Unternehmertum in der Demografie-Falle

Die Überalterung der Gesellschaft hat die Unternehmen erreicht. Streams könnten Abhilfe schaffen. Wir debattieren seit Jahren aus guten Gründen über die Überalterung unserer Gesellschaft. Es geht dabei in erster Linie um die Finanzierung der Rentenversicherung über das Umlageverfahren, um die Kosten der Altenpflege, Fachkräftemangel, Probleme bei der Unternehmensnachfolge oder um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ein blinder Fleck im politischen Diskurs ist die alternde Unternehmerschaft in Deutschland, die sich nur über die Erfolge der Vergangenheit definiert. Klingt nicht gerade aufregend. Aber wir erleben gerade eine digitale, innovative und investive Spaltung der Wirtschaft. Alte Unternehmer leben von der Substanz, investieren kaum und verdrängen die Notwendigkeit von Erweiterungsinvestitionen sowie Innovationen. Das erklärt vielleicht auch die Aversionen der liebwertesten Chef-Gichtlinge gegen die Digitalisierung.

Gründerzahl im Sinkflug

Die Inhaber von 1,3 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sind 55 Jahre oder älter – das entspricht rund einem Drittel aller Mittelständler in Deutschland. Wie eine aktuelle repräsentative Analyse von KfW Research auf Basis des KfW-Mittelstandspanels zeigt, ist der Anteil dieser Altersgruppe unter den mittelständischen Unternehmern seit 2002 vier Mal so stark gestiegen wie in der Gesamtbevölkerung. Gleichzeitig fehlt es an ausreichend Unternehmernachwuchs. Seit rund 13 Jahren ist die Gründerzahl im Sinkflug. Und nicht nur das. Die geringe Bereitschaft zur Selbstständigkeit wirkt sich auch auf die Netzökonomie aus:

Laut Vodafone Institute Survey will kaum ein junger Deutscher seine Karriere in der Digitalen Wirtschaft machen oder etwa in einem zugehörigen Start-up arbeiten. 33 Prozent der Deutschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren schließen eine Karriere in der Digitalen Wirtschaft für sich aus. Umgekehrt beantworten nur 13 Prozent der Befragten die Frage nach einem möglichen Berufseinstieg im digitalen Sektor mit einem eindeutigen Ja

, erläutert Professor Tobias Kollmann. 70 Prozent der sogenannten „Digital Natives“ könnten sich zudem nicht vorstellen, für ein Start-up zu arbeiten oder gar ein Unternehmen der Digitalen Wirtschaft zu gründen (77 Prozent).

Das bedeutet, wir werden nicht nur kurzfristig, sondern auch mittel- und langfristig nicht über ausreichend ‚digitale Köpfe‘ als Manager für etablierte Unternehmen sowie Gründer für Start-ups verfügen“, so die ernüchternde Erkenntnis von Kollmann.

Schnappatmung in der Chefetage

Bei den Vorstandschefs in den Konzernen, die ja nichts anderes als leitende Angestellte sind, sieht es nicht besser aus. In den Führungsetagen regiert „Bürokratie, Routinekram, Leerzeiten, sinnlose Sitzungen, alles Mögliche, nur nicht das, weshalb sie ganz nach oben wollten: nämlich um etwas entscheiden zu können und zum Guten zu verändern“, so Hans Hinterhuber, emeritierter Professor für Unternehmensführung der Universität Innsbruck, im Gespräch mit „brandeins“.

Heute herrsche im Top-Management eher Sauerstoffmangel und Schnappatmung, eine geistige Todeszone, in der es keine kreative Führung mehr gibt, kritisiert der Wirtschaftspublizist Wolf Lotter.

Beschleunigte Alterung des Mittelstandes

In Kombination mit der beschleunigten Alterung des Mittelstandes hat diese Gemengelage fatale Folgen für die gesamte Volkswirtschaft. Die Investitionsbereitschaft von Inhabern sinkt mit zunehmendem Alter rasant. Von den Unternehmern über 60 Jahren investiert laut KfW-Analyse nur noch rund jeder Dritte. Die anderen ziehen sich aus der Weiterentwicklung ihres Unternehmens zurück. Das gefährdet den künftigen Geschäftserfolg, bremst Modernisierung und reduziert gesamtwirtschaftliches Wachstum. Sinkt die Wettbewerbsfähigkeit, sind häufig auch Arbeitsplätze gefährdet.

Betroffen von der schnell voranschreitenden Alterung sind nahezu alle Branchen. Besonders schnell in die Demografie-Falle bewegen sich die kleinen und mittleren Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes mit einem durchschnittlichen Inhaberalter von 54 Jahren. Unabhängig vom Wirtschaftszweig haben große Mittelständler tendenziell ältere Inhaber. Bei den großen Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten liegt das Durchschnittsalter des Inhabers bei 53 Jahren.

Hedgefonds-Mentalität statt Innovationsgeist

Wie das KfW-Mittelstandspanel der Unternehmensinvestitionen der Jahre 2004 bis 2013 zeigt, ist der Zusammenhang zwischen Inhaberalter und Investitionsbereitschaft unverkennbar: 57 Prozent der Unternehmen mit Chefs unter 40 Jahren investieren. Mit steigendem Unternehmeralter sinkt der Investorenanteil deutlich. Bei den über 60-jährigen Unternehmensinhabern erreicht er nur noch 37 Prozent.

Auch die Art der Investition verändert sich mit steigendem Alter. Stärker risikobehaftete und kapitalbindende Vorhaben werden seltener, die noch durchgeführten Investitionen dienen in erster Linie der Pflege des Kapitalstocks. Jürgen Stäudtner spricht in seinem Innovationsstau-Buch gar von einer Hedgefonds-Mentalität, die bei den arrivierten Firmenchefs dominiert.

Die geringere Investitionsneigung hat gravierende Folgen für die Unternehmenssubstanz. Bei acht von zehn Mittelständlern mit älteren Inhabern übersteigt der Wertverlust des Kapitalstocks das Volumen der Neuinvestitionen. Eine zentrale Ursache für die abflauende Investitionsbereitschaft älterer Unternehmer ist deren kurzer Planungshorizont – die Risikobereitschaft sinkt. Rückt ein Inhaber näher an das Rentenalter heran, besitzen viele Vorhaben eine aus seiner Sicht zu lange Amortisationsdauer. Das gilt umso mehr für alle längerfristig finanzmittelbindenden – dafür aber auch wettbewerbsstärkenden – Zukunftsinvestitionen.

Neue Impulse für alte Unternehmer und Gründer

Der deutsche Mittelstand altert im Zeitraffer“, sagt Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der KfW. „Weil ältere Chefs wesentlich seltener investieren, droht vielen kleinen und mittleren Unternehmen durchaus ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und Anziehungskraft für neue Kunden. Das mindert den Wert des Unternehmens, in dem oft ein ganzes Arbeitsleben steckt.“

Dieses Risiko müsse auch im Interesse sicherer und moderner Arbeitsplätze reduziert werden. Man sollte überlegen, wie wir den Unternehmergeist auch im Alter entfachen können. So könnten Alteigentümer nach dem Rückzug an der Rendite beteiligt werden. Mehr Unternehmer und die frühzeitige Klärung der Nachfolge wäre ein anderer, wesentlicher Baustein für den Erhalt eines dynamischen Mittelstandes.

Der Netzökonomie-Campus will das ändern und Wirtschaft, Start-ups, Wissenschaft sowie digitale Vordenker zusammenbringen. In regelmäßigen Käsekuchen-Diskursen via Hangout on Air und mit der Organisation des NetzökonomieCamps Ende November in Paderborn. „Mehr Wirtschaft im Netz wagen!“ Man hört, sieht und streamt sich im Netz.

Dieser Artikel erschien zuerst auf The European.


Image (adapted) „Former Intel CEO Gordon Moore in his cubicle“ by Intel Free Press (CC BY-SA 2.0)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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