„Tippen tötet“: Niedersachsen will Autofahrer warnen

Viel zu schnell ist das kleine Gerät in der Hosentasche gezückt, wenn der leichte Vibrationsalarm anzeigt, dass eine Nachricht eingegangen ist. Leider auch während der Autofahrt, was jährlich etliche Menschen in Unfälle verwickelt oder sogar tötet. Die Aktion „Tippen tötet“ soll nun nach internationalem Vorbild in Niedersachsen vor den Gefahren warnen. Tobias Gillen ist dennoch skeptisch.

Warum ist das wichtig? SMS am Steuer schrenken unsere Aufmerksamkeit drastisch ein – und sind in der Folge meist Auslöser für böse Unfälle.

  • Weltweit gibt es bereits Kampagnen oder Ideen, um unvorsichtige Autofahrer zu warnen.
  • 26 Prozent der jungen Autofahrer in Deutschland tippen während der Fahrt auf ihrem Smartphone.
  • „Tippen tötet“, eine groß angelegte Aktion in Niedersachsen, soll abschreckend wirken.

291 SMS-Zonen in New York

Wer tief in sich geht, kann heutzutage wohl kaum mehr behaupten, nicht irgendwann mal hinter dem Steuer, an der Ampel, vor der Bahnschranke oder bei freier Fahrt auf der Autobahn auf sein Smartphone-Display gespickt zu haben. Leider gibt es in unserer Zeit kaum noch handyfreie Zonen. Während der Mobile Consumer Habits-Studie des vergangenen Jahres zufolge über die Hälfte der US-Amerikaner während der Autofahrt SMS schreiben, nutzen 19 Prozent der Menschen den kleinen Begleiter in der Kirche, 35 Prozent im Kino und ziemlich genau ein Drittel während eines Dinners. Nicht mal unter der Dusche (12 Prozent) oder beim Sex (9 Prozent) können einige Menschen auf ihr Smartphone verzichten. Inwieweit die Zahlen auf Deutschland und andere Länder anwendbar sind – keine Ahnung. Man darf aber wohl annehmen, dass sie so oder so ähnlich auch hierzulande ausfallen würden.

Besonders pikant ist das, wenn man mit der Ablenkung zusätzlich andere in Gefahr bringt – etwa während der Autofahrt. Zahlreiche Kampagnen haben schon versucht, davor zu warnen. Der US-Bundesstaat New York hat im September vergangenen Jahres knapp 300 Warnschilder an seinen Highways aufstellen lassen. „It can wait – Text stop in 5 Miles“ oder „Text stop – Parking Area in 1 Mile“ ist darauf zu lesen. Zudem wurden 91 „SMS-Zonen“ eingerichtet, wo besonders Eilige kurz anhalten und ihre Botschaften loswerden können. Ob das noch gesund ist? Sicher nicht. Aber leider ist die Entwicklung kaum noch aufzuhalten – und bevor die Ungeduldigen andere in Gefahr bringen, müssen lieber Parkmöglichkeiten zum Tippen her.

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26 Prozent der jungen Autofahrer in Deutschland schreiben SMS

Zudem wurden die Strafen empfindlich angehoben. Nicht nur in New York übrigens, sondern auch in vielen anderen Bundesstaaten und Ländern – in Deutschland etwa von 40 Euro auf 60 Euro (nicht ganz so drastisch, aber immerhin). Außerdem gibt es immer wieder multimediale Kampagnen gegen Ablenkung und für mehr Konzentration hinter dem Steuer. Etwa ein Clip aus Großbritannien von 2009 – 4 Minuten lang, blutige Details inklusive. Oder der kürzlich veröffentlichte Kurzfilm von Werner Herzog, „From One Second To The Next“, der vier Geschichten von Menschen erzählt, die nicht warten konnten. In Erinnerung ist das Schicksal eines Mannes geblieben, der seiner Frau „Ich liebe Dich“ schrieb und beim Lesen ihrer Antwort drei Menschen tötete.

Warum das alles nötig ist, zeigen immer wieder Umfragen und Statistiken. Goodyear, der Reifenhersteller, hat etwa Autofahrer zwischen 18 und 25 Jahren befragt. 26 Prozent der deutschen Teilnehmer schreiben während der Fahrt, 37 Prozent in ganz Europa. In den USA sind pro Jahr 100.000 Menschen an Unfällen beteiligt, weil sie Kurznachrichten getippt haben. Solche Zahlen sind hierzulande nicht exakt zu treffen. Die Unfallformulare der Polizei gehen steil auf die 40 zu – und sind daher nicht für „SMS“ oder „Handy am Steuer“ ausgelegt. Auch große Tech-Konzerne arbeiten an Lösungen für die Probleme: So hat sich Apple etwa das Patent „Driver held computing device lock-out“ sichern lassen, das am iPhone das Schreiben von SMS während der Autofahrt untersagen würde, wenn es denn dann irgendwann mal eingeführt wird.

Die Herdplatte ist schmerzhaft

Bis dahin helfen wohl weiterhin nur großangelegte Kampagnen. Wer in der 70er-Zone mit 95 km/h fährt, weiß, dass man Schilder gerne mal übersieht. Das Land Niedersachsen will aber nun auch in Deutschland mit großen Warnschildern abschrecken. „Tippen tötet“ heißt die Aktion, die wohl bundesweit die erste seiner Art ist. Knallgelbe Schilder sollen dann darauf aufmerksam machen, welche Gefahren bei der Ablenkung durch Smartphones lauern. Ein Auto, ein Handy und ein trauriges Emoticon sollen über dem einprägsamen Leitspruch „Tippen tötet“ dann zu sehen sein. Mit 22 Spannbändern an Brücken über Autobahnen, 250 Plakaten und 50.000 Postkarten werden die niedersächsischen Autofahrer also ab dem Sommer konfrontiert.

Diese Aktionen sind aller Ehren wert, aber ob sie den typischen „Wird schon gut gehen“-Gedanken nachhaltig aus den Köpfen verbannen kann? Wohl eher nicht. Es ist leider wie mit der Herdplatte als Kind: Mama kann noch so oft davor warnen, bis nichts passiert ist, glaubt man es ja doch nicht. Der Unterschied ist, dass man sich bei der Herdplatte nur selbst verletzen kann. Bei einem Autounfall aber kann es auch Fahrer treffen, die das Handy während der Fahrt ausgelassen haben.

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Image (adapted) „3926147797_7d554d99b0_o“ by JasonWeaver (CC BY 2.0)


war von 2012 bis 2015 Autor der Netzpiloten. Seither arbeitet er als Geschäftsführer von BASIC thinking, schreibt Bücher und pflanzt dadurch Bäume. Zudem hat er das Online-Magazin Finanzentdecker.de gegründet. Am besten ist er über Facebook, Twitter und Instagram zu erreichen.


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