Software vs. Musik: Hat Content abgedankt?

Ist die Software drumherum wichtiger geworden als die eigentliche Musik? Ja, heißt es jetzt im Guardian – fälschlicherweise. Die platte Phrase »Content is king.« ist das »Sex sells!« der Kulturindustrie und ihrer Vermarktungsmechanismen. Im britischen Guardian wurde jetzt erneut an der Binse gerüttelt. Vor dem Präzedenzfall Beyoncé behauptet David Hepworth dort, die Zeit großer, wichtiger Alben sei vorbei, es gehe nur noch um Technik. Hat er am Ende gar recht?

Kluge Köpfe setzen auf Technik

Schon im Januar ging es an dieser Stelle um die nahezu unaufkündbare Verbindung, die die Musik einerseits und ihre (digitale) Vermarktung und ihr Vertrieb andererseits mittlerweile eingegangen sind. Letztere bedienen Letzteres nicht mehr willenlos Erstere, sondern dieses muss bereits spätere Synergieeffekte selbst initiieren. Was nützt einem etwa ein schöner Song, wenn man keine thematisch passende, lustige Promo-App dazu kreieren kann?, könnte man zugespitzt fragen. Der Journalist David Hepworth geht sogar noch weiter.

Content is not king„, schrieb er am Wochenende im Guardian – allen immer wiederkehrenden romantischen Beschwörungen des Kreativen zum Trotz. „Delivery has mounted its throne and has already eaten its lunch„. Als Begründung zieht er dabei die Reaktionen auf Beyoncés jüngstes Album, welches diese unter dem Titel „Beyoncé“ im Dezember ohne Vorankündigung als Sammlung von Musikvideos via iTunes veröffentlicht hatte. Nachdem das Album in der ersten Woche über eine Million Mal verkauft wurde, ließ das Interesse schlagartig nach so Hepworth – ähnlich wie bei den Sonderveröffentlichungen für den jährlichen Record Store Day, der ebenfalls am Wochenende gefeiert wurde. Der Autor schlussfolgert deshalb für den erweiterten Rahmen: „It’s the software that changes people’s lives. Netflix, Skype, Spotify, Flipboard, Amazon Prime, Kindle, Paper and scores of others. These are as exciting, if not more exciting, than the individual items of entertainment and edification that speed along their rails„.

Wenn (Musik-)Journalisten und Medien also schlau sein wollen, dann ziehen sie die richtigen Schlüsse aus Hepworths Analyse und kümmern sich neben den Inhalten, auch um die damit verbundenen technischen Kommunikationswege. Der Brite lebt es vor, ist schließlich auch Verantwortlicher für Inhalte bei Development Hell Ltd, einer Firma, die das renommierte Magazin für elektronische Musik und DJ-Kultur, Mixmag, herausgibt und zeitgleich mit DontStayIn.com ein eigenes soziales Netzwerk für ClubgängerInnen besitzt.

Buzz ist nicht gleich Buzz

So weit, so bereits bekannt. Vorher sollte man sich allerdings kurz die Zeit nehmen, Heptworths schludrige Argumentation aufzulösen, um am Ende doch noch den richtigen Gehalt extrahieren zu können. Da wäre etwa der Umstand, dass „Beyoncé“ mittelfristig keinesfalls eine kommerzielle Enttäuschung war. Im Gegenteil: In den USA verkaufte das Werk in den Folgewochen weiterhin kräftig, obwohl es vorerst nur in einem möglichen Format erhältlich war. Es war sogar das erste Album seit Susan Boyles „I Dreamed a Dream“, das in den ersten drei Wochen (nach Rechenmodus des „Billboard“ Magazins) jeweils mehr als 300.000 Einheiten verkaufte. Mit dem Stück „Drunk In Love“ entwuchs den in einem Schwung an die Öffentlichkeit gebrachten Liedern mit etwas Verspätung sogar mindestens ein klassischer Hit. Und wären die meisten Jahresbestenlisten vieler Redaktionen Ende Dezember nicht bereits gewählt und veröffentlicht gewesen, dann hätte „Beyoncé“ auch hier gute Chancen auf die eine oder andere Platzierung gehabt. Das Album hat nämlich durchaus zahlreiche qualitativ überzeugende, interessante Momente. Die den Vertriebskanal übernehmende Software, iTunes, spielte hingegen einen lediglich untergeordneten Aspekt, Beyoncé hätte ihre Videos auch anderswo veröffentlichen können.

Doch gehen wir David Hepworths These noch einmal von der anderen Seite an: Welche Alben sind uns aus den letzten Jahren als besonders prägend in Erinnerung geblieben? Tatsächlich bekamen nur wenige klassisch vermarktete Alben eine ähnlich große Aufmerksamkeit wie Radioheads Wähle-den-Preis-selbst-Album „In Rainbows“, Björks-App-LP „Biophilia“, Jay-Zs Samung-gesponsertes „Magna Carta Holy Grail“ und eben „Beyoncé“. Auf die Verkäufe, Streaming-Zahlen, Kritiken hatten deren Neuerungen aber ganz unterschiedliche Einflüsse – oder eben gar keinen. Vergleicht man die Werke mit den jeweiligen Vorgängern ihrer Interpreten, dann lässt sich jedenfalls keine relevante Korrelation hinsichtlich kommerziellen Erfolgs und Rezeption feststellen. Gleichzeitig gab es mit Taylor Swift, Arcade Fire, Daft Punk, Vampire Weekend, Tylor, the Creator oder aber Kanye West zahlreiche Ausnahmeerscheinungen, die auch ohne App- oder Vertriebs-Stunt populär worden oder aber ihren Erfolg fortsetzten.

Pop-Musik bleibt Pop-Musik

Zwar werden Hits „The Fox (What Does The Fox Say?)“ auf ewig mit YouTube verbunden bleiben, das ist aber keineswegs ein neues Phänomen. Im Gegenteil: Pop-Musik ist ein aus mehreren Aspekten von der Rezipientin selbst – nicht der Künstlerin – zusammengesetztes Gesamtprodukt, wie Diedrich Diederichsen gerade in seinem omnipräsenten Buch zum Thema bemerkt. „Pop-Musik wird nach und nach aufgenommen. Wer sie wahrnimmt und verarbeitet, stellt immer wieder neue und andere Zusammenha?nge zwischen den Teilprodukten (Sounds, Texten, Videos, Covern, Frisuren, Emblemen usw.) her, die inhaltlich und stilistisch miteinander verbunden sind (…)„. Die Digitalisierung hat die Menge dieser Teilprodukte nochmals erheblich vergrößert, anders als David Hepworth meint, hat sie aber nicht die Erfahrungswelten verschoben. Denn auch ehemalige Vinyl- oder Kassettenhörer erinnern sich noch sehr prägnant auf ihren Umstieg zur CD und später dann zum MP3-Player. Was sie dabei gehört haben, die „Musik-Musik“ wie Diederichsen nennt, ist allerdings ein bis heute gleichwertiges Erlebnis geblieben. Und das ungeachtet der allgemeinen Krise des Formats „Album“ und der ökonomischen des (Musik-)Journalismus, die David Hepworth ganz klar beide im Hinterkopf herumschwirrten.

Wenn wir also seine These auf die Aufmerksamkeitsökonomie umlenken, dann kommen wir der Wahrheit näher. Denn angesichts der gegenwärtigen Vielfalt und Überproduktion schafft es kreatives „Musik-Musik“-Kapital allein kaum noch bis gar nicht, den ganz großen Buzz zu erschaffen. In der Pop-Musik war dieses allerdings schon immer nur ein Teilaspekt, wenngleich auch ein unersetzbarer. Sein Anteil ist seit der Entstehung dieser Form eben bloß kontinuierlich geringer geworden, ergänzt durch die Produkte anderer Kulturindustrien, aber eben nicht ausgetauscht.


 


schreibt als freier Journalist vor allem über Kultur und Gesellschaft im Angesicht der Digitalisierung.


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert