His name is Bradley

Seit dem 26. Mai 2010 sitzt Bradley Manning ohne Prozess als angebliche WikiLeaks-Quelle in Gefangenschaft. Neun Monate davon hat er unter Einzelhaft-Bedingungen verbracht, die von Beobachtern als folterartig bezeichnet wurden. Die deutsche Unterstützer-Demo am Samstag fand an einem symbolträchtigen Tag statt, dem 50-jähriges Jubiläum von Amnesty International. Ein Blick auf einen unwürdigen Krimi mit drei ungleichen Beteiligten: Bradley Manning, Barack Obama und Julian Assange.

Who the fuck is Bradley Manning?“ Diese Frage wird sich Präsident Obama zähneknirschend einige Male gestellt haben. Wegen ihm hat der Friedensnobelpreis-Träger unter anderem eine öffentliche Rüge von Amnesty International bekommen, einen besorgten Brief des Menschenrechtsausschuss des deutschen Bundestags erhalten, und nicht zuletzt fand am Samstag eine kleine Manning-Unterstützer-Demo in Berlin statt – der Stadt, in der er vor seiner Wahl noch als demokratischer Heilsbringer gefeiert wurde.

Manning, um auf die fiktive Frage zurückzukommen, ist dieser freundliche, introvertierte, junge US-Soldat, der aufgrund eines Chat-Protokolls verdächtigt wird, die verzweifelt gesuchte WikiLeaks-Quelle beim US-Militär zu sein. Bis heute gab es noch keinen Prozess. Bekannt sind seit März aber die voraussichtlichen Anklagepunkte, darunter „Aiding the enemy“, wofür die Militär-Staatsanwaltschaft lebenslängliche Haft fordern wird.

Was infolge dessen mit dem jungen Mann passierte, ließ auch vormals überzeugte Obama-Anhänger von ihrem Glauben abfallen. Mehr als neun Monate lang befand sich Manning in Isolationshaft. Er durfte keinen Sport machen, wenn er es versuchte, wurde er von Wärtern daran gehindert. Eine Stunde am Tag wurde ihm statt dessen erlaubt, in einem leeren Raum im Kreis zu gehen.

David House, der Organisator des US-Support-Networks hat Manning einige Male besucht und konnte verfolgen, wie der sich unter dem Einfluss der Einzelhaft veränderte: „Als ich mit ihm geredet habe, war es kaum möglich, eine soziale Beziehung zu ihm aufzubauen. Er war sehr schläfrig, so als ob er permanent versucht, wach zu bleiben. Auch körperlich hat er sich stark verändert. Aus einem jungen, gesunden Mann ist eine schwaches Wesen mit grauer Haut und riesigen Augenringen geworden.“

Zur Einzelhaft kam die seltsame Anordnung, dass er nackt schlafen und jeden Morgen unbekleidet vor seinen Wärtern antreten musste. Als Argument wurde angeführt, dass er suizidgefährdet sei und sich auch mit Boxershorts selbst verletzen könnte. Dem widersprachen drei Militär-Psychiater, die keine Selbstmordneigung feststellen konnten, doch das wurde von der Gefängnisleitung ignoriert.

Mit dieser Mischung aus Einzelhaft und sexueller Demütigung wolle das US-Militär ihn dazu bringen, ein falsches oder echtes Geständnis abzulegen, so dass sie rechtlich gegen den WikiLeaks-Gründer Julian Assange vorgehen können. So interpretiert es House, der im April in Berlin war, um auf dem taz-Medienkongress über den Fall Manning zu sprechen, danach stand er für Gespräche bereit.

House gehört zur Gruppe der jungen, linken US-Amerikaner, deren anfängliche Begeisterung über Obama in Enttäuschung umgeschlagen ist. Obamas Rolle im Fall Manning sieht er so:


Schwer zu sagen, was tatsächlich in Baracks Kopf vorgeht. Definitiv weiß er, was los ist. Ich meine, ich habe ihn 2008 gewählt. Aber seitdem hat er einige Gesetze erlassen, die sich klar gegen die Menschenrechte richten. Davon abgesehen werden gerade sechs Whistleblower strafrechtlich verfolgt, das ist mehr als bei allen anderen Präsidenten in der Geschichte der USA zusammen. Es fällt mir schwer, das zu sagen, aber ich fürchte, es ist wahr: die amerikanische Öffentlichkeit wurde in großem Maßstab von Barack Obama getäuscht. Ich glaube noch nicht einmal, dass er jemals wirklich progressiv war. Er war nur ein äußert talentierter Redner.“


Die „rituelle sexuelle Demütigung“ sei ein offensiv homophobes Spiel mit Mannings Ängsten und negativen Erfahrungen gewesen. Es war bekannt, dass Manning ein schwieriges Verhältnis zu seiner Familie gehabt hatte. Als er sich vor seinem Vater als schwul geoutete hatte, flog er raus. Das Militär war anfangs für ihn eine Art neues Zuhause.


Am 20. April wurde Manning in ein anderes Gefängnis verlegt, dessen Haft-Bedingungen laut Anwalt als menschenwürdig zu bezeichnen sind: in der Zelle gibt es ein Fenster mit Tageslicht, er muss nicht mehr unbekleidet schlafen, und er hat Kontakt mit anderen Gefangenen. Dass diese rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit von Manning-Unterstützern als großer Erfolg bejubelt wurde, zeigt die absurde Situation, in die sich Obama hinein manövriert hat – sei es, dass seine Rolle aus aktivem Eingreifen oder bloßem Dulden bestand.

Die Behandlung Bradley Mannings sollte und soll wohl vor allem zeigen, was potenzielle Whistleblower erwartet, Rechtstaat hin oder her. Doch der Schuss ging nach hinten los. Julian Assange ist aufgrund seines anstehenden Prozesses als Sympathieträger verblasst, doch durch die ungerechtfertigte Behandlung von Bradley Manning, hat WikiLeaks und das Thema Whistleblowing ein neues, frisches Gesicht bekommen – und das unabhängig von der Frage, ob er die Quelle war oder nicht.

Foto: Bradleymanning.org

Grafik: Bradleymanning.org, Autor: Ted Rall

hat Publizistik und Soziologie studiert und lebt als freier Journalist in Berlin.


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