#NeueProvinz: Über den Deutschlandtakt


Warum Neue Provinz? Die erste Ausgabe der neuen Kolumne erklärt die Titelwahl.


In zwei Stunden von Bielefeld nach Berlin. Dafür kein Halt mehr in Coburg. Die Sylt-Bahn wird sogar zweigleisig ausgebaut, während Bremerhaven nicht angefahren werden soll. Die kürzlich vorgestellten Pläne des Bundesverkehrsministeriums, auch Deutschlandtakt genannt, könnten Deutschlands Schienenverkehr verändern.

Fernverkehrszüge sollen die Metropolen dieses Landes stündlich miteinander verbinden, manchmal sogar alle 30 Minuten. Viele kleinere Orte an den Strecken könnten ebenfalls angefahren werden. Die Neue Provinz kann nicht ohne Mobilität gedacht werden und braucht vor allem Anschluss an die urbanen Wissenszentren.

Politischer Aktionismus mit Potential

Rückblickend hat man schon lange nicht mehr so ehrgeizige Pläne aus dem Bundesverkehrsministerium gehört. Meistens mit CSU-Ministern besetzt, hatten diese meist anderes zu tun, als sich ihrem eigentlichen Tätigkeitsfeld zu widmen. Bayern first sozusagen, doch der Scheuer Andreas überrascht, auch mit einem anderen Blickwinkel.

So sollen Strecken nach Notwendigkeit gebaut werden und nicht mehr nur ein Ergebnis politischen Einflusses von Abgeordneten aus der Region sein. Klingt gut. Jetzt kommt zuerst der gewünschte Fahrplan als Zielvorgabe und dann wird so gebaut, dass dieser möglich wird. Innovatives kann manchmal so einfach sein. Auch eine Frage des Blickwinkels.

Damit sollen die Ziele der Bundesregierung, die Zahl der Bahnkunden bis 2030 zu verdoppeln und auch mehr Güter von der Straße auf die Schiene verlagern, erreicht werden. Politisch pikant ist, dass der Deutschlandtakt ohne Mitwirkung der Deutschen Bahn erstellt wurde. Und auch ohne die Städte, Gemeinden und Landkreise.

Die können sich durch Workshops an der Erstellung des Deutschlandtakt beteiligen. Dazu gehören auch Neubauprojekte, aber auch kleinere Einzelmaßnahmen. Viel effizienter seien beispielsweise der Umbau von Weichen oder der Bau weiterer Bahnsteigkanten, gibt Enak Ferlemann, Staatssekretär im Verkehrsministerium, zu bedenken.

Als Nutzer von Bahnhöfen wie Magdeburg-Neustadt, Stendal und Erkner, würde ich mir auch mehr Sanierung wünschen. Kurze Umsteigezeiten sind eine tolle Idee, aber auch die würde man gerne angenehm verbringen. Trocken und im Warmen, versorgt mit WLAN und Strom, sowie mit bargeldlosem Bezahlen anbietenden Gastronomien.

Die Neue Provinz muss angeschlossen werden

Die Neue Provinz kann von einem Deutschlandtakt profitieren, aber auch die Städte. Die Pendelzeit in Berlin betrug laut einer Studie der Mobilitäts-App Moovit aus dem Jahr 2016 im Durchschnitt genau 62 Minuten. 78 Prozent der Fahrgäste wechseln mindestens einmal das Verkehrsmittel. In Hamburg sind es 58 Minuten und 72 Prozent.

Nimmt man diese Zahlen und wendet sie auf den Regionalverkehr rund um diese Metropolen an, rücken bisher wenig beachtete Städte in den Fokus von Menschen, die u.a. bezahlbaren Wohnraum suchen. Beispielsweise in Uelzen, Wittenberge oder Stendal. Der Deutschlandtakt darf sich deshalb nicht nur auf den Fernverkehr konzentrieren.

Je nach Blickwinkel leben drei Viertel der Deutschen im ländlichen Raum. Damit ist das klassische Dorf gemeint, aber auch das Mittelzentrum, welches der Hauptbezugspunkt des ländlichen Umlandes ist. Dort hin und von da in die Metropole, muss es sich genauso gut mit der Bahn fahren lassen. Das Umland muss besser angeschlossen werden.

Dies würde mithelfen, die wenigen klimapolitischen Ziel der Bundesregierung zu erreichen, aber auch die Menschen finanziell zu entlasten und eine Grundlage für moderne Konzepte von Arbeit darstellen. Es braucht heutzutage keinen Zugang zu Produktionsmitteln mehr, sondern zu Internet und Raum, um seiner Arbeit nachgehen zu können.

Ein Perspektivwechsel ist gefragt

Letzte Woche unterhielt ich mich mit einem australischen Barista, der in Berlin lebt und zurzeit im BLOK O in Frankfurt (Oder) arbeitet. Ich fragte ihn, wie ihm die Pendelei bekommt. Er sagte, dass er es genießt. Er ist es aus Australien gewohnt, längere Distanzen pendeln und er nutzt nun die Zeit, um Deutsch zu lernen oder auch einmal zu entspannen.

Ich weiß, dass dieser Blick auf Entfernungen und Distanzen in Deutschland noch kaum verbreitet ist. Doch schon heute gibt es Menschen, die teilweise über eine Stunde zur Arbeit pendeln (und das eigentlich nicht immer müssten). Wir sollten mehr darüber nachdenken, wo wir leben und wie wir arbeiten wollen. Zum Beispiel in einer Neuen Provinz.

ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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