Zwischen Geschäftsmodell und Selbstverwirklichung: Der DIY-Trend im Internet

DIY steht für „do it yourself“ und bedeutet so viel wie: Mach es einfach selbst! Während viele vermuten mögen, dass selber kochen, basteln, werkeln und nähen eher ein Thema unter Baumarktfans und Hausfrauen ist, hat der DIY-Trend weltweit im Netz sehr viele Fans. So viele, dass vor allem internetgewandte Millennials die DIY-Produkte als Online-Geschäftsmodell erkannt haben – und damit zum Teil fünfstellige Summen im Monat einfahren. Was steckt hinter diesem Trend?

Nähen, Stricken, Häkeln. Wer glaubt, dass diese Themen vor allem in der Generation 50+ oder unter Hippies diskutiert werden, der irrt. Kleidung selber machen ist ein riesiger Trend – gerade unter Millennials. Die Initiative Handarbeit schätzt den Gesamtmarkt für Handarbeitsbedarf in Deutschland für das Jahr 2016 auf rund 1,25 Milliarden Euro.

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Marktsegment Handarbeit. Image by Initiative Handarbeit

Von Onlinemarktplätzen und Nähstars

Die hohen Verkaufszahlen von Onlinemarktplätzen für Selbstgemachtes wie Etsy oder DaWanda belegen, wie sehr diese Produkte gerade über das Internet vermittelt und verkauft werden. Das US-Unternehmen Etsy sprach von einem Anstieg von 19,5 Prozent der aktiven Verkäufer im letzten Geschäftsquartal im Jahr 2015 – und einem gleichzeitigen Anstieg von 25 Prozent von aktiven Käufern auf dem Portal. Dann gibt es noch DaWanda. Das Portal wird von vielen als die deutsche Version von Etsy angesehen. DaWanda wurde 2006 gegründet und verzeichnet nach Angaben des Unternehmens aktuell 7,3 Millionen Mitglieder und 360.000 registrierte Händler, die insgesamt 6 Millionen handgemachte Produkte anbieten. Angeblich kommen jeden Tag 15.000 neue Produkte hinzu. DaWanda behauptet außerdem, dass auf der Webseite jede Minute eine Tasche, alle 30 Sekunden ein Baby- oder Kinderprodukt und alle 20 Sekunden ein Schmuckstück verkauft wird.

Selbstgemachtes ist also nicht nur ein Trend, es ist ein Verkaufsschlager. Längst findet der Verkauf von selbstgemachten Produkten aber nicht mehr nur auf Online-Plattformen wie Etsy und DaWanda statt, sondern auch über Eigenvermarktung per Blog, Social Media oder der eigenen Webseite. Gerade Millennials verstehen hier sehr gut, wie sie die DIY-Produkte in Eigenregie für Internetnutzer vermarkten und verkaufen können.

Zu ihnen zählt auch Ricarda Masuhr. Sie ist eine der bekanntesten und erfolgreichsten DIY-Näherinnen Deutschlands. Die Hamburgerin fährt über ihre Webseite Pech & Schwefel (Untertitel: „Einfach machen“) nach Informationen von Online Marketing Rockstars vor allem über ihre Näh-E-Books fünfstellige Summen im Monat ein. Das Online-Ranking ihrer Seite scheint das zu bestätigen.

Ranking Ricarda Masuhr
Ranking Ricarda Masuhr. Image by Laura Waste

DIY: Viel mehr als nur Nähen und Stricken

Dabei beschränkt sich die Beliebtheit des Selbstgemachten nicht allein auf Handarbeiten im Modebereich. Basteln, Bauen, Backen, Kochen – die DIY-Welle scheint kein Ende zu kennen. Der BHB – Handelsverband Heimwerken, Bauen und Garten e.V. etwa vermeldete für das Geschäftsjahr 2016 einen Gesamtbruttoumsatz von 18,24 Milliarden Euro im Baumarkthandel in Deutschland. Damit stieg der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 1,5 Prozent. Die Tendenz ist dabei laut BHB steigend.

Kein Wunder, dass immer mehr Menschen mit DIY-Produkten Geld verdienen. Vor allem online. Und vor allem die junge Generation im Alter zwischen 15 und 25 Jahren.

DIY als Geschäftsmodell für Millennials im Netz?

Johannes Wobus
Image by Laura Waste via LinkedIn

Der DIY-Trend ist definitiv auch ein lukraktives Geschäftsmodell, bestätigt Marketingexpertin und Content-Marketing-Beraterin Laura Waste im Gespräch mit den Netzpiloten. Gerade die Mischung der Zielgruppen aus einer Generation 50+ und dem neu erwachten Interesse der Millennials an allem Selbstgemachten mache diesen Trend so spannend. „Ich unterscheide zwischen den traditionellen Kunsthandwerk-Fans mit Filzstulpen und selbst gestalteter Brosche und den heutigen Hipstern mit Paletten-Möbeln und Chunky-Knit-Riesendecke. Die Erstgenannten waren schon immer da und werden auch weiter bleiben. Diese Gruppe freut sich maximal über die Möglichkeiten der neuen Medien. Die anderen wiederum werden gerade zu einer gigantischen Zielgruppe und sind die eigentlichen Träger des Trends. Diese Kombination macht das Thema gerade zum Megatrend.

Vor allem, da die Digital Natives es verstehen, die Arbeit aus der eigenen Hand geschickt im Netz zu präsentieren und zu vermarkten. Gerade Social-Media-Plattformen wie Pinterest und Instagram, aber auch YouTube sind die Kanäle, auf denen der DIY-Trend aktuell besonders boomt.

Doch das sei nur der Anfang, glaubt Waste: „Amazon startet gerade ein weltweites Rollout von Amazon Handmade – eine Plattform für Selbstgemachtes. Das lässt erahnen, welches Potential der DIY-Trend noch für uns parat hält.“

Der seltsame Erfolg des DIY-Slime im Netz

Wie groß dieses Potential tatsächlich ist, kann man jetzt schon an einigen sehr merkwürdigen Auswüchsen dieses Trends erkennen. Schleim. Beziehungsweise „Slime“. Diese glibberige Masse in Neonfarben war unter Kindern bereits in den 70er und dann nochmals in den 90er Jahren beliebt. Ein Trend, der jeweils nur kurze Zeit anhielt und dann wieder verschwand. Bis ihn jetzt Millennials wieder ausgegraben haben – in Form von DIY-Slime.

Der Trend kommt ursprünglich aus Thailand, es sind aber vor allem Jugendliche aus den USA, die mit dem Verkauf von selbstgemachtem Slime, in einigen Fällen sogar Tausende von Dollar im Monat verdienen. Der Verkauf findet auf Online-Marktplätzen wie Etsy, die Vermarktung vorwiegend auf Instagram statt. Aktuell lassen sich auf Instagram unter dem Hashtag #slime über 3 Millionen Posts finden, die sich überwiegend mit dem DIY-Slime befassen.

Auch in Deutschland wird dieser Trend von YouTube-Stars wie Bianca Heinicke aufgegriffen. Auf YouTube ist Heinicke unter dem Kanal „BibisBeautyPalace“ aktiv. Hier zeigt sie ihren Fans beispielsweise, wie man einen „Galaxy Slime“ selbst zubereiten kann.

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Für viele Experten ist es sehr spannend zu sehen, wie einzelne Nutzer mit DIY-Produkten oder Anleitungen genau so viel – oder sogar noch mehr – verdienen wie etablierte Unternehmen. Wenn früher Konzerne wie Burda die Handarbeitswelt dominiert hat, sind es heute Millennials wie Ricarda Masuhr oder Bianca Heinicke, erklärt Laura Waste. „Online kann es zurzeit jeder mit den angestammten Medien-Goliaths wie Burda aufnehmen. Klassische Medienhäuser haben vor zehn Jahren verschlafen, ein gutes Bezahlmodell zu entwickeln, um ihre Inhalte auch online anzubieten. Vor allem Nischen lassen sich jetzt von kleinen Davids monetarisieren – mit E-Books, Abos und anderen Formaten.

Das liegt vor allem daran, dass die DIY-Entrepreneure besser und aktiver mit ihrer Zielgruppe kommunizieren, vermutet Waste. „Besonders spannend finde ich daher, dass zurzeit dieses Community-Building richtig Fahrt aufnimmt und mittlerweile im Mainstream angekommen ist. Wo früher nur Nerds in Foren unterwegs waren, tauschen sich jetzt auch DIY-Queens in Facebook-Gruppen aus und verlieren in einem halbwegs geschlossenen Kreis die Scheu, selbst Inhalte zu posten.

Gesellschaftskritik oder purer Individualismus?

Johannes Wobus
Image by Johannes Wobus

Die Beliebtheit der DIY-Produkte im Netz hat aber sicher nicht nur damit zu tun, dass Millennials diese besonders gut online vermarkten und präsentieren können. Es ist vielmehr ein Mix aus gesellschaftlichen und generationsbedingten Phänomenen, die im DIY-Trend im Netz zusammenkommen. „Hinter dem DIY-Trend steckt meiner Meinung nach auch der Wunsch nach Individualität und Authentizität“ , sagt Johannes Wobus, Geschäftsführer und Mitgründer der Onlinemarketingagentur Wobus & Lehmann GbR im Netzpiloten-Interview. Wobus beobachtet den DIY-Trend seit einiger Zeit und glaubt, dass vor allem Fotoplattformen wie Pinterest für eine große Wiederbelebung gesorgt haben.

Die Initiative Handarbeit hat wiederum drei Haupttrends ausgemacht: Individualisierung und Differenzierung, Post-Materialismus und Freizeitorientierung sowie Authentizität und Nachhaltigkeit. Geht es also doch um mehr als um das Herausstechen aus der Masse durch einen selbstgestrickten Pulli oder die selbstgewerkelte Küche?

Möglicherweise haben Einkaufspaläste wie H&M, Zara oder Mango für die individualistischen Millennials ausgedient. Viele mögen auch vom Überangebot an Waren schlichtweg überfordert sein, sodass sie sich lieber auf einfache, beinahe häusliche Werte besinnen. Für andere mag wiederum die Arbeit mit der Hand einfach ein schönes Hobby sein – und eine willkommene Abwechslung zum dauerhaften Starren auf den Bildschirm.

Sicherlich spielt auch der Kostenfaktor eine Rolle. Wer kann sich schließlich im Alter von 20 Jahren ein Designerkleid von Yves Saint Laurent kaufen? Vermutlich sehr wenige. Das Nähmuster für das gleiche Kleid im Preis von 20 Euro ist dagegen erschwinglich.

Darüber hinaus macht sich die junge Generation vermehrt Gedanken über Themen wie Umwelt und Nachhaltigkeit. Das zeigt sich am Nutzen von Angeboten wie Carsharing, dem bewussten Verzicht auf Autos – und eben auch im Erstellen und Kauf von DIY-Produkten im Netz. Eine ausgeprägte Konsum- und Gesellschaftskritik wie unter den Do-It-Yourselfern der 60er und 70er Jahre sieht Laura Waste dennoch nicht. Sie glaubt vielmehr, dass auch hinter der DIY-Welle letztlich der Traum der Selbstverwirklichung der jungen Generation steckt: „Früher steckte mehr dahinter: Kritik an der Konsumgesellschaft, Abkehr von der Industrie und den Massenmedien. Heute ist das Selbermachen ein Hobby. Es dient der Selbstverwirklichung, wie Meditation oder andere Trend-Hobbys.


Image (adapted) „Nähen“ by ranii (CC0 Public Domain)


begann ihren journalistischen Werdegang bei kleinen Lokalzeitungen und arbeitete dann während ihres Studiums als Reporterin für den Universitätsradiosender. Ihr Volontariat machte sie bei Radio Jade in Wilhelmshaven. Seit 2010 hat sie ihren Rucksack gepackt und bereist seitdem rastlos die Welt – und berichtet als freie Journalistin darüber. Über alle „inoffiziellen“ Geschichten schreibt sie in ihrem eigenen Blog fest. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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