Capsule.fm: Fast wie im Film Her und doch ganz anders

Capsule.fm ist eine Wecker-App, die einem die Nachrichten, das Wetter und andere Inhalte aus dem Netz vorliest und dabei doch so viel mehr ist. // von Daniel Kuhn

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Die erste Assoziation nachdem ich über Capsule.fm gelesen habe, war der Film ‚Her‘ von Spike Jonze, indem sich der Hauptdarsteller in ein Betriebssystem verliebt. Dass das Smartphone eine Persönlichkeit besitzt und sich mit dem Nutzer unterhält, legt diesen Vergleich einfach nahe. Dabei verfolgt Capsule.fm trotz einiger Ähnlichkeiten ein ganz anderes Ziel, als die in dem Film gezeigte Vision, wie uns Firmengründer Espen Systad in einem Gespräch verraten hat.

Miranda ist nicht Samantha und wird es niemals sein

Ob ich eigentlich kein iPhone habe, fragt Espen Systad gleich zu Beginn unseres Treffens in einem Café in Berlin-Neukölln. Als ich diese Frage verneine und mein Nexus 5 aus der Hosentasche fische, stellt er etwas verdutzt fest, dass ich Capsule.fm dann ja noch gar nicht ausprobiert habe. Das stimmt leider, denn bisher ist die Anwendung nur für iOS erhältlich, doch dazu später mehr. Es folgt eine längere Demonstration, in der die weibliche Computerstimme, die auf den Namen Miranda hört, mich mehrfach auffordert endlich aufzustehen, mir die Nachrichten vorliest, verrät wie das Wetter wird und mich mit einem Scherz versucht aus dem Bett zu locken, in dem ich ja gar nicht liege. Da wird dann auch schon der erste große Unterschied zu dem im Film ‚Her‘ gezeigten Betriebssystem Samantha deutlich. Die Capsule.fm-Stimme besitzt zwar eine eigene Persönlichkeit, aber weit weniger künstliche Intelligenz – aber das ist auch gar nicht das Ziel, wie Systad verrät.

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Capsule.fm soll nicht die künstliche Intelligenz erhalten um sich mit dem Nutzer unterhalten zu können. KI ist nur ein kleiner Teil der App, Kontext ebenso wie ein persönliches Audio-Erlebnis – aber auch mit Apps wie Google Now oder Siri will man sich nicht in eine Schublade stecken lassen. Capsule.fm will kein persönlicher Assistent sein, sondern vielmehr ein personalisiertes Radio. Auch wenn eine Interaktion wie im Film ‚Her‘ nicht geplant ist, wird sie auch nicht kategorisch ausgeschlossen – es ist durchaus denkbar, dass man in der Zukunft interessante Inhalte oder E-Mails, die man später beantworten möchte, per Sprachbefehl bookmarken kann. Zudem soll die App lernen, wenn ein Nutzer bestimmte Inhalte regelmäßig skippt und diese dann entsprechend seltener einblenden.

Babyschritte

Die Entwicklung an Capsule.fm hat bereits vor über zwei Jahren begonnen. Die Idee hatte Systad, nachdem er sein zweites Startup in Norwegen verkauft hat – an eine Medienfirma, die mit News-Production beschäftigt ist. Für dieses Unternehmen musste er damals im Rahmen der Übernahme zwei Jahre arbeiten und während der Zeit ist ihm der Gedanke „Audio will be the next screen“ gekommen, der dann, als er nachdem er den Job gekündigt hatte, in Berlin mit seinen beiden Mitgründern in Capsule.fm umwandelte. Innerhalb von zwei Jahren wurde dann die App entworfen und entwickelt.

Dabei fiel es nicht leicht, die ganzen Ideen gleich zu Anfang umzusetzen und deshalb entschied man sich, zunächst die einfachste mögliche Form herauszubringen, eine Wecker-App. Capsule.fm soll aber eigentlich keine Wecker-App sein, sondern uns dabei helfen Inhalte aus dem Netz immer dann zu konsumieren, wenn wir gerade nicht auf das Display unseres Smartphones gucken können. Deshalb wird sie kontinuierlich um weitere Funktionen erweitert, bis das Ziel des personalisierten Radios erreicht ist. Neben verschiedenen Nachrichten-Feeds, dem Wetter und einigen Entertainment- und Trivia-Beiträgen kann Capsule.fm auch ein paar selektierte Twitter-Feeds und bald auch Facebook-Beiträge und -Benachrichtigungen vorlesen. Weiter ist geplant, neben der lokalen Musik auch Streaming-Dienste zu integrieren und auch E-Mails und E-Books sind mögliche Erweiterungen für die Zukunft. Auch wenn es einen Plan gibt, wohin die Reise führen soll, ist so viel Technologie involviert, dass die drei Entwickler sehr viel herumexperimentieren und dadurch auch viel Neues lernen.

Für alle Plattformen geeignet

Capsule.fm ist seit einigen Monaten im Apple Appstore erhältlich und erfreut sich durchaus großer Beliebtheit – in Norwegen, der Schweiz und Singapur befindet man sich auf Platz der News-Apps. Warum Singapur? Das ist auch Espen schleierhaft. Per E-Mail hat er mich zudem gerade noch darauf hingewiesen, dass auch in Deutschland nun der erste Platz unter den News-Apps erreicht wurde und das, obwohl Capsule.fm noch gar keine deutsche Sprachausgabe besitzt.

Trotz des Erfolgs der iOS-App will sich Espen nicht auf ein mögliches Erscheinungsdatum der Android-Version festlegen. Durch ein bisschen nachbohren lässt er sich zumindest zu einem zaghaften „Wir versuchen den Herbst anzuvisieren“ hinreißen. Dabei ist die technische Umsetzung einer Android-App gar nicht das Problem, da der Großteil der Künstlichen Intelligenz über das Backend abgewickelt wird. Der Arbeitsaufwand, um Capsule.fm für eine neue Plattform umzusetzen, ist sehr gering. Man habe sich trotzdem zunächst nur für iOS entscheiden, da man die Plattform kennt. Außerdem experimentiert man zurzeit noch mit so vielen Funktionen herum, dass es angenehm ist, sich nur auf eine Plattform konzentrieren zu müssen. Sobald diese Phase abgeschlossen ist, wird Capsule.fm neben Android nach und nach auch noch für andere Plattformen herausgebracht. Denkbar ist alles von der Smartwatch zum Auto. Gerade die Wearable Devices wie Smartwatches oder Google Glass sind laut Systad für eine App wie Capsule.fm geradezu prädestiniert. Momentan suchen die Entwickler übrigens noch nach Beta-Testern für die iOS-App. Wer Interesse hat und ein gesteigertes Technikverständis mitbringt, braucht sich nur über Twitter oder Facebook mit ihnen in Verbindung zu setzen.

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The Early Edition I by Capsule.fm I Waking up in Melbourne from Capsule.fm on Vimeo.

Sprich zu mir

Premiuminhalte wären nach Ansicht Systads ein möglicher Weg, mit der App Geld zu verdienen – gesponsorte Beiträge lehnt er dagegen ab, da der Nutzer sonst nicht mehr nur konsumiert, was er will – man will schließlich nicht enden wie einst AOL. Das Geld soll zum einen durch den App-Kaufpreis (derzeit 1,79 Euro) verdient werden, zum anderen wäre das Freischalten von Zusatzfunktionen über In-App-Käufe auch denkbar.

Derzeit bietet Capsule.fm noch ein recht überschaubares Content-Angebot. Dies beschränkt sich momentan noch auf norwegische und englische Inhalte, da dies die beiden einzigen unterstützen Sprachen sind. Als nächstes soll Deutsch nachgerüstet werden und auch entsprechender Content verfügbar sein. Zudem soll der Nutzer auch eigene RSS- und Facebook-Feeds hinzufügen können.

Die Ausweitung auf weitere Sprachen ist laut Systad recht aufwändig, da man erst aus mehreren Text-to-Speech-Engines die am besten geeignete aussuchen muss. Diese wird dann zudem noch massiv angepasst. Der leicht künstliche Klangcharakter von Miranda wurde übrigens bewusst beibehalten, da eine natürlichere Stimme gerade durch den höheren Intimitätslevel noch zu verschreckend für die meisten Nutzer wäre. Gerade als mir Espen noch etwas auf seinem iPhone vorführen will, unterbricht ihn Miranda mit der witzigen Aufforderung „Come on, don’t be shy, dance for us„, während der nächste Track anfängt und erinnert plötzlich doch wieder sehr stark an Samantha aus dem Film ‚Her‘.


Teaser & Image by Capsule.fm


ist Wahl-Berliner mit Leib und Seele und arbeitet von dort aus seit 2010 als Tech-Redakteur. Anfangs noch vollkommen Googles Android OS verfallen, geht der Quereinsteiger und notorische Autodidakt immer stärker den Fragen nach, was wir mit den schicken Mobile-Geräten warum anstellen und wie sicher unsere Daten eigentlich sind. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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