Protest in unserer Gesellschaft: Wo Social Media versagt

Proteste via Social Media verkommen immer mehr zum Störgeräusch statt wirkliche Veränderungen hervorzurufen. // von Imaani El-Burki

Black Lives Matter (Bild: The All-Nite Images [CC BY-SA 2.0], via Flickr)

Die öffentliche Reaktion auf die Morde an Michael Brown und Eric Garner haben diverse Vergleiche mit den Bürgerrechtsbewegungen der 1960er hervorgerufen. Es gibt aber eine Menge Unterschiede zwischen den Ereignissen vor rund 50 Jahren und heute – einer der wichtigsten ist hierbei das Vorhandensein des Internets.

Das Internet wird oft als ein Werkzeug zur Mobilisierung dargestellt. So zeigte beispielsweise die Wahlkampagne für Barack Obama im Jahr 2008, dass hier eine handlungsfähige Graswurzelorganisation entstanden ist. Trotzdem möchte ich den wahren Einfluss des Internet auf die soziale Mobilisation in Frage stellen.

In meinen Forschungen untersuche ich die Beziehungen zwischen verschiedenen traditionellen und neuen Medien (inklusive Zeitungen, Fernsehen, Filme und eben das Internet) und der Gesellschaft. Ich konzentriere mich hierbei darauf, wie die Medien menschliche Interaktion, kollektives Denken und den Umgang innerhalb der Gesellschaft formen und umgestalten.

Ich würde behaupten, dass zur selben Zeit, als das Internet die Entwicklung einer Netzwerk-Gesellschaft erleichterte, es gleichzeitig auch die Rolle von zentralisierten, organisierten Protesten als effektive Waffe für einen sozialen Umbruch geschmälert hat – eine Rolle, die die Bürgerrechtsbewegungen der 1960er noch wirksam ausgefüllt hatten.

Stattdessen hat das Internet Kanäle für Nischeninteressen und Ausgrenzung bereitgestellt, also Resonanzkörper, in denen die Nutzer mit ähnlichen und selbstbewahrheitenden Perspektiven beschossen werden.

Das Internet zerstreut den politischen Einfluss des Aktivismus

Untersuchungen zeigen, dass das Internet uns ermöglicht, unsere eigene zugeschnittene Medienwelt zusammenzustellen, in der andersdenkende Sichtweisen und Perspektiven nicht berücksichtigt oder schlichtweg vermieden werden. Durch die Art, wie Social Media funktioniert, gibt es die Möglichkeit, einen „uses and gratifications“- Ansatz beim Medienkonsum zu erleben – ein Ansatz, in dem bereits vorgeformte Glaubenssätze und Einvernehmen bestätigt werden – und diese zu verstärken.

Das Internet ist die moderne Antwort auf das menschliche Bedürfnis, sich sozial eingebunden fühlen zu können. Und dennoch ist es möglich, dass das Internet die Fähigkeit zum gesellschaftlichen Protest, aus dem gesellschaftliche Bewegungen entehen könnten, ersetzt hat.

Einen Button anzuklicken, ein Bild zu teilen oder ein Posting zu schreiben, zerstreut diesen polischen Einfluss der sozialen Beteiligung. Was eventuell eine Bewegung in der Gesellschaft hätte werden können, wird nun dezentralisiert. Und während die Proteste auf der Straße stattfanden und von den Medien eingefangen wurden, um die Massen zu mobilisieren, wie es auf dem Tahrir-Platz in Ägypten und an anderen Orten im Mittleren Osten der Fall war, könnte man dem entgegenhalten, dass im Falle der Demonstrationen unter dem Motto #BlackLivesMatters diese eher zum Medienspektakel verkamen anstatt wirklich einen sozialen Umbruch hervorzurufen.

Ohne Frage stellen die sozialen Medien ein Werkzeug dar, um Botschaften zu verbreiten, aber wenn die Botschaft nur noch kurzzeitige Raserei hervorruft, was hat das ganze dann gebracht?

Diejenigen mit der Macht zur Veränderung brauchen nicht zu antworten

Wie schon an anderer Stelle diskutiert wurde, haben die neuen Medien das Wesen der Berichterstattung und den Zugang zu Informationen verändert. Man verspürt neuerdings einen Druck, ständig brandaktuelle Stories und einen kontinuierlichen Informationsfluss liefern zu müssen. Wir werden mit Informationen geradezu bombardiert, und sind daher unfähig, eine gewisse Zeitspanne auf jede einzelne Meldung zu verwenden und diese zu verarbeiten.

Öffentliche Proteste und Mobilisierungsbestrebungen können daher im kontinuierlichen Nachrichtenfluss verloren gehen. Das Problem ist nicht, dass die Politiker die sozialen Probleme ignorieren, sondern dass es einen Unterschied gibt zwischen der Anerkennung dieser Probleme und einer letztendlichen Umgestaltung der öffentlichen Ordnung.

Beispielsweise haben der US-Präsident Barack Obama und die politischen Eliten bis zu einem gewissen Punkt die Proteste der #BlackLivesMatter-Bewegung anerkannt, aber bisher noch nicht in einer Weise, dass es hier zu einem effektiven politischen Umbruch gekommen wäre.

Meine Ansicht zu den jetzigen Protesten sind zum Teil durch ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler und Medienwissenschaftler Professor Robert Entman von der George-Washington-Universität beeinflusst. Während eines Mittagessens diskutierten wir die öffentlichen Reaktionen auf die Morde an den unbewaffneten, dunkelhäutigen Männern Michael Brown und Eric Garner durch die weißen Polizeibeamten Darren Wilson und Daniel Pantaleo.

Unser Gespräch begann ich recht enthusiastisch und sprach über die Enthüllungen, die die Medien, und hier speziell die neuen Medien, rund um die Tragödien ans Licht gebracht haben. Meine Sichtweise war, dass dies an eine Zeit erinnerte, in der die Menschen noch bereit waren, gemeinsam zu protestieren, zu boykottieren und unter Umständen sogar für den gesellschaftlichen Umbruch zu sterben.

Dr. Entman schüttelte nur den Kopf. Dies entsprach nicht dem Geist der Bürgerrechtsbewegung, den er in Erinnerung hatte. Er führte seine Argumentation mit einer Geschichte aus.

Die Wirksamkeit der Zusammenarbeit vor Ort

Als Studienanfänger engagierte sich Dr. Entman in den 1960ern in einer Bewegung, die gegen ungleiche Bezahlung an der Duke-Universität protestierte. Mitglieder der größtenteils weißen Studentenschaft und der größtenteils schwarzen Angestellten, die die Gebäude des Campus an der Duke-Universität instand hielten, also Hausmeister, Pförtner und Platzwarte, arbeiteten zusammen und forderten Mindestlohn für die Angestellten, eine Richtlinie, die die Duke-Universität als gemeinnützige Einrichtung bisher strategisch vermieden hatte.

Um die Position der Verwaltung der Duke-Universität zu verstehen und darauf reagieren zu können, brauchte man eine Zusammenarbeit vieler: Die Arbeitskräfte, die driekt von diesen Regelungen betroffen waren, Mitglieder der Studentenschaft, die von dieser Regelung profitierten und ihre eigenen Vorteile abzuschaffen drohten, und schließlich diejenigen, die sich mit den erfolgreichen Strategien der Bürgerrechtsbewegung auseinandergesetzt hatten. Die Verwaltung der Duke-Universität lieh ihnen nur wegen dieser Zusammenarbeit ihr Ohr.

Wer wird andere durch diesen Prozess in Zeiten der sozialen Medien anführen? Um die Probleme von heute anzusprechen, braucht man eine gesellschaftliche Bewegung, die von Gelehrten, Politikern, Geistlichen und Aktivisten angeführt werden kann, die zudem eine gut formulierte und präzise definierte Agenda für öffentliche Belange und Gesetzesänderungen entwicklen müsste.

Wenn wir an die momentanen Reaktionen denken, die der übertriebene Einsatz von Gewalt gegenüber Schwarzen und schwarzen Gemeinden nach sich zieht, muss an dieser Stelle gefragt werden: Wer beeinflusst diese Bewegung? Wird hier auf die richtige Seite abgezielt? Und wenn die Botschaft nicht zu einem Umbruch führt, ist das ein Zeichen dafür, dass mehr zentralisierte Anführerschaft notwendig ist?

Das sind alles Fragen, die die Hashtags und Tweets der sozialen Medien nicht beantworten können – egal wie gut gemeint und „demokratisch“ sie sein mögen. Ich kann mich an keinen größeren und anhaltenden gesellschaftlichen Protest in den USA erinnern, der von Aktivisten der neuen Medien geschaffen worden wäre.

Es ist kein Aufwand für die Einflussreichen, ihrerseits dem Handlungsbedarf nachzukommen, denn niemand kann direkt dafür verantwortlich gemacht werden und niemand, der gerade an der Macht ist, kann gezwungen werden, einen Umbruch herbeizuführen. Stattdessen werden die Online-Meldungen einfach nur ein Teil des ewigen Gelabers, das inzwischen das Internet charakterisiert. Aber der Schlüssel zu jedem wirkungsvollen politischen Umbruch basiert auf den Entscheidungen der politischen und sozialen Eliten.

Was wäre gewesen, wenn im Jahr 1968 nur die weißen Studenten der Duke-Universität entschieden hätten, dass die Angestellten nicht mehr unterbezahlt werden dürften? Hätte die Verwaltung der Universität die Regelungen geändert, oder brauchte man für eine wirkliche Veränderung nicht doch gemeinschaftliche Handlungen und Verhandlungen, die von Angesicht zu Angesicht stattfinden und gezielt an die Mächtigen gerichtet sein mussten?

Wenn wir heute unsere Ansichten online veröffentlichen und unsere Blickwinkel via Social Media teilen, müssen wir uns die selbe Frage stellen.

Zuerst erschienen auf theconversation.com unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung von Anne Jerratsch.


Teaser & Image by The All-Nite Images (CC BY-SA 2.0)


ist Medienwissenschaftlerin und erforscht, wie Medien verschiedene gesellschaftliche Gruppen visuell, textlich und sprachlich darstellen. Außerdem untersucht sie die Beziehung zwischen Mediendarstellung, Mediengestaltung, individuelle und kollektive Identität, Sozialpolitik und bestehende soziale Hierarchien.


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