Videokolumne: Über queere Musik, Filmkunst und Edward Said

In der Videokolumne heute: Grenzüberschreitungen in der Popmusik, ein multimedialer Zugang zu einem streitbaren Intellektuellen und das Erzählen von Geschichten.// von Hannes Richter

Kulturen (Bild: Screenshot, via Haus der Kulturen der Welt)

Der palästinensisch-amerikanische Intellektuelle Edward Said war eine kritische Stimme und hat mit seinem Hauptwerk Orientalism unseren heutigen Blick auf nach-koloniale Gesellschaften entscheidend geprägt. Die Materialien eines Symposiums in Berlin gibt es in einer ansprechenden Mulitmedia-Plattform. Die Doku Sex & Music auf arte zeigt, in welcher Ahnenreihe Conchita Wurst stand, als sie sich selbstbewusst zum ESC-Sieg trällerte. Und die neuseeländische Regisseurin Jane Campion und die Macher der Pixar-Animationsfilme haben nicht viel gemeinsam. Aber sie wissen, wie man Geschichten erzählt.


MULTIMEDIA-PROJEKT: A Journey of Ideas Across – In Dialog with Edward Said

Die Themen, Gedanken und Ideen eines der profiliertesten und streitbarsten Intellektuellen des endenden 20. Jahrhunderts in einer multimedialen Form aufzubereiten, die den Kenner nicht langweilt, aber auch für den interessierten Neuling spannende Einblicke liefert, ist kein leichtes Unterfangen. Zwar wurde Edward Said zu Lebzeiten oft eine Simplifizierung des Gegensatzes zwischen Orient und Okzident vorgeworfen, jedoch ist es gerade dieser aktivistische Ansatz seiner Thesen, der ein weites Feld für greifbare Anknüpfungen anderer Intellektueller und Künstler öffnet. Nicht umsonst ist Orientalism (1978) inzwischen ein Standardwerk und quasi der Ausgangspunkt einer neuen Wissenschaft, den Post-Colonial Studies. Unumstritten waren Werk und Autor dabei nie und so reibt sich noch heute auf Konferenzen und in der Fachliteratur die Wissenschaft an Edward Said, der im Jahr 2003 gestorben ist. Eines dieser Symposien hat im letzten Jahr im Haus der Kulturen der Welt in Berlin stattgefunden: „A Journey of Ideas Across: in Dialog With Edward Said“.

Ausgehend von seinen bekanntesten Werken wollten die Veranstalter Ansätzen für gegenwärtige politische Fragestellungen in der Nahost-Region nachgehen und schlossen mit einem interdisziplinären Konzept auch bewusst Kunst und Kultur mit ein. Eine Vielzahl von Beiträgen und über das Symposium hinausgehende Materialien werden nun auf einer multimedialen Plattform angenehm simpel und doch überhaupt nicht platt angeboten. Ein bisschen erinnert die Aufmachung an die berühmten Snowfalls aus New York Times und Zeit, die immer ausgefeilter eine Vielzahl von Medienformen zu einem Thema oder einer Geschichte anbieten. Hier sind es sechs Themenbereiche zu denen sich jeweils ein kleiner Einführungstext öffnet. So ein knapp formulierter aber sehr informativer Fließtext als Ausgangspunkt für etliche Verlinkungen ist mir bisher auch noch nicht untergekommen, funktioniert aber recht gut. Von hier lässt es sich dann komfortabel eintauchen in die Reise in die Gedankenwelt des Edward Said und ihre Bezüge zur Gegenwart. Dabei geht es strikt multimedial zu: Längere Texte, wie diese Kurzgeschichte von Feridun Zamo?lu sind auch als Audiofile verfügbar, eine Abhandlung über Motive aus Saids Büchern in den Filmen Jean-Luc Godards zeigt viele Filmschnipsel von Youtube und eine Art Kurzdoku stellt die Aktivisten der Künstlergruppe Ahl al-Kahf vor, die Zitate von Edward Said an die Wände des nachrevolutionären Tunis kleben. Jeder der sechs Thementexte endet mit einem Link zu einem Text von oder einem Betrag über Edward Said selbst. Darunter findet sich auch ein dreieinhalbstündiges Interview, dass der Autor kurz vor seinem Tod gegeben hat. Im letzten September hatte ich dieses Video schon einmal hier empfohlen, weil es kaum eine bessere und unterhaltsamere Möglichkeit gibt, den umstrittenen Intellektuellen kennenzulernen, als ihm selbst zuzuhören.


GRENZÜBERSCHREITUNGEN: Musikdoku Sex & Music

AUS DER MEDIATHEK – arte +++ Sendungen vom 17. Mai: Langsam, aber nur ganz langsam, legt sich der Staub um den auferstandenen Phoenix wieder: Conchita Wursts Sieg beim ESC am letzten Sonntag, Anlass für so manche Hyperventilation im eigenen Facebook-Feed und in nahezu allen Medien, kann nun in Ruhe analysiert werden, während der Star selbst noch durch die Talkshows getragen wird (hier mit einem zauberhaften Statement bei Graham Norton). So richtig nüchtern betrachten kann man den Vorgang aber wohl nicht, ist doch in der letzten Woche das beste und das schlimmste am losen Wertebündnis Europa, welches (viele vergessen das) mit Menschenrechtskonvention und Europäischen Gerichtshof bis nach Russland reicht, hervorgetreten.

Wie zufällig zeigt arte in der Woche nach dem historischen Sieg einer Bart tragenden Diva eine Dokumentation, die einen anderen, eher historischen Blickwinkel auf Conchita Wurst hinzufügt. In Sex & Music geht es weniger um Sex an sich als um die Bedeutung von Gender und Geschlechtlichkeit in der Popmusik, besonders natürlich die dazugehörigen Grenzüberschreitungen. Der Beginn der Doku gerät ein bisschen beliebig: was ist über Elvis‘ Hüftschwung und Little Richards Lidschatten noch nicht gesagt worden? Je mehr es aber Richtung 80er-Jahre gehen, desto spannender wird es. Das beginnt natürlich mit David Bowie und Culture Club reicht aber weit darüber hinaus bis in die queere Gegenwart hinein. Statements der New Yorker Drag-Perfomerin Joey Arias oder der wandelnden Elektroclash-Provokation Peaches zeigen, dass Popmusik nicht nur Ventil, sondern auch Motor einer gesellschaftlichen Entwicklung sein kann. Dass dann auch noch DJ Westbam etwas spannendes zum Thema beizutragen hat (es geht um die multisexuelle Raverkultur), ist genauso überraschend wie das offene Gespräch mit der Berliner Band Bonaparte. Im Kontext der vorangegangen Geschichtsstunde wird erst deutlich, in welcher langen Tradition die mit Drag spielenden Auftritte von Bonaparte und der lockere Umgang mit Geschlechterrollen stehen und wie vieles davon heute wohl viel schwerer von der Hand ginge, hätte es Bowie & Co. nicht gegeben. Diese kurzweilige Musikdoku ist eine Geschichte über Grenzen, die verschoben werden. Wenn Ikonen wie Cher oder Elton John der Gewinnerin des sonst eher verlachten europäischen Liedwettbewerbs gratulieren und wenn die russischen Anrufer der offensichtlichen Empowerment-Hymne „Rise Like A Phoenix“ beim Televoting immerhin die drittbeste Wertung geben, dann wurde diese Geschichte von Conchita Wurst weiter geschrieben.


KURZFILM VON JANE CAMPION: Orangenschalen

AUS DER MEDIATHEK – arte +++ Sendungen vom 17. Mai: Die neuseeländische Regisseurin Jane Campion ist in diesem Jahr Vorsitzende der Jury des Filmfestivals in Cannes. Die Ernennung ist nur folgerichtig, ist doch Jane Campions Oeuvre eng mit der Croissette verbunden – dort, wo sich zwar die Weltstars die Klinke in die Hand geben und Blockbuster beim Hummer verscherbelt werden, die Filme des Wettbewerbs aber immer eher aus dem klassischen Indie- oder Autorenkino kommen. Und hier ist Campion Platzhirsch, 1993 gewann sie als erste Frau die Goldene Palme für Das Piano. Wenige andere Regisseure oder Regisseurinnen sind in der Lage, solch poetische Filmwelten zu erschaffen und trotzdem nicht zu langweilen, sprich: so schön so ruhige Geschichten zu erzählen. Dabei fängt sie unerbittlich die Abgründe zwischenmenschlicher Beziehungen ein, die oft in eine spannungsgeladene Wechselwirkung mit der Idylle treten. Viel davon ist schon in ihrem ersten Kurzfilm zu sehen, der prompt mit dem Kurzfilmpreis in Cannes ausgezeichnet wurde. Die fragwürdigen Erziehungsmethoden eines Vaters, der seinen Sohn aus dem Autofenster geworfene Orangenschalen vom Straßenrand wieder aufsammeln lässt, stehen im Mittelpunkt des nicht ganz 10-minütigen Films. Erst durch die ebenfalls mitfahrende, ständig nörgelnde Schwester des Mannes kommt eine Spannung in die Szenerie, die bis zum Schluss kaum auszuhalten ist. Zu Beginn scheinbar festgelegte Wertungen des Zuschauers geraten ins Wanken. Ein großartiger kurzer Film, den arte im Rahmen der traditionell ausführlichen Berichterstattung aus Cannes zeigt.
Jane Campion hat übrigens gerade erst ihre erste TV-Serie fertiggestellt. Top of the Lake ist ein unglaublich packender Thriller vor, wie könnte es anders sein, malerischer Kulisse. Die Beschränkungen des Fernsehformats tun der zu oftmals sehr elegischer Erzählweise neigenden Regisseurin gut. Und die Möglichkeit, eine Geschichte in epischen sieben Folgen erzählen zu können, gibt Jane Campion noch mehr Gelegenheit, ihre größten Stärken auszuspielen. Die Serie lief im letzten November auf arte und wird hoffentlich bald wiederholt. Die DVDs gibt es im Handel.


HINREISSENDE FILMLEKTION: Setting a story in motion

Das hier ist ein kleines Youtube-Juwel nicht nur für Animationsfilmliebhaber oder angehende Filmstudenten. Zu liebevoll animierten Szenen und allerlei Filmausschnitten erzählt Drehbuchautor Michael Arndt vom Drehbuchschreiben. Genauer gesagt: wie man einen guten Anfang schreibt. Extrem unterhaltsam analysiert er dabei nicht nur die ersten Teile der berühmten Pixar-Filme Findet Nemo!, The Incredibles oder Toy Story, wie nebenbei lässt sich auch viel über die Struktur von guten Geschichten lernen. Dabei folgt er einem klaren didaktischen Konzept: In einer allgemeinen Geschichte geht eine kleine Comicheldin schnurstracks ihren Weg in eine turbulente Story („And then you wanna establish storm clouds on the horizon.“) und als sei das nicht schon putzig genug, wird das Ganze beispielhaft an entsprechenden Szenen aus den jeweiligen Filmen gezeigt. Nur acht Minuten ist diese kleine Lektion lang, aber am Ende hat man das Gefühl, ein ganzes Seminar mitgemacht zu haben. Und man möchte die tollen Animationsfilme von Pixar am liebsten gleich nochmal ganz sehen.
Das Video wurde übrigens ursprünglich als DVD-Bonusmaterial produziert und von jemandem anonym bei Youtube hochgeladen. Disney bzw. Pixar könnte es jederzeit sperren lassen. Wie der Blogger John August, der den Film ausgegraben und mit Michael Arndt Kontakt aufgenommen hat, schreibt, wäre das sehr schade. Besser kann man nämlich die Faszination der animierten kleinen Meisterwerke aus dem Hause Pixar nicht vermitteln.


Teaser & Image: Screenshot, via Haus der Kulturen der Welt, Berlin


wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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