Frühaufsteher oder Nachteule – wer ist produktiver?

Morgenstund‘ hat Gold im Mund, heisst es in einem altbekannten Sprichwort. Doch ist das wirklich so? Sind die Menschen, die früher aufstehen, tatsächlich produktiver? Wer sich mal die Bekenntnisse erfolgreicher Manager und Führungspersönlichkeiten anschaut, wird hier fast ausschließlich Lerchen finden, also Typen, die jeden Tag um 5 Uhr morgens aus dem Bett hüpfen, um noch vor der Arbeit Sport zu machen oder einem sonstigen Hobby nachzugehen. So sagt zum Beispiel Apple Manager Tim Cook, dass er jeden Tag um 4:30 Uhr aufsteht, um als erste Tat des Tages ins Fitnessstudio zu gehen und Angela Merkel steht angeblich um 6:00 Uhr auf, um ihrem Partner das Frühstück zu machen. Es scheint auf den ersten Blick logisch, dass Führungspersönlichkeiten ihren Tag vor allen anderen beginnen. Denn wer früh aufsteht, ist damit allen anderen ein Stück voraus und hat schon direkt von Tagesbeginn an die Nase vorn. Ist also das frühe Aufstehen ein Erfolgsrezept?

Studien zeigen: Frühaufsteher sind glücklicher, aber Nachteulen sind intelligenter

Ganz so einfach ist die Sache nicht. Denn etliche wissenschaftliche Studien zu diesem Thema konnten bisher noch keine eindeutige Antwort liefern auf die Frage, ob Frühaufsteher oder Nachteulen im Vorteil sind. So hat beispielsweise Biologieprofessor Christoph Randler von der Universität Heidelberg in einer Studie unter mehr als 300 Studenten herausgefunden, dass Frühaufsteher glücklicher sind als Langschläfer. In einem Interview mit der Harvard Business Review erklärt er seine Ergebnisse:

Beim Erfolg im Beruf haben Morgenpersönlichkeiten ganz klar die Nase vorn. Meine vorigen Studien haben gezeigt, dass Morgentypen dazu tendieren, bessere Noten in der Schule zu bekommen, was sie wiederum in bessere Universitäten bringt, was dann zu besseren Jobmöglichkeiten führt. Frühaufsteher neigen ebenfalls dazu, Probleme voraussehen und verringern zu wollen. Sie sind proaktiv. Viele Studien haben eine Verbindung zwischen Proaktivität und bessere Jobperformance, mehr Erfolg im Beruf und höheren Löhnen aufgezeigt.

Randler gibt aber auch zu bedenken, dass Frühaufsteher möglicherweise deshalb glücklicher sind, weil unser aktuelles Gesellschafts- und Arbeitsmodell für sie ausgelegt ist. Der klassische Arbeitstag von 8 Uhr morgens bis 5 Uhr nachmittags begünstigt die Menschen, die gerne früh aufstehen. Hinzu kommt, dass das lange Schlafen gesellschaftlich negativ belastet ist. Wer bis Mittags schläft, wird als Faulpelz bezeichnet. Dabei zeigen Studien, dass es zwei Typen von Menschen zu geben scheint: Solche, die mit den ersten Sonnenstrahlen produktiv werden und andere, die erst im Morgengrauen ins Bett gehen. Beides ergibt evolutionsbiologisch gesehen Sinn. Denn während in der Zeit der Jäger und Sammler die Frühaufsteher sich zeitig auf Nahrungssuche machten, konnten die Nachteulen sicherstellen, dass die Gruppe in der Nacht vor Angriffen geschützt war. Doch mit der agrarischen sowie der industriellen Revolution ist der zweite Typ nach und nach in Verruf geraten. Zu Unrecht, wie viele Wissenschaftler finden. Denn Nachteulen sind demnach im Vergleich zu den Lerchen schlagfertiger, intelligenter und haben ein besseres Gedächtnis. So hat Dr. Philippe Peigneux von der Universität Liege in Belgien mithilfe von Gehirnscans nachgewisesen, dass Nachttypen am Abend schneller arbeiten und weniger schläfrig sind als Morgentypen. Berühmte Nachteulen sind beispielsweise Charles Darwin, Winston Churchill sowie Adolf Hitler, die selten vor 4 Uhr morgens ins Bett gingen. So überrascht es vielleicht auch nicht, dass Untersuchungen zeigen, dass Nachteulen eher zur „dunklen Triade“ aus Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie neigen als Frühaufsteher. Wenn man sich überlegt, dass antisoziales Verhalten im Dunkeln eher verborgen bleibt, scheint das diese Verhaltensmuster gut zu erklären.

Kreative Arbeitsmodelle, um volles Potential auszuschöpfen

Ob wir Frühaufsteher oder Nachteulen sind, scheint genetisch bedingt zu sein. Um herauszufinden, zu welcher Sorte man selbst gehört, kann es helfen, ein Energietagebuch zu führen, in dem man genau notiert, wann der persönliche Energielevel am höchsten ist. Doch was hilft es, wenn wir herausfinden, dass wir Nachteulen sind, unser Job uns aber jeden Morgen dazu zwingt, um 7:00 Uhr das Haus zu verlassen? Mit der aktuellen Arbeitsaufteilung haben die meisten von uns keine Wahl im Berufsleben. Wenn wir die Hälfte der Bevölkerung dazu zwingen, entgegen ihrer inneren Uhr zu arbeiten, geht damit gleichzeitig sehr viel kreatives und produktives Potential verloren. Zwar kann frühes Aufstehen auch gelernt werden und mit bestimmten Tricks wie dem, den Wecker gute 15 Minuten früher zu stellen oder am Abend den nächsten Tag vorzubereiten, erleichtert werden, doch eine Nachteule kann wohl nie gänzlich in eine Lerche verwandelt werden. Hier sind kreative Arbeitsmodelle gefragt, die es beiden Aufsteh-Typen ermöglichen, ihr volles Potential auszuschöpfen. Erfindungen wie Jobsharing oder die Tatsache, dass immer mehr Arbeitnehmer der Generation Y freiberuflich arbeiten, sind möglicherweise ein Hinweis darauf, dass unsere Gesellschaft erkennt, dass nicht nur der frühe Vogel den Wurm fängt, sondern auch die zweite Maus den Käse kriegt.


Image (adapted) „late night“ by Mike McCune (CC BY 2.0)


begann ihren journalistischen Werdegang bei kleinen Lokalzeitungen und arbeitete dann während ihres Studiums als Reporterin für den Universitätsradiosender. Ihr Volontariat machte sie bei Radio Jade in Wilhelmshaven. Seit 2010 hat sie ihren Rucksack gepackt und bereist seitdem rastlos die Welt – und berichtet als freie Journalistin darüber. Über alle „inoffiziellen“ Geschichten schreibt sie in ihrem eigenen Blog fest. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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