Wir wollen eure Smartphones sehen!

Auf Konzerte dürften Smartphones in den nächsten Jahren mehr und mehr in das Spektakel einbezogen werden. Entscheidend ist dafür aber der richtige Umgang mit der Technik. // von Thomas Vorreyer

DJ (Bild: Vodafone)

Beim Fernsehen hat sich der Second Screen längst durchgesetzt. Nun soll auch bei Konzerten das Smartphone nicht mehr nur reine Videokamera bleiben, sondern ein aktiver Teil der Show werden. Das Tech-House-Duo Booka Shade und der Mobilfunkbetreiber Vodafone wagten kürzlich in Berlin einen der ersten Versuche – und zeigten, worauf man im Detail in Zukunft besser verzichten sollte.


Warum ist das wichtig? So wie heute schon das Fernsehen so werden auch Liveveranstaltungen wie Konzerte in den nächsten Jahren multimedial ergänzt werden.

  • Anstatt als bloße Kameras eingesetzt zu werden, können Smartphones bereits heute vor Ort Teil der Licht- und Soundshow werden.
  • Je konzentrierter und minimalistischer die neuen Möglichkeiten eingesetzt werden, desto effiktiver wirken sie auch, wie erste Erfahrungen bei Konzerten zeigen.
  • Ob die Nutzer dann aber auch wirklich wieder mehrheitlich ihren Verhaltensfokus von der Reproduktion des Erlebens auf die Wahrnehmung und Partizipation zurückverlegen wollen, ist damit noch nicht gesagt.

Der Versuchsaufbau

Die Ankündigung war vollmundig: Für die Reihe „Vodafone Firsts“ wollte das Unternehmen, Musikinteressierte samt ihrer Smartphones zum Teil eines einzigen großen Orchesters werden lassen. Sowohl an der Lichtshow als auch am Klang wollte man die Besucher des Konzerts von Booka Shade im ehemaligen Berliner Umspannwerk beteiligen. Kein allzu abwegiger Gedanke: Sollen Konzertgänger, wenn sie denn schon statt eines Feuerzeuges permanent ihr Smartphone in die Höhe halten, wenigstens mit diesem auch aktiv am Konzert teilnehmen können, anstatt dem Hintermann mit dem leuchtenden Bildschirm im eigenen Video herumzuwackeln!

Benötigt wurde dazu ein Smartphone*, eine App und ein Lautsprecheraufsatz. Letzeren bekam man am Eingang ausgehändigt, ebenso wie – wenn nicht vorhanden – ein Leihtelefon. Die App gab es gratis in den gängigen Stores, vor Ort musste man sich in das angebotene WLAN einloggen. Der Versuchsaufbau bestand aus zwölf, in Strahlen von der Bühne ausgehenden Zonen, in denen es sich zu platzieren galt. Per Hand sollte die so zugeteilte Position wiederum an die App weitergegeben und auf Kommando der Band soäter der „Los“-Button gedrückt werden. An die Vorderwand der Empore wurden zudem weitere Smartphones als Verstärkung montiert.

Walter Merziger und Arno Kammermeier von Booka Shade wurden extra für das Projekt mit der britischen Entwicklerfirma Makelight zusammengebracht. Diese hatte bereits für Künstler wie Bastille, Laura Mvula oder Biffy Clyro die Lichtshow teilweise auf Zuschauer-Smartphones ausgedehnt. Beim Abend in Berlin sollte nun erstmals auch eine Sound-Komponente hinzukommen, deshalb die Lautsprecheraufsätze.

Wo bleibt die Musik?

Als dann nach der Begrüßung und dem Erscheinen der Musiker auf der Bühne alle auf Los gedrückt hatten, machte sich allerdings sofort Irritation breit. Denn während Kammermeier euphorisch begann, sein halb digitales, halb analoges Schlagzeug zu spielen, war keinerlei Musik zu vernehmen. Auch Merziger bediente sichtlich erheitert sein Keyboard. Langsam erhob sich ein dünner Sound aus den aufgesteckten weißen Lautsprechern, die Bildschirme blinkten in wechselnden Farben auf. Dem Songintro auf die Hand folgte die erste Basslinie dann ganz gewöhnlich über die örtliche Anlage, die Menge setzte sich in Bewegung. Das gleiche Spiel wiederholte sich noch bei ein paar Songs. Das Licht zirkulierte in den Ausprägungen der zuvor eingezogenen Zogen durch das Publikum, verspiegelte Säulen und eine Kameraprojektion auf die Leinwand hinter der Bühne ermöglichten diesem wiederum einen Blick auf das ganze Spektakel. Doch dieses hakte gleich aus mehreren Gründen.

Zunächst war die Musik, welche im Übrigen bereits vorab aufgenommen und extra moduliert bzw. technisch optimiert wurde, aus den Aufsätzen deutlicher leiser als etwa die normale Klingeltonlautstärke der meisten Geräte, was die Show bereits früh entzauberte. Auch dass die Lichtshow-Funktion innerhalb der App immer wieder neu gestartet werden musste, nachdem man ein Foto gemacht oder etwa – man hielt das Gerät ja eh in der Hand – eine eingehende Nachricht beantwortet hatte, zehrte am Spaß. Viel schwerer wog allerdings die räumliche Gestaltung: Die zahlreichen Zonen erwiesen sich für den mitttelgroßen, kaum tiefen Raum als zu ambitioniert, um im recht lose und brüchig verteilten Publikum eine erkennbare, konsistente Lichtbewegung entstehen zu lassen. Darüber hinaus war es im Umspannwerk schlichtweg zu hell, so dass der Erleuchtungseffekt nahezu vollständig verpuffte. Mit einer höher kontrastierten Kameraufnahme auf der Leinwand hätte man das auffangen können, allerdings legte man hier lieber noch zusätzliche Animationen über das Bild des Zuschauerraumes, was die AMOLED- und LCD-Lichter erst recht untergehen ließ. Selbst ein kleiner Indie-Künstler wie der US-Amerikaner Dan Deacon hatte schon vor zwei Jahren deutlich bessere atmosphärische Effekte erzielt – bei gedimmten Bühnen- und Saallicht allerdings, ohne abgesteckte Bereiche und Aufsätze. Die Lichtshow hatte er dabei mittels Audiosignalen choreografiert bzw. so die Smartphones angesteuert.

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Aufnahme statt Teilnahme

Für den Einsatz der neuen Technik auf lange Sicht interessanter war allerdings das Verhalten des Faktors „Mensch“. Denn obwohl einen mehrere Filmkameras umgaben und der Smartphonebildschirm auch als integraler Bestandteil der Performance ausgewiesen war, gab es dennoch nicht wenige, die lieber das gesamte Konzert selbst filmten, anstatt an diesem zu partizipieren. Diese Zuschauer stellten wie gewohnt und antrainiert die Reproduktion des Erlebens über das sinnliche Erleben selbst. Wieder andere senkten vorschnell und ermüdet die Arme samt Mobilgeräten.

Wohlmöglich hätten beide Gruppen bei einer besser funktionierenden Integration länger an der Choreografie mitgewirkt, sich dieser quasi nicht entziehen können. Vom „Vodafone Firsts“-Abend mit Booka Shade bleibt so jedoch zurück, dass die Reduktion auf den Kern der Idee einer partizipativen Massenlichtshow vorerst effiktiver und zielführender als ein unnötig komplizierter Ausbau dieser bleiben dürfte. Zumal ein Konzert ohnehin schon in seinem Grundaufbau immer auch ein Ort reger Interaktion ist, mit oder ohne Smartphone, welches letztendlich ohnehin immer nur eine Ergänzung bleiben wird.

Der Autor hat die Veranstaltung mit einem Samsung Galaxy S3 samt Android 4.3 als Betriebssystem besucht.


Teaser & Image by Vodafone


schreibt als freier Journalist vor allem über Kultur und Gesellschaft im Angesicht der Digitalisierung.


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