SwiftKey: Die Smartphone-Tastatur, die gerne nach Hause telefoniert

Das britische Startup SwiftKey bietet die bestverkaufte Android-App und wird im Herbst fürs iPhone zu haben sein. Doch was steckt hinter den hübschen Designs und nützlichen Funktionen? // von Jakob Steinschaden

SwiftKey Flow 2

Von Buchstabe zu Buchstabe wischen statt zu tippen, Wörter vorhersagen lassen und die virtuelle Tastatur mit neuen Farben und Designs versehen – das alles und mehr kann die Smartphone-App SwiftKey. Das britische Startup TouchType, das dahinter steht, ist auf dem Weg zu einem der wichtigsten europäischen Software-Firmen – und gerade dabei, sich zu einer Big-Data-Firma zu wandeln, die besonders sensitive Daten verarbeitet.


Warum ist das wichtig? Keyboard-Apps sind auf den ersten Blick unspektakulär, doch tatsächlich können sie mitlesen, was wir wann und wo mit welcher App schreiben – ein Geschäft mit Zukunft.

  • SwiftKey will mit seinem neuen Gratisangebot an möglichst viele Nutzer kommen.
  • In der SwiftKey Cloud werden Profile zu Personen und ihrer Sprachnutzung angelegt.
  • SwiftKey speichert Nutzerdaten auf den Servern von Amazon, die in der EU stehen.

Bei meinem kürzlichen Besuch der Londoner Startup-Szene ist mir neben TransferWise (große Reportage hier) außerdem die Software-Firma TouchType Ltd. aufgefallen, die das Touch-Keyboard SwiftKey anbietet. Die App, die die Standard-Tastatur von Android durch ein personalisierbare und die Sprache des Nutzers mitlernendes Keyboard ersetzt, gilt als die meist verkaufte App in Googles Play Store und hat kürzlich eine spannende Kehrtwende im Geschäftsmodell unternommen: Anstatt die App weiter um etwa 4 Euro zu verkaufen, wird sie nun kostenlos angeboten. Stattdessen gibt es jetzt einen eigenen SwiftKey Store, wo sich Nutzer neue Designs für ihr virtuelles Keyboard (pro Stück um 89 Cent) kaufen können. Um die alten Kunden, die SwiftKey gekauft haben, zu vertrösten, schenkt ihnen die Firma ein Pakt mit zehn Premium-Designs als Dankeschön. „We believe this change is the best way to achieve our global vision, as we can now reach many more people around the world without price as a barrier„, schreiben die beiden Gründer Jon Reynolds (CEO) und Ben Medlock (CTO).

Wie Google: Kostenloser Dienst, der Daten sammelt

Dass eines der wichtigsten britischen Startups sein Hauptprodukt gratis macht, ist aus mehreren Gründen spannend. Zum einen dürfte SwiftKey an eine Wachstumsgrenze gestoßen sein. Weltweit gibt es grob geschätzt zwei Milliarden aktivierte Android-Geräte, womit SwiftKey mit etwa 200 Millionen Installationen bei ziemlich guten zehn Prozent Marktdurchdringung steht. Um weiter wachsen zu können, muss das Start-up nun auch jene vielen Android-Nutzer beglücken, die nie Geld im Play Store ausgeben würden. Zum anderen hat Apple kürzlich angekündigt, dass ab iOS 8 Keyboard-Apps von Fremdherstellern zugelassen sind. Bei SwiftKey wird bereits an eben dieser App gearbeitet, und die Firma dürfte auf die als zahlungswillig bekannten iPhone-Nutzer setzen, die ab Herbst viel Geld in die Kasse spülen werden. Gefährlich könnte es für die Briten aber auch werden, da Apple mit QuickType eine SwiftKey-ähnliche Funktion bringt, die Wörter, die ein User wahrscheinlich schreiben will, besser voraussagen soll.

Vielleicht ist SwiftKey aber gar nicht so auf den App-Verkauf aus. Denn eher weniger bekannt ist, dass das Startup auch im B2B-Geschäft unterwegs ist und seine Algorithmen für die Wörtervorhersage auch in die Dienste großer Smartphone-Hersteller wie Samsung und BlackBerry gestellt hat. Wer auf einem Galaxy- oder einem BlackBerry-10-Gerät tippt, der bekommt Begriffe auf Basis von SwiftKey-Technologie vorgeschlagen. Zudem wurde die Predictive-Typing-Technologie an die US-Firma Clarion weiter lizensiert, die In-Car-Entertainment-Systeme auf Android-Basis entwickelt. Diese Partnerschaften zeigen den Weg auf, den SwiftKey künftig gehen will: Reynolds und Medlock wollen ihr Startup zu einer Big-Data-Company ausbauen.

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SwiftKey liest bei Facebook, Twitter und Gmail mit

Einen wichtigen Schritt dafür hat man im August 2013 unternommen: Die SwiftKey Cloud wurde präsentiert. Die Analysen zum Sprachbild, die die App zu jedem Nutzer durchführt, werden seither nicht nur auf den Smartphones, sondern auch auf den Servern der Firma gespeichert. Das hat nicht nur den Vorteil für den User, dass er, wenn er SwiftKey auf einem neuen Gerät installiert, seine Einstellungen einfach übernehmen kann, sondern ermöglicht SwiftKey nun auch, Big-Data-Analysen durchzuführen. Im Kleinen tut sie das schon länger: Im Oktober 2012 etwa konnten SwiftKey-Nutzer im Prez-o-Meter nachschauen, ob sie eher wie Barack Obama oder eher sein damaliger Konkurrent Mitt Romney schreiben. Seither hat das Start-up die Anstrengungen intensiviert, noch mehr über das Sprachverhalten seiner User herauszufinden: Diese können SwiftKey den Zugriff auf ihre Konten bei Facebook, Twitter, Gmail, Google+ oder Evernote gewähren und ihre Sprache analysieren lassen. Somit kann die britische Firma sehr detaillierte Informationen über einen Nutzer sammeln: Welche Wörter benutzt er besonders oft? Welchen Slang spricht er? In welchen Apps formuliert er wie? Welche Produkte, Orte, Personen oder Events erwähnt er in einem positiven oder negativen Kontext?

Anders als viele andere Cloud-Firmen geht SwiftKey sehr vorsichtig an die sehr persönlichen Daten seiner Nutzer heran – immerhin werden mit der Tastatur intimste SMS oder vertrauliche Firmen-E-Mails. Die Datensammlung ist deswegen Opt-in und nicht Standard-mäßig aufgedreht. Wie heikel die Angelegenheit ist, sieht man auch bei der Installation. Da warnt Google nämlich, dass Third-Party-Keyboards wie SwiftKey theoretisch eingetippte Passwörter oder Kreditkarteninformationen mitlesen könnten – SwiftKey selbst sagt in seinen Privacy-Regeln, dass man solche sensitiven Daten natürlich nicht sammle. Fakt ist aber, dass SwiftKey-Betreiber TouchType Nutzerdaten an einen etwaigen Käufer weitergeben könnte, genauso wie an Service-Firmen, mit denen man zusammenarbeitet. Anonymisierte und aggregierte Sprachdaten dürfen laut Nutzungsbestimmungen ebenfalls an andere Firmen – z.B. Samsung oder Clarion – weiterverkauft werden. Fakt ist auch, dass Nutzerdaten auf Amazon-S3-Servern in der EU gespeichert werden – Amazon unterliegt als US-Firma dem Patriot Act, der besagt, dass die US-Regierung auch Einblick in die Datenzentren von US-Firmen haben kann, die im Ausland und nicht auf US-Boden stehen.

Und damit ist SwiftKey viel mehr als nur eine nützliche App, mit der man seine Smartphone-Tastatur schnell einmal blau einfärben kann, mit der man von Buchstabe zu Buchstabe wischt und die nützliche Autokorrekturen macht. Es ist auch eine App, die gerne nach Hause telefoniert – in diesem Fall mit Amazon-Servern.


Teaser & Image by SwiftKey


ist seit 2006 publizistisch auf Papier und Pixel tätig. Er arbeitet in Österreich als Journalist und hat die beiden Sachbücher "Phänomen Facebook - Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt" (2010) und "Digitaler Frühling - Wer das Netz hat, hat die Macht?" (2012) veröffentlicht. In seinem Blog “Jakkse.com” und in Vorträgen schreibt und spricht er gerne über die Menschen und ihr Internet – von Social Media über Mobile Business und Netzpolitik bis zu Start-ups.


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2 comments

  1. Und was ist da nun so überraschend? Der Algorithmus lebt davon aus Nutzereingaben zu lernen, und dass die Daten in die Cloud gehen, das kommuniziert die Firma offen. Außerdem, wer immer noch glaubt, er bekäme im Netz etwas kostenlos, ohne irgendwie dafür zu zahlen, und sei es mit seinen Daten, der ist abgrundtief blauäugig. Wenn ich nicht will, dass Swiftkey aus meinen Facebook/Mail etc Daten lernt, dann einfach nicht aktivieren.
    Schlimmer sind doch die Tools, die ohne jedwede Offenlegung Daten abgreifen. Dass Swiftkey Services im B2B Bereich anbietet ist auch nicht verwunderlich, wovon sollten sie sonst leben, wenn die App kostenlos gemacht wird.

  2. @Uwe Hauck
    Ich kaufte eine andere Tastatur, die ai.type heisst. Sie sendete standardmäßig unverschlüsselt jeden Tastendruck außerhalb eines Passwortfeldes in die Wolke. Nach dem Ausschalten dieser Funktion stand immer noch, ich sei mit einer Cloud verbunden. Habe das Programm deshalb wieder deinstalliert. Leider merkte ich es erst nach ein paar Tagen und da war es zu spät, das Geld von Google zurückzufordern.
    Manche Firmen bekommen Geld UND kommen an private Daten.

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