Same but different – Weil anders einfach anders ist

Ohlala! So spielerisch schön die französische Sprache klingt, so schmeckt auch ihre einzigartige Küche. So organisiert und strukturiert die deutsche Sprache ist, so sieht auch (meist) der Terminkalender und die Arbeitsweise deutschsprachiger Personen aus. In Sprache formuliert sich Kultur. Kann man zwischen diesen unterschiedlichen Systemen einfach von einem in das andere übersetzen?

Nach zwei Jahren Dubai, das mehr als 200 Nationalitäten beherbergt, kann ich aus eigener Erfahrung sagen: kommunizieren geht, verstehen nicht immer. Wenn ich mit meinem deutschen Englisch mit einem Inder über meine arabische Bestellung spreche, prallen Welten aufeinander. Oft passt ein Begriff aus der Muttersprache perfekt, um den Moment zu umschreiben, nur leider existiert dieser in der anderen nicht (schon mal versucht, dem älteren deutschen Publikum „Skyline“ zu erklären?).

Bevor ich mich auf das Abenteuer Dubai einließ, schrieb ich meine Masterarbeit in Paris über die Unübersetzbarkeit der Sprache. Ein Phänomen, das mich bis heute tagtäglich an meine Grenzen bringt und zugleich meine Faszination für andere Kulturen ausmacht. Auf die Idee hat mich damals das Europäische Wörterbuch der unübersetzbaren Begriffe (Vocabulaire européen des philosophies – Dictionnaire des Intraduisibles) gebracht.

Das Wörterbuch der unübersetzbaren Begriffe

Das Werk von der Philosophin und Philologin Barbara Cassin fordert den reflektierten Umgang mit der Vielheit der Sprache. Es führt unübersetzbare Wörter aus 15 verschiedenen Sprachen auf – wie der Titel bereits verrät, kommen diese aus dem europäischen Raum. Damit umfasst es nur einen kleinen Teil der Weltsprachen, bringt es aber schon auf 532 Seiten. Insgesamt 150 Mitarbeiter aus dem philosophischen und sprachwissenschaftlichen Bereich arbeiteten ungefähr zwölf Jahre an dem philosophischen Wörterbuch der unübersetzbaren Wörter.

Dreh- und Angelpunkt des Werkes ist die Unterschiedlichkeit von Sprache – in ihrer Struktur und in ihren Begriffen. Dabei ist es nicht das Ziel, für die Wörter eine einzige, allgemeingültige Übersetzung zu liefern: „Vielmehr klärt es Unstimmigkeiten, konfrontiert sie miteinander und regt das Nachdenken über sie an“, erklärt Cassins in ihrer Einleitung.

Ein Blick in das Werk lohnt sich; entdeckt man doch ungeahnte Wortschätze, denen man sonst mit Gleichgültigkeit im allgemeinen Sprachgebrauch begegnet wäre. So ist das Wort „Gemüt“ in der deutschen Sprache einzigartig.

„Gemüt“ ist weder Geist, noch Seele

Der Artikel dazu wurde von Denis Thouard verfasst, der ihn zuerst in Bezug zu anderen Sprachen definiert: „Gemüt“ wird dem griechischen thumos (Lebenskraft), dem lateinischen mens/animus (Seele/Geist) und dem englischen mind/mood zugeordnet. Doch besitzt es keinen zufriedenstellenden Äquivalenten in anderen Sprachen und wird in Übersetzungen meist entweder als Seele oder Geist übersetzt, was jedoch nicht seiner Vielschichtigkeit gerecht wird. Denn das Gemüt ist weder Geist, noch Seele. Es wird als internes Prinzip des Menschen verstanden, das den Geist aber auch die Gefühlsregungen animiert und dazwischen changiert.

Der Wörterbuchartikel geht zurück bis 1260 und zeigt, dass „Gemüt“, dass später auch zu gemütlich wurde, eines der ältesten deutschen Begriffe ist. Interessant wird es, wenn Denis Thouard die französische Übersetzung von Immanuel Kant’s berühmter Schrift „Die Kritik der reinen Vernunft“ ins Französische diskutiert. Hier wird es systematisch durch „Geist“ (esprit) übersetzt und verliert damit völlig die emotionale und empfindsame Dimension – Kants Schrift rückt in ein ganz anderes Licht.

Bewusstsein für Andersartigkeit

Dieser kurze Einblick in den Diskurs der Translationswissenschaft zeigt: Nein, so einfach ist es mit der Übersetzung nicht.

Im Alltag in Dubai oder Abu Dhabi wird es wohl nicht zu solchen bedeutungsschweren Missverständnissen kommen. Doch ist das Bewusstsein für die Andersartigkeit schon ein guter Anfang, um nicht nur Verstehen, sondern auch Verständnis für den anderen zu lernen. Das 1:1-Prinzip funktioniert eben nicht in der Übersetzung, aber das macht das Miteinander noch viel spannender. Gemütlich ist eben nicht nur „cosy“ – es ist ein Gefühl, dass Emotion und Geist einschließt – und das wir mit Leib und Seele leben!

Das Wörterbuch ist in französcher Sprache und in englischer Sprache erhältlich bei Amazon (Provisions-Link)


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Maren Méheust schrieb schon aus Paris, Dubai und Berlin für die Netzpiloten. Sie wohnt mittlerweile an der französischen Grenze in Kehl und arbeitet als Strategin bei der Digitalagentur TLGG. Maren Méheust ist Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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