Videokolumne vom 15. Dezember 2013

In der Videokolumne heute: Die Offenen Karten von Arte und Netzvideos in den Zeiten von Buzzfeed (mit Liste!) //von Hannes Richter

Lock (Bild: arte)

Es ist so eine Sache mit den Mediatheken und Videoplattformen: Für viele Digital Natives sind sie schon Fernsehersatz – vieles ist überall abrufbar, manches aber nur auf Zeit: Gerade die öffentlich-rechtlichen Programme in den Mediatheken der Sender sind oft nach einer Woche wieder offline. Verlängertes Fernsehen statt digitales Archiv. Bevor sie verschwinden, fischt Hannes Richter die besten Perlen des TV-Vielfalt aus den Online-Archiven und präsentiert sie in seiner wöchentlichen Kolumne.


BESCHEID WISSEN: Mit offenen Karten

AUS DER MEDIATHEK – arte +++ laufende Reihe, immer Samstags: Was ist FRONTEX eigentlich genau, diese supranationale „Agentur“ zur Sicherung der europäischen Außengrenzen? Welche Mittel darf sie anwenden und wem ist sie zur Rechenschaft verpflichtet?

Mit ruhiger Stimme, geballtem Wissen und vor allem der Unterstützung vieler, nunja… Landkarten erklärt Artes Mit offenen Karten seit den 90ern die Welt. Dabei wirkten die kurzen Sendungen früher noch etwas aus der Zeit gefallen. Sowohl die altbackenen Grafiken als auch das seltsam anmutende pädagogische Konzept erinnerte eher an längst verdrängte Telekolleg-Sendungen. Seit einem Relaunch im Jahr 2007 hat sich das Format modernisiert. Erfinder und Mastermind Jean-Christoph Victor erscheint nun zu Beginn und am Ende einer Sendung und bettet das Thema inhaltlich ein. Überhaupt, inzwischen spielen Themen, die gerade weltweit diskutiert werden, eine größere Rolle als die Länderporträts, mit denen die Reihe mal begann. Dabei bewahrt sich die Sendung ihren pädagogischen Charakter. Es geht eher darum, zu erklären als zu diskutieren – in unserer meinungsstarken Zeit mal ein entspannter Ansatz, der besonders bei kontroversen Problemen wohl tut. Wenn also in dieser Ausgabe von „Auffanglagern“ und „Rückführung“ die Rede ist, wenn mittels gemeinsamer Auswertung von Geheimdienstinformationen „Flüchtlinge aufgespürt und von ihrem Vorhaben abgehalten werden“ sollen, dann ist das nicht die alarmistische Sprache einer Menschenrechts-NGO oder eines Leitartikels, es ist bittere europäische Realität.

Im eigenen Youtube-Kanal sammelt Arte übrigens alle vergangenen Ausgaben der Sendung und umgeht damit die Lösch-Regeln der eigenen Mediathek arte +7. So lassen sich etliche Themen im gewohnten Tonfall und prägnanter Kürz durchstöbern.


DER BESTE VON ALLEN: El Empleo

Die Buzzfeedisierung des Internets trägt seltsame Blüten. Das Videoblog Art the System sammelt Videos, die alle irgendwie subversiv, links angehaucht und dazu noch Kunst sind. So weit, so schön. Doch auch hier scheint man nicht umhin zu kommen, jedes Video als „mindblowing“ zu bezeichnen. Und wie oft unser aller Leben schon durch „the best video ever“ für immer ge-changed wurde, lässt sich kaum sagen. Besonders oft aber, so scheint es, war das im zu Ende gehenden Jahr 2013 der Fall. Schade eigentlich, denn die meisten Videos bei Art the System und viele, viele andere in den Weiten des Internets bedürfen des Marktgeschreis gar nicht. Wie dieser großartige Kurzfilm des argentinischen Zeichners Santiago „Bou“ Grasso. Angeblich hat er 102 internationale Preise gewonnen, aber wer weiß das schon. Quellenangaben sind bekanntlich nicht die größte Stärke der neuen Netz-Kuratoren. Worum es bei dem durchaus zeitkritischen kleinen Meisterwerk geht, kann man dann tatsächlich gar nicht so richtig sagen, ohne die Pointe vorwegzunehmen. Ob es sich also um „The best short movie has ever made“ (sic!) handelt, muss man selbst rausfinden. Am Ende verlässt man sich eben doch auf eine Empfehlung im sozialen Netz von Freunden, denen man vertraut, oder eben auf das Videoempfehlungsblog seiner Wahl.


DIE MUTTER ALLER LISTEN: Top Ten Single Digits Numbers

Und wo wir schon mal bei Buzzfeed sind… Viel ist diskutiert worden in letzter Zeit über den Aufstieg der Plattform und die damit verbundenen Fragen nach dem Journalismus im Zeitalter der Listicles. Der für mich spannendste Beitrag zum Thema stammt aus Dirk von Gehlens Digitalen Notizen, denn vor der Ausrufung des Untergangs des Abendlandes sollte immer erstmal eine genaue Betrachtung des Phänomens stehen. Lustig darf man sich darüber aber schon früher machen und dafür gibt es kaum eine bessere Truppe als die Chaos-Puppenspieler von Glove and Boots. Im Countdown der „Top Ten Single Digits Numbers“ erklärt Fafa the Groundhog erstaunlich solide, warum die 9 es nur auf Platz 10 der besten einstelligen Zahlen schafft (der Grund kann nur das Lied Revolution #9 der Beatles sein) und schraubt sich so langsam und absurd bis zur Gewinnerzahl hoch.


NETZVIDEO SELBST GEMACHT: Krähe fährt Snowboard (mit Musik)

Die schönste deutschsprachige Anlaufstelle für Irrsinn im Internet, Schlecky Silberstein aka Spiegel Offline, stelle ich mir immer wie ein gutes Buzzfeed vor. Also eine Tante-Emma-Version aus einem Hinterzimmer des Netzes, in dem man keine Millionen damit verdienen kann, anderer Leute Content aufgehübscht zusammen zu tragen, sondern mit Herzblut und unter Anwendung der allgemeinen Rechtschreibung schöne Dinge zur Erheiterung empfiehlt. Dass es sich bei den Machern nicht um launige Redaktionsroboter handelt, sieht man in diesem Beispiel. Im „Lieblings-Winterclip“ des Blogs fährt eine coole Krähe auf einem Stück Plastik Snowboard und hat dabei offensichtlich soviel Spaß, dass sie gleich wieder hoch fliegt und es erneut probiert. Doch damit nicht genug. Zum heiteren Video-Mashup im Do-It-Yourself-Verfahren finden sich direkt unter dem Video zwei Clips der nicht ganz zu Unrecht vergessenen Snowboard-Rocker Guano Apes. Mit etwas Geschick (Kleiner Tip: die ersten zehn Sekunden des Intros von „Open Your Eyes“ sollten abgewartet werden, damit die Krähe nicht zu früh los fährt) lässt sich so eine fantastische Collage an der Nahtstelle zwischen 90er-Revival und dem Phänomen Netzvideo unserer Zeit basteln. Danke dafür.


Teaser by Paulae (CC BY 3.0)

Image by arte.


wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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