Woran lässt sich Erfolg im Journalismus messen?

Reine Zugriffszahlen sagen wenig über den tatsächlichen Erfolg im Journalismus aus. Die New York Times, Upworthy und Medium versuchen, aussagekräftigere Indikatoren zu entwickeln. Die Rechnung ist schnell gemacht: Klicks sind Geld. Die Folgen davon kann man auf vielen Webseiten sehen: Absurd lange Bildstrecken, reißerische Überschriften, Artikel, die in mehrere Stücke zerlegt werden und Leser zwingen, einmal mehr zu klicken, um den gesamten Text zu sehen. Für Online-Medien, deren Geschäftsmodell auf Werbung basiert, sind Zugriffszahlen oft das einzige Zeichen für den Erfolg eines Textes. Damit siegt Quantität über Qualität. Warum werden sie trotzdem verwendet?

Wir benutzen sie größtenteils, weil sie da und einfach zu handhaben sind – obwohl wir alle wissen, dass sie schlecht sind, um Einfluss zu messen„, schreibt Aron Pilhofer, der bei der New York Times für die digitale Strategie zuständig ist. Doch es regt sich Widerstand: Vermehrt entwickeln Redaktionen Indikatoren, die neben Zugriffszahlen Aspekte aufgreifen, die eine breitere Definition des Erfolgs von Content erlauben.

Solche neuen Metriken zu finden, ist ein sehr ehrgeiziges Vorhaben, schließlich lassen sich abstrakte Begriffe wie Einfluss oder Aufmerksamkeit kaum quantitativ messen. Eine allgemeingültige Neudefinition kann nicht funktionieren, um das zu messen, was auf Englisch „engagement“ oder „impact“ genannt wird. Zu unterschiedlich sind die Ansprüche, Ansätze und Ziele: Individuelle Webseiten mit individuellen Zielen erfordern logischerweise individuelle Indikatoren.

Ein Pflaster für die New York Times

Ein Jahr lang hat sich Brian Abelson als Fellow der Knight Mozilla OpenNews Foundation bei der New York Times der Frage gewidmet, wie die Aussagekraft von Page Views durch eine zweite Dimension erhöht werden kann. Der studierte Statistiker gehört zum neuen Typus von Journalisten der News-Nerds. Sie programmieren anstatt zu schreiben, Interviews ersetzen Recherchen in Datenbanken. Seine Aufgabe bei der New York Times hat Aron Pilhofer so beschrieben: „Ein klares Signal im Rauschen der Daten zu finden, das uns sagt, ob unser Journalismus den Einfluss hat, von dem wir glauben, dass er ihn haben sollte.“

Im Sommer veröffentlichte Abelson seinen Ansatz. Er nennt ihn PAR, kurz für „Pageviews above replacement“. Die grundlegene Überlegung ist folgende: Der Erfolg eines Artikels – gemessen in Page Views – hängt nicht nur von Zugriffen ab, sondern auch davon, wie viel Werbung dafür gemacht wurde. Es muss also herausgerechnet werden, wenn Facebook- und Twitter-Accounts der NY Times den Text geteilt haben oder ob er auf der Startseite stand. Der PAR-Indikator stellt die Page Views in Relation zu den getroffenen Werbemaßnahmen. Abelson ist sich der begrenzten Aussagekraft bewusst: „Der PAR-Ansatz ist ein Pflaster.“ Ein Pflaster das helfe, den Aufwand zu messen, den eine Nachrichtenseite aufbringen müsse, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

 

 

Einen anderen Weg wählt Upworthy, eine Plattform für viralen Content. Die Seite hat keine Anzeigenkunden, sondern finanziert sich durch Investoren – die reinen Zugriffszahlen sind daher bei weitem nicht nicht so wichtig. Kein Wunder, dass sich Upworthy für ihre Erfolgsmessung von den Page Views verabschiedet und stattdessen sogenannte „Attention Minutes“ verwendet. Das ist die Zeit, die User aktiv damit verbringen, mit der Webseite zu interagieren. Die Upworthy-Macher messen dabei, wie lange die Videos laufen oder wann die Seite tatsächlich angesehen wird und nicht nur als das 16. geöffnete Tab im Hintergrund schlummert.

 

Upworthy-Artikel haben kaum Text, meist sind es Videos mit einer knackigen Überschrift. Überträgt man den „Attention Minutes“-Indikator auf eine Seite mit vielen Texten, landet man bei Medium. Die Blog-Platform hat sich auf die Fahnen geschrieben, die ideale Seite zu sein, um Texte zu lesen. Nicht überraschend, dass sie ihren entwickelten Indikator “Total Time Reading” nennen, also die gesamte Lesezeit. Gemessen wird dabei, in welchem Zeitraum Leser auf der Seite nach unten scrollen. Diese Zahlen werden ins Verhältnis zu der Zeit gesetzt, die Medium als Lesezeit für einen bestimmten Text ansetzt. Als erstes Ergebnis hat Medium veröffentlicht, dass der optimale Text etwa sieben Minuten lang ist:

Mike Sall von Medium will aber eines festhalten: „Es gibt eine enorme Varianz. Großartige Posts performen gut – unanbhängig von der Länge. Und schlechte Posts werden sicherlich nicht besser, wenn man sie streckt.“

Verhindern neue Indikatoren Manipulation?

Es ist auffällig, dass gerade solche Webseiten, die inhaltlich als digitale Vorreiter gelten, dabei sind, ihre Erfolgsmessung breiter aufzustellen. „Eine einzige Methode kann nie das Gesamtbild erfassen„, sagt Melissa Ranch von der Content Strategy Agentur Brain Traffic. Das Ziel sei es, Unsicherheit zu reduzieren und nicht, die eine exakte Maßzahl zu finden.

Derek Thompson vom Atlantic glaubt hingehen nicht, dass mit den neuen Ansätzen der Anreiz zur Manipulation wegfällt: „Egal, auf welche Metrik wir uns einigen, es wird Gründe geben, an ihnen zu zweifeln, und es wird Redakteure geben, die sie manipulieren.“

Doch wenn Medien unterschiedliche Maßstäbe haben, an denen sie ihren eigenen Erfolg messen, könnte der Anreiz, an diesen Schräubchen zu drehen zumindest vermindert werden. Oder wie Greg Linch von der Washington Post sagt: „Es ist weder leicht noch perfekt oder präzise, aber es verdient Experimente und Aufwand. Es wird sich nicht verbesssern, wenn keiner irgendwo anfängt.“


Image (adapted) “So Many Numbers“ by re_birf (CC BY 2.0)


studiert Volkswirtschaftslehre in Regensburg und will Journalistin werden. Sie beschäftigt sich digitalem Journalismus, insbesondere der technischen Umsetzung. Ihr Blog heißt Schafott. Auf Twitter ist sie mit @cutterkom unter einem weniger martialischen Namen unterwegs. | Kontakt


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