlagwörter: Boneworks, Physik, shooter, Steam, virtual reality